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Zweites Buch:
Der Schiffskoch

 

Kapitel VII.
Ich gehe nach Bristol -

Kapitel VIII.
Im Zeichen des Fernrohrs -

Kapitel IX.
Pulver und Waffen

Kapitel X.
Die Reise -

Kapitel XI.
Was ich im Apfelfaß hörte

Kapitel XII.
Kriegsrat

Robert L. Stevenson: Die Schatzinsel (Treasure Island)
übersetzt von Martin Schlu, August 2008

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Kapitel VII
Ich gehe nach Bristol
Es dauerte länger, als sich der Gutsherr vorgestellt hatte, bis wir segelfertig waren und keiner unserer ersten Pläne konnte so durchgeführt werden, wie wir uns das vorgestellt hatten, selbst Dr. Livesey konnte daran nichts ändern. Er mußte für einige Tage nach London um einen Nachfolger zu finden, der die Praxis eine Zeit lang übernahm, der Gutsherr arbeitete unterdessen in Bristol offenbar hart an den Vorbereitungen und ich wohnte in seinem Haus unter der Fürsorge des alten Hausverwalters Redruth fast wie ein Gefangener, aber voll von Seefahrtsträumen und in der der verführerischen Erwartung fremder Inseln und Abenteuern. Stundenlang saß ich über den Seekarten und versuchte mir möglichst viele Details zu merken. Vor dem brennenden Kamin im Wohnzimmer näherte ich mich in meiner Phantasie der Insel aus jeder möglichen Richtung, ich untersuchte in der Vorstellung jeden Quadratmeter, kletterte tausend Male auf den Hügel, der "Fernrohr" genannt wurde und genoß in der Phantasie den überwältigenden und wechselnden Ausblick auf die Insel. Manchmal war sie dick mit Pflanzen überwuchert, durch die ich mich durchschlagen mußte, manchmal war sie voll von gefährlichen Tieren, die uns jagten, doch selbst in der kühnsten Phantasie erschien nichts so fremd und tragisch wie es später in der Realität wurde.
 
 
 
So vergingen die Wochen, bis eines Tages ein Brief ankam, der an Dr. Livesey adressiert war, allerdings mit dem Zusatz: "Im Falle der Abwesenheit durch Tom Redruth oder den jungen Hawkins zu öffnen". Dieser Anordnung folgten wir, bzw. folgte ich, denn der Hausverwalter war ein kleines Licht, wenn es darum ging etwas zu lesen, was nicht gedruckt war, und las die folgenden wichtigen Zeilen:
 
"Gasthaus "Zum Anker", Bristol, 1. März, 17xx
Lieber Livesey,
 
weil ich nicht weiß, ob Ihr in meinem Haus oder noch in London seid, schreibe ich diesen Brief an beide Adressen.
 
Das Schiff ist gekauft und ausgerüstet. Es liegt vor Anker, fertig zum Auslaufen. Man kann sich keinen schöneren Schoner vorstellen - selbst ein Kind könnte sie segeln - zweihundert Tonnen Gewicht und ihr Name ist "Hispaniola". Ich habe sie über meinen alten Freund Blandly, der sie überprüft hat und meint, sie wäre ein As im Spiel. Die Admiralität unterstützt meine Bemühungen, und, wenn ich das sagen darf, auch alle anderen in Bristol, sobald sie davon Wind bekommen, daß es auf Schatzsuche ginge."
 
"Redruth," sagte ich, und unterbrach den Brief, "Dr. Livesey wird das nicht gerne hören. Der Gutsherr hat alles herumerzählt"
 
"Ja, wer hat denn das Recht dazu, wenn nicht er?" schimpfte der Verwalter. "Ich will Rum trinken, wenn ich denke, er ist Dr. Livesey gegenüber verpflichtet, es ist eher anders herum."
 
Da gab ich Versuche des Kommentars auf und las weiter:
 
"Blandly selbst fand die "Hispaniola" und durch seine Kontakte zum Admiral bekam er sie als günstige Gelegenheit für kleines Geld. Es gibt zwar Leute in Bristol, die große Vorurteile gegen Blandly hegen und erzählen, dieser ehrenwerte Mann täte alles für Geld, er sei der Besitzer der "Hispaniola" und hätte sie für einen Wucherpreis verkauft, doch das sind alles höchst durchsichtige Falschaussagen, von denen ich nichts glaube, weil es Neider sind, die an seinen Verdiensten für die Marine kratzen wollen. Ohne Ruhm keine Neider. Die einfachen Leute - seid sicher - Schauerleute und Lastträger sind langsam in der Arbeit und im Denken, doch mit der Zeit lernen sie. Diese Mannschaft machte mir Probleme. Ich wünschte mir eine Anzahl richtige Seeleute, echte Fahrensmänner - nicht diese blöden Franzosen - und ich hatte Probleme, mehr als ein halbes Dutzend zusammenzubringen, bis ein ausgesprochener Glücksfall mir den Mann schickte, den ich brauchte.
 
Ich stand am Dock, als ich durch Zufall in eine Gespräch mit mit ihm geriet. Ich erfuhr, daß er alter Seemann war, der nun eine Gaststätte führte, alle seefahrenden Männer in Bristol kennt, seine Gesundheit auf See verloren hat, doch wieder eine gute Reise als Schiffskoch machen würde. Er war an diesem Morgen am Kai um wieder mal etwas Seeluft zu schnuppern. Ich war von ihm sehr berührt und - das hättet Ihr auch getan - aus Mitleid stellte ich ihn als unseren Schiffskoch ein. Er wird "Long John Silver" genannt, hat ein Bein verloren, doch das nehme ich als Empfehlung für ihn, denn er verlor es im Dienst des Vaterlandes unter dem unsterblichen Hawke. Er hat keine Pension, Livesey. Stellt Euch die Zeit vor, in denen wir leben!
 
Gut, Doktor, ich dachte, ich hätte nur einen Koch gefunden, doch ich habe dabei die gesamte Mannschaft bekommen. Zwischen Silver und mir hat es gefunkt und in ein paar Tagen haben wir eine komplette Besatzung der abgebrühtesten und erfahrensten Seeleute aufgetrieben, die man sich vorstellen kann - sie sehen nicht sehr schön aus - vor allem nicht ihre Gesichter - aber es sind Kerle, die vor nichts Angst haben. Ich glaube, wir könnten mit denen in den Krieg ziehen.
 
Long John selbst hat zwei von sechsen wieder entlassen, die ich eingestellt habe. Er zeigte mir ganz schnell, daß dies zwei Süßwassermatrosen sind, die Angst bekommen, wenn unser Abenteuer in schwere See geriete.
 
Ich selbst bin körperlich und seelisch bei allerbester Gesundheit, esse wie ein Scheunendrescher und schlafe wie ein Stein und werde keine Ruhe haben, bis ich meine alte Seekluft herausgeholt habe und um den Ankerspill laufe. