Kindheit
1749 - 1763
Jugend
1764-1769
Studium
1769- 1772
-
Erster
Erfolg: "Werther" 1774
Karriere
1775 - 1787
-
Familie
und Beruf 1788 - 1816
Alterswerke
1816 - 1825
Letzte
Jahre... 1826 -1832
Goethe
und Bettina von Arnim
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ins Goethehaus
Erzählung
Werthers
Leiden 1. Teil
Werthers
Leiden 2. Teil
Drama:
Faust
Zueignung-
Vorspiel
auf der Bühne
Prolog
im Himmel -
Der
Tragödie erster Teil
-
Der
Nachbarin Haus
-
Szene
YX ungelöst...
Gedichte
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Johann
Wolfgang von
Goethe
Werthers
Leiden, 1. Buch
erstellt: Juli 2000 von Martin
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Am
30. August 1771
I Am
3. September
1771 I
Am
10. September
1771 I
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-
-
Am
30. August
- Unglücklicher!
Bist du nicht ein Tor? Betriegst du dich nicht
selbst? Was soll diese tobende, endlose
Leidenschaft? Ich habe kein Gebet mehr als an
sie; meiner Einbildungskraft erscheint keine
andere Gestalt als die ihrige, und alles in der
Welt um mich her sehe ich nur im
Verhältnisse mit ihr. Und das macht mir
denn so manche glückliche Stunde - bis ich
mich wieder von ihr losreißen muß!
Ach Wilhelm! Wozu mich mein Herz oft
drängt! - wenn ich bei ihr gesessen bin,
zwei, drei Stunden, und mich an ihrer Gestalt,
an ihrem Betragen, an dem himmlischen Ausdruck
ihrer Worte geweidet habe, und nun nach und nach
alle meine Sinne aufgespannt werden, mir es
düster vor den Augen wird, ich kaum noch
höre, und es mich an die Gurgel faßt
wie ein Meuchelmörder, dann mein Herz in
wilden Schlägen den bedrängten Sinnen
Luft zu machen sucht und ihre Verwirrung nur
vermehrt - Wilhelm, ich weiß oft nicht, ob
ich auf der Welt bin! Und - wenn nicht manchmal
die Wehmut das Übergewicht nimmt und Lotte
mir den elenden Trost erlaubt, auf ihrer Hand
meine Beklemmung auszuweinen, - so muß ich
fort, muß hinaus, und schweife dann weit
im Felde umher; einen jähen Berg zu
klettern ist dann meine Freude, durch einen
unwegsamen Wald einen Pfad durchzuarbeiten,
durch die Hecken, die mich verletzen, durch die
Dornen, die mich zerreißen! Da wird mir's
etwas besser! Etwas! Und wenn ich vor
Müdigkeit und Durst manchmal unterwegs
liegen bleibe, manchmal in der tiefen Nacht,
wenn der hohe Vollmond über mir steht, im
einsamen Walde auf einen krumm gewachsenen Baum
mich setze, um meinen verwundeten Sohlen nur
einige Linderung zu verschaffen, und dann in
einer ermattenden Ruhe in dem Dämmerschein
hinschlummre! O Wilhelm! Die einsame Wohnung
einer Zelle, das härene Gewand und der
Stachelgürtel wären Labsale, nach
denen meine Seele schmachtet. Adieu! Ich sehe
dieses Elendes kein Ende als das
Grab.
- Am
3. September
1771
Seitenanfang
- Ich muß
fort! Ich danke dir, Wilhelm, daß du
meinen wankenden Entschluß bestimmt hast.
Schon vierzehn Tage gehe ich mit dem Gedanken
um, sie zu verlassen. Ich muß fort. Sie
ist wieder in der Stadt bei einer Freundin. Und
Albert - und - ich muß fort!
-
- Am
10. September 1771
Seitenanfang
- Das war eine
Nacht! Wilhelm! Nun überstehe ich alles.
Ich werde sie nicht wiedersehn! O daß ich
nicht an deinen Hals fliegen, dir mit tausend
Tränen und Entzückungen
ausdrücken kann, mein Bester, die
Empfindungen, die mein Herz bestürmen. Hier
sitze ich und schnappe nach Luft, suche mich zu
beruhigen, erwarte den Morgen, und mit
Sonnenaufgang sind die Pferde
bestellt.
- Ach, sie
schläft ruhig und denkt nicht, daß
sie mich nie wieder sehen wird. Ich habe mich
losgerissen, bin stark genug gewesen, in einem
Gespräch von zwei Stunden mein Vorhaben
nicht zu verraten. Und Gott, welch ein
Gespräch!
