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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen 1622
- 1676
Das 4. Kapitel
Simplicii Residenz wird erobert,
geplündert und zerstört, darin die
Krieger jämmerlich hausen
Wiewohl ich nicht bin gesinnet gewesen, den
friedliebenden Leser mit diesen Reutern in meines
Knans Haus und Hof zu führen, weil es schlimm
genug darin hergehen wird: So erfordert jedoch die
Folge meiner Histori, daß ich der lieben
Posterität hinterlasse, was für
Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg hin
und wieder verübet worden, zumalen mit meinem
eigenen Exempel zu bezeugen, daß alle solche
Übel von der Güte des Allerhöchsten,
zu unserm Nutz, oft notwendig haben verhängt
werden müssen: Denn lieber Leser, wer
hätte mir gesagt, daß ein Gott im Himmel
wäre, wenn keine Krieger meines Knans Haus
zernichtet und mich durch solche Fahung unter die
Leut gezwungen hätten, von denen ich
genugsamen Bericht empfangen? Kurz zuvor konnte ich
nichts anders wissen noch mir einbilden, als
daß mein Knan, Meuder, ich und das
übrige Hausgesind allein auf Erden sei, weil
mir sonst kein Mensch noch einzige andere
menschliche Wohnung bekannt war, als diejenige,
darin ich täglich aus- und einging: Aber bald
hernach erfuhr ich die Herkunft der Menschen in
diese Welt, und daß sie wieder daraus
müßten; ich war nur mit der Gestalt ein
Mensch, und mit dem Namen ein Christenkind, im
übrigen aber nur eine Bestia! Aber der
Allerhöchste sah meine Unschuld mit
barmherzigen Augen an, und wollte mich beides zu
seiner und meiner Erkenntnis bringen: Und wiewohl
er tausenderlei Weg hierzu hatte, wollte er sich
doch ohn Zweifel nur desjenigen bedienen, in
welchem mein Knan und Meuder, andern zum Exempel,
wegen ihrer liederlichen Auferziehung gestraft
würden.
Das erste, das diese Reuter taten, war,
daß sie ihre Pferd einstellten, hernach hatte
jeglicher seine sonderbare Arbeit zu verrichten,
deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte,
denn obzwar etliche anfingen zu metzgen, zu sieden
und zu braten, daß es sah, als sollte ein
lustig Bankett gehalten werden, so waren hingegen
andere, die durchstürmten das Haus unten und
oben, ja das heimlich Gemach war nicht sicher,
gleichsam ob wäre das gülden Fell von
Kolchis darinnen verborgen; Andere machten von
Tuch, Kleidungen und allerlei Hausrat große
Päck zusammen, als ob sie irgends ein
Krempelmarkt anrichten wollten, was sie aber nicht
mitzunehmen gedachten, wurde zerschlagen, etliche
durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob
sie nicht Schaf und Schwein genug zu stechen gehabt
hätten, etliche schütteten die Federn aus
den Betten, und fülleten hingegen Speck,
andere dürr Fleisch und sonst Gerät
hinein, als ob alsdann besser darauf zu schlafen
gewesen wäre; Andere schlugen Ofen und Fenster
ein, gleichsam als hätten sie ein ewigen
Sommer zu verkündigen, Kupfer und
Zinnengeschirr schlugen sie zusammen, und packten
die gebogenen und verderbten Stück ein,
Bettladen, Tisch, Stühl und Bänk
verbrannten sie, da doch viel Klafter dürr
Holz im Hof lag, Hafen und Schüsseln
mußte endlich alles entzwei, entweder weil
sie lieber Gebraten aßen, oder weil sie
bedacht waren, nur ein einzige Mahlzeit allda zu
halten; unser Magd ward im Stall dermaßen
traktiert, daß sie nicht mehr daraus gehen
konnte, welches zwar eine Schand ist zu melden! den
Knecht legten sie gebunden auf die Erd, stecketen
ihm ein Sperrholz ins Maul, und schütteten ihm
einen Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser
in Leib, das nenneten sie ein Schwedischen Trunk,
wodurch sie ihn zwangen, eine Partei
anderwärts zu führen, allda sie Menschen
und Vieh hinwegnahmen, und in unsern Hof brachten,
unter welchen mein Knan, mein Meuder und unser
Ursele auch waren.
Da fing man erst an, die Stein von den Pistolen,
und hingegen an deren Statt der Bauren Daumen
aufzuschrauben, und die armen Schelmen so zu
foltern, als wenn man hätt Hexen brennen
wollen, maßen sie auch einen von den
gefangenen Bauren bereits in Backofen steckten, und
mit Feuer hinter ihm her waren, ohnangesehen er
noch nichts bekannt hatte; einem andern machten sie
ein Seil um den Kopf und reitelten es mit einem
Bengel zusammen, daß ihm das Blut zu Mund,
Nas und Ohren heraus sprang. In Summa, es hatte
jeder seine eigene Invention, die Bauren zu
peinigen, und also auch jeder Bauer seine
sonderbare Marter. Allein mein Knan war meinem
damaligen Bedünken nach der
glückseligste, weil er mit lachendem Mund
bekennete, was andere mit Schmerzen und
jämmerlicher Weheklag sagen mußten, und
solche Ehre widerfuhr ihm ohne Zweifel darum, weil
er der Hausvater war, denn sie setzten ihn zu einem
Feuer, banden ihn, daß er weder Händ
noch Füß regen konnte, und rieben seine
Fußsohlen mit angefeuchtem Salz, welches ihm
unser alte Geiß wieder ablecken, und dadurch
also kitzeln mußte, daß er vor Lachen
hätte zerbersten mögen; das kam so
artlich, daß ich Gesellschaft halber, oder
weil ichs nicht besser verstund, von Herzen
mitlachen mußte. In solchem Gelächter
bekannte er seine Schuldigkeit, und öffnet'
den verborgenen Schatz, welcher von Gold, Perlen
und Kleinodien viel reicher war, als man hinter
Bauren hätte suchen mögen. Von den
gefangenen Weibern, Mägden und Töchtern
weiß ich sonderlich nichts zu sagen, weil
mich die Krieger nicht zusehen ließen, wie
sie mit ihnen umgingen: Das weiß ich noch
wohl, daß man teils hin und wider in den
Winkeln erbärmlich schreien hörte,
schätze wohl, es sei meiner Meuder und unserm
Ursele nit besser gangen als den andern. Mitten in
diesem Elend wendet ich Braten, und half nachmittag
die Pferd tränken, durch welches Mittel ich zu
unserer Magd in Stall kam, welche wunderwerklich
zerstrobelt aussah, ich kennete sie nicht, sie aber
sprach zu mir mit kränklicher Stimm: »O
Bub lauf weg, sonst werden dich die Reuter
mitnehmen, guck daß du davonkommst, du
siehest wohl, wie es so übel«; mehrers
konnte sie nicht sagen.
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