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Kulturgeschichte - 19. Jahrhundert - Droste


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Annette von Droste-Hülshoff
Der Knabe im Moor
(1842) - Worterklärungen

(Stand: 4. März 2011)

 
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Erklärung
 
 
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über der Fläche sauset der Wind -
Was raschelt da drüben im Hage?
Das ist der gespentische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein sich zage. Erklärung
 
 
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre! Erklärung
 
 
Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran, als woll' es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!  Erklärung
 
 
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär'n nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.Erklärung
 
 
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide! Erklärung
 

Alle Fotos: Susanne Coburger-Schlu, Mai 2008 (Hohes Venn)
 
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Worterklärungen © Martin Schlu, Mai 2008
 
 

1. Strophe

schaurig

zum Text

schrecklich, angsteinflößend

wimmelt von Heiderauche

die Luft flimmert vom Rauch der Torffeuer

wie Phantome die Dünste drehn

der Rauch nimmt unwirkliche Formen an

die Ranke häkelt am Strauche

die Ranke wächst am Strauch und erwürgt ihn dadurch

Unter jedem Tritte ein Quellchen springt

bei jedem Tritt wird Wasser ausgedrückt

Wenn aus der Spalte es zischt und singt

Sumpfgase entweichen mit Geräuschen

Röhricht

 

2. Strophe

Schilf an den Wasserrändern

 

zum Text

Fibel

Lesebuch für die ersten Klassen

Hage

Gebüsch

der gespenstische Gräberknecht,

Spukgestalt des betrügerischen Totengräbergehilfen, der als Strafe für seine Diebereien an den Toten zum Geist wurde

die besten Torfe verzecht;

er hat den guten Torf heimlich verkauft und das Geld vertrunken

wie ein irres Rind

das Kind rennt in Panik, ohne auf den Weg zu achten

zage

 

3. Strophe

ängstlich , also "verzagt"

 

zum Text

starret Gestumpf hervor

abgebrochen Baumstümpfe haben manchmal Phantasieformen

Föhre

hoher Baum mit dünnen Zweigen, darum beim kleinsten Windstoß in Bewegung, von der Biologie her eine Art Kiefer (Hinweis von Andrea Merten)

Riesenhalme wie Speere

das Riedgras ist höher als das Kind

rieselt und knittert darin!

der Wind schlägt die Halme aneinander, daß man von den Geräuschen Angst kriegt

die unselige Spinnerin, die Spinnenlor'

auch eine Spukgestalt, die "Lore", zu Lebzeiten mehr Wolle berechnete, als sie wirklich versponnen hatte und als Strafe nun immer weiter die Spinnspule, die "Haspel", drehen muß

Geröhre

 

4. Strophe

Schilfröhricht - Schilf ist ein Hohlgras und daher ein gewachsenes Rohr

 

zum Text

als woll' es ihn holen

die Angst des Kindes wird übermächtig, "es" ist das Böse

pfeift ihm unter den Sohlen

Trittgeräusche, das Wasser "quatscht"

gespenstige Melodei;

die Geräusche sind unerklärlich für das Kind und machen ihm Angst

Geigemann, diebische Fiedler Knauf

Spielmann, der auf Bestellung Musik macht, doch Außenseiter ist

Hochzeitheller gestohlen

 





5. Strophe

Dieser Fiedler Knauf hat bei einer Hochzeit die Brautgabe, den "Hochzeit-Heller" gestohlen und wurde deshalb verflucht. Ein Heller war eine kleine Münze und hatte den Wert eines halben Pfennigs (der früher mehr wert war als vor der Euro-Einführung und war die kleinste Münzeinheit. Es wurde nach weißem (aus Silber), schwarzem und rotem (aus Kupfer) Heller je nach Metall und Wert unterschieden, daher auch das Sprichwort "keinen blanken Heller mehr besitzen", also nicht mal mehr das geringste bißchen Geld.  (Hinweis von Andrea Merten)

 

zum Text

Da birst das Moor, klaffenden Höhle

eine Erdspalte bricht auf

die verdammte Margret:

eine weitere Spukgestalt, vor denen Kinder Angst hatten

wie ein wundes Reh,

es herrscht nackte Panik

Schutzengel

Annette von Droste-Hülshoff war streng katholisch und darum waren Schutzengel für sie selbstverständlich

bleichenden Knöchelchen

wenn das Kind mal gefunden würde, dann erst Jahrzehnte später

Gräber

der Torfstecher, der das Moor trockenlegt und den Torf verkauft

Moorgeschwehle

 

6. Strophe

die trockenen Ziegel, die die Torfstecher langsam durchglühen, um daraus eine Art Kohle zu machen

 

zum Text

gründet der Boden sich

der Boden wird fester

Die Lampe flimmert so heimatlich

die Laterne des Elternhauses ist noch weit, aber schon sichtbar und durch die Luftsrömungen flimmert das Licht

Scheide

Wegscheide zwischen Feld und Moor

Geröhre

Unterholz, Röhricht

schaurig

schrecklich, angsteinflößend, gruselig

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