- Albert hatte
mir versprochen, gleich nach dem Nachtessen mit
Lotten im Garten zu sein. Ich stand auf der
Terrasse unter den hohen Kastanienbäumen
und sah der Sonne nach, die mir nun zum
letztenmale über dem lieblichen Tale,
über dem sanften Fluß unterging. So
oft hatte ich hier gestanden mit ihr und eben
dem herrlichen Schauspiele zugesehen, und nun -
ich ging in der Allee auf und ab, die mir so
lieb war; ein geheimer sympathetischer Zug hatte
mich hier so oft gehalten, ehe ich noch Lotten
kannte, und wie freuten wir uns, als wir im
Anfang unserer Bekanntschaft die wechselseitige
Neigung zu diesem Plätzchen entdeckten, das
wahrhaftig eins von den romantischsten ist, die
ich von der Kunst hervorgebracht gesehen
habe.
- Erst hast du
zwischen den Kastanienbäumen die weite
Aussicht - Ach, ich erinnere mich, ich habe dir,
denk' ich, schon viel davon geschrieben, wie
hohe Buchenwände einen endlich
einschließen und durch ein
daranstoßendes Boskett die Allee immer
düsterer wird, bis zuletzt alles sich in
ein geschlossenes Plätzchen endigt, das
alle Schauer der Einsamkeit umschweben. Ich
fühle es noch, wie heimlich mir's ward, als
ich zum erstenmale an einem hohen Mittage
hineintrat; ich ahnete ganz leise, was für
ein Schauplatz das noch werden sollte von
Seligkeit und Schmerz.
- Ich hatte mich
etwa eine halbe Stunde in den schmachtenden,
süßen Gedanken des Abscheidens, des
Wiedersehens geweidet, als ich sie die Terrasse
heraufsteigen hörte. Ich lief ihnen
entgegen, mit einem Schauer faßte ich ihre
Hand und küßte sie. Wir waren eben
heraufgetreten, als der Mond hinter dem
buschigen Hügel aufging; wir redeten
mancherlei und kamen unvermerkt dem düstern
Kabinette näher. Lotte trat hinein und
setzte sich, Albert neben sie, ich auch; doch
meine Unruhe ließ mich nicht lange sitzen;
ich stand auf, trat vor sie, ging auf und ab,
setzte mich wieder: es war ein ängstlicher
Zustand. Sie machte uns aufmerksam auf die
schöne Wirkung des Mondenlichtes, das am
Ende der Buchenwände die ganze Terrasse vor
uns erleuchtete: ein herrlicher Anblick, der um
so viel frappanter war, weil uns rings eine
tiefe Dämmerung einschloß. Wir waren
still, und sie fing nach einer Weile an:
"niemals gehe ich im Mondenlichte spazieren,
niemals, daß mir nicht der Gedanke an
meine Verstorbenen begegnete, daß nicht
das Gefühl von Tod, von Zukunft über
mich käme". "Wir werden sein!" fuhr sie mit
der Stimme des herrlichsten Gefühls fort;
"aber, Werther, sollen wir uns wieder finden?
Wieder erkennen? Was ahnen Sie? Was sagen
Sie?"
- "Lotte", sagte
ich, indem ich ihr die Hand reichte und mir die
Augen voll Tränen wurden,"wir werden uns
wiedersehn! Hier und dort wiedersehn!"- ich
konnte nicht weiter reden - Wilhelm, mußte
sie mich das fragen, da ich diesen
ängstlichen Abschied im Herzen
hatte!
- "Und ob die
lieben Abgeschiednen von uns wissen", fuhr sie
fort, "ob sie fühlen, wann's uns wohl geht,
daß wir mit warmer Liebe uns ihrer
erinnern? O! Die Gestalt meiner Mutter schwebt
immer um mich, wenn ich am stillen Abend unter
ihren Kindern, unter meinen Kindern sitze und
sie um mich versammelt sind, wie sie um sie
versammelt waren. Wenn ich dann mit einer
sehnenden Träne gen Himmel sehe und
wünsche, daß sie hereinschauen
könnte einen Augenblick, wie ich mein Wort
halte, das ich ihr in der des Todes gab: die
Mutter ihrer Kinder zu sein. Mit welcher
Empfindung rufe ich aus: 'verzeihe mir's,
Teuerste, wenn ich ihnen nicht bin, was du ihnen
warst. Ach! Tue ich doch alles, was ich kann;
sind sie doch gekleidet, genährt, ach, und,
was mehr ist als das alles, gepflegt und
geliebt. Könntest du unsere Eintracht
sehen, liebe Heilige! Du würdest mit dem
heißesten Danke den Gott verherrlichen,
den du mit den letzten, bittersten Tränen
um die Wohlfahrt deiner Kinder
batest.'"
- - Sie sagte
das! O Wilhelm, wer kann wiederholen, was sie
sagte! Wie kann der kalte, tote Buchstabe diese
himmlische Blüte des Geistes darstellen!
