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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen 1622
- 1676
Das erste Buch, das 1. Kapitel
Vermeldet Simplicii bäurisch Herkommen
und gleichförmige Auferziehung
Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von
welcher man glaubt, daß es die letzte sei)
unter geringen Leuten eine Sucht, in der die
Patienten, wenn sie daran krank liegen, und so viel
zusammen geraspelt und erschachert haben, daß
sie neben ein paar Hellern im Beutel ein
närrisches Kleid auf die neue Mode mit
tausenderlei seidenen Bändern antragen
können, oder sonst etwa durch Glücksfall
mannhaft und bekannt worden, gleich
rittermäßige Herren und adelige Personen
von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch
oft befindet, daß ihre Voreltern
Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger;
ihre Vettern Eseltreiber; ihre Brüder
Büttel und Schergen; ihre Schwestern Huren;
ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen; und
in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen
her also besudelt und befleckt gewesen, als des
Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen;
ja sie, diese neuen Nobilisten, sind oft selbst so
schwarz, als wenn sie in Guinea geboren und erzogen
wären worden.
Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich
nicht gleich stellen, obzwar, die Wahrheit zu
bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft
eingebildet, ich müsse ohnfehlbar auch von
einem großen Herrn, oder wenigst einem
gemeinen Edelmann, meinen Ursprung haben, weil ich
von Natur geneigt, das Junkernhandwerk zu treiben,
wenn ich nur den Verlag und das Werkzeug dazu
hätte. Zwar ohngescherzt, mein Herkommen und
Auferziehung läßt sich noch wohl mit
eines Fürsten vergleichen, wenn man nur den
großen Unterscheid nicht ansehen wollte. Was?
Mein Knan (denn also nennet man die Väter im
Spessart) hatte einen eignen Palast, so wohl als
ein anderer, ja so artlich, dergleichen ein jeder
König mit eigenen Händen zu bauen nicht
vermag, sondern solches in Ewigkeit wohl unterwegen
lassen wird; er war mit Leimen gemalet und anstatt
des unfruchtbaren Schiefers, kalten Bleis und roten
Kupfers mit Stroh bedeckt, darauf das edel Getreid
wächst; und damit er, mein Knan, mit seinem
Adel und Reichtum recht prangen möchte,
ließ er die Mauer um sein Schloß nicht
mit Mauersteinen, die man am Weg findet oder an
unfruchtbaren Orten aus der Erden gräbt, viel
weniger mit liederlichen gebackenen Steinen, die in
geringer Zeit verfertigt und gebrannt werden
können, wie andere große Herren zu tun
pflegen, aufführen; sondern er nahm Eichenholz
dazu, welcher nützliche edle Baum, als worauf
Bratwürste und fette Schinken wachsen, bis zu
seinem vollständigen Alter über hundert
Jahr erfordert: Wo ist ein Monarch, der ihm
dergleichen nachtut? Seine Zimmer, Säl' und
Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz
erschwarzen lassen, nur darum, dieweil dies die
beständigste Farb von der Welt ist, und
dergleichen Gemäld bis zu seiner Perfektion
mehr Zeit brauchet, als ein künstlicher Maler
zu seinen trefflichsten Kunststücken
erfordert. Die Tapezereien waren das zarteste Geweb
auf dem ganzen Erdboden, denn diejenige machte uns
solche, die sich vor alters vermaß, mit der
Minerva selbst um die Wett zu spinnen. Seine
Fenster waren keiner anderen Ursache halber dem
Sant Nitglas gewidmet, als darum, dieweil er
wußte, daß ein solches vom Hanf oder
Flachssamen an zu rechnen, bis es zu seiner
vollkommenen Verfertigung gelangt, weit mehrere
Zeit und Arbeit kostet als das beste und
durchsichtigste Glas von Muran, denn sein Stand
macht' ihm ein Belieben zu glauben, daß alles
dasjenige, was durch viel Mühe zuwege gebracht
würde, auch schätzbar und desto
köstlicher sei, was aber köstlich sei,
das sei auch dem Adel am anständigsten.