Albert fiel ihr sanft in die Rede: "es greift zu
stark an, liebe Lotte! Ich weiß, Ihre
Seele hängt sehr nach diesen Ideen, aber
ich bitte Sie". -"O Albert", sagte sie, "ich
weiß, du vergissest nicht die Abende, da
wir zusammensaßen an dem kleinen, runden
Tischchen, wenn der Papa verreist war, und wir
die Kleinen schlafen geschickt hatten. Du
hattest oft ein gutes Buch und kannst so selten
dazu, etwas zu lesen - war der Umgang dieser
herrlichen Seele nicht mehr als alles? Die
schöne, sanfte, muntere und immer
tätige Frau! Gott kennt meine Tränen,
mit denen ich mich oft in meinem Bette vor ihn
hinwarf: er möchte mich ihr gleich
machen".
- - "Lotte!" rief
ich aus, indem ich mich vor sie hinwarf, ihre
Hand nahm und mit tausend Tränen netzte,
"Lotte! Der Segen Gottes ruht über dir und
der Geist deiner Mutter!" "Wenn Sie sie gekannt
hätten", sagte sie, indem sie mir die Hand
drückte, - "sie war wert, von Ihnen gekannt
zu sein!"- ich glaubte zu vergehen.
- Nie war ein
größeres, stolzeres Wort über
mich ausgesprochen worden - und sie fuhr
fort:"und diese Frau mußte in der
Blüte ihrer Jahre dahin, da ihr
jüngster Sohn nicht sechs Monate alt war!
Ihre Krankheit dauerte nicht lange; sie war
ruhig, hingegeben, nur ihre Kinder taten ihr
weh, besonders das kleine. Wie es gegen das Ende
ging und sie zu mir sagte: 'bringe mir sie
herauf!' und wie ich sie hereinführte, die
kleinen, die nicht wußten, und die
ältesten, die ohne Sinne waren, wie sie ums
Bette standen, und wie sie die Hände aufhob
und über sie betete, und sie
küßte nach einander und sie
wegschickte und zu mir sagte: 'sei ihre Mutter!'
- Ich gab ihr die Hand drauf! - 'Du versprichst
viel, meine Tochter', sagte sie, 'das Herz einer
Mutter und das Aug' einer Mutter. Ich habe oft
an deinen dankbaren Tränen gesehen,
daß du fühlst, was das sei. Habe es
für deine Geschwister, und für deinen
Vater die Treue und den Gehorsam einer Frau. Du
wirst ihn trösten.' - Sie fragte nach ihm,
er war ausgegangen, um uns den
unerträglichen Kummer zu verbergen, den er
fühlte, der Mann war ganz
zerrissen.
- Albert, du
warst im Zimmer. Sie hörte jemand gehn und
fragte und forderte dich zu sich, und wie sie
dich ansah und mich, mit dem getrösteten,
ruhigen Blicke, daß wir glücklich
sein, zusammen glücklich sein würden".
- Albert fiel ihr um den Hals und
küßte sie und rief: "wir sind es! Wir
werden es sein!" - der ruhige Albert war ganz
aus seiner Fassung, und ich wußte nichts
von mir selber. "Werther", fing sie an, "und
diese Frau sollte dahin sein! Gott! Wenn ich
manchmal denke, wie man das Liebste seines
Lebens wegtragen läßt, und niemand
als die Kinder das so scharf fühlt, die
sich noch lange beklagten, die schwarzen
Männer hätten die Mama weggetragen!
"sie stand auf, und ich ward erweckt und
erschüttert, blieb sitzen und hielt ihre
Hand. -"Wir wollen fort", sagte sie, "es wird
Zeit". - Sie wollte ihre Hand zurückziehen,
und ich hielt sie fester. -"wir werden uns
wieder sehen" rief ich, "wir werden uns finden,
unter allen Gestalten werden wir uns erkennen.
Ich gehe", fuhr ich fort, "ich gehe willig, und
doch, wenn ich sagen sollte auf ewig, ich
würde es nicht aushalten. Leb' wohl, Lotte!
Leb' wohl, Albert! Wir sehn uns wieder".
-"Morgen, denke ich", versetzte sie scherzend. -
Ich fühlte das Morgen! Ach, sie wußte
nicht, als sie ihre Hand aus der meinen zog -
Sie gingen die Allee hinaus, ich stand, sah
ihnen nach im Mondscheine und warf mich an die
Erde und weinte mich aus und sprang auf und lief
auf die Terrasse hervor und sah noch dort unten
im Schatten der hohen Lindenbäume ihr
weißes Kleid nach der Gartentür
schimmern, ich streckte meine Arme aus, und es
verschwand.
-
- Zweites
Buch
Seitenanfang
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