Anstatt der Pagen, Lakaien und Stallknecht hatte er
Schaf, Böcke und Säu, jedes fein
ordentlich in seine natürliche Liberei
gekleidet, welche mir auch oft auf der Weid
aufgewartet, bis ich sie heim getrieben. Die
Rüst- oder Harnischkammer war mit
Pflügen, Kärsten, Äxten, Hauen,
Schaufeln, Mist- und Heugabeln genugsam versehen,
mit welchen Waffen er sich täglich übet';
denn Hacken und Reuten war seine disciplina
militaris wie bei den alten Römern zu
Friedenszeiten, Ochsen anspannen war sein
hauptmannschaftliches Kommando, Mist ausfahren sein
Fortifikationwesen und Ackern sein Feldzug,
Stallausmisten aber seine adelige Kurzweil und
Turnierspiel; hiermit bestritt er die ganze
Weltkugel, soweit er reichen konnte, und jagte ihr
damit alle Ernt ein reiche Beut ab. Dieses alles
setze ich hintan und überhebe mich dessen ganz
nicht, damit niemand Ursach habe, mich mit andern
meinesgleichen neuen Nobilisten auszulachen, denn
ich schätze mich nicht besser, als mein Knan
war, welcher diese seine Wohnung an einem sehr
lustigen Ort, nämlich im Spessart liegen
hatte, allwo die Wölf einander gute Nacht
geben. Daß ich aber nichts Ausführliches
von meines Knans Geschlecht, Stamm und Namen
für diesmal doziert, geschiehet um geliebter
Kürze willen, vornehmlich, weil es ohne das
allhier um keine adelige Stiftung zu tun ist, da
ich soll auf schwören; genug ists, wenn man
weiß, daß ich im Spessart geboren
bin.
Gleich wie nun aber meines Knans Hauswesen sehr
adelig vermerkt wird, also kann ein jeder
Verständige auch leichtlich schließen,
daß meine Auferziehung derselben
gemäß und ähnlich gewesen; und wer
solches dafür hält, findet sich auch
nicht betrogen, denn in meinem zehenjährigen
Alter hatte ich schon die principia in obgemeldten
meines Knans adeligen Exerzitien begriffen, aber
der Studien halber konnte ich neben dem
berühmten Amphistidi hin passieren, von
welchem Suidas meldet, daß er nicht über
fünfe zählen konnte; denn mein Knan hatte
vielleicht einen viel zu hohen Geist, und folgte
dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger
Zeit, in welcher viel vornehme Leute mit Studieren
oder, wie sie es nennen, mit Schulpossen sich nicht
viel bekümmern, weil sie ihre Leut haben, der
Blackscheißerei abzuwarten. Sonst war ich ein
trefflicher Musicus auf der Sackpfeifen, mit der
ich schöne Jalemj-Gesäng machen konnte.
Aber die Theologiam anbelangend, laß ich mich
nicht bereden, daß einer meines Alters damals
in der ganzen Christenwelt gewesen sei, der mir
darin hätte gleichen mögen, denn ich
kennete weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch
Höll, weder Engel noch Teufel, und wußte
weder Gutes noch Böses zu unterscheiden:
Dahero ohnschwer zu gedenken, daß ich
vermittelst solcher Theologiae wie unsere ersten
Eltern im Paradies gelebt, die in ihrer Unschuld
von Krankheit, Tod und Sterben, weniger von der
Auferstehung nichts gewußt. O edels Leben!
(du mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem
man sich auch nichts um die Medizin bekümmert.
Eben auf diesen Schlag kann man mein Erfahrenheit
in dem Studio legum und allen andern Künsten
und Wissenschaften, soviel in der Welt sind, auch
verstehen. ja ich war so perfekt und vollkommen in
der Unwissenheit, daß mir unmöglich war
zu wissen, daß ich so gar nichts wußte.
Ich sage noch einmal, o edles Leben, das ich damals
führete! Aber mein Knan wollte mich solche
Glückseligkeit nicht länger
genießen lassen, sondern schätzte billig
sein, daß ich meiner adeligen Geburt
gemäß auch adelig tun und leben sollte,
derowegen fing er an, mich zu höhern Dingen
anzuziehen, und mir schwerere Lectiones
aufzugeben.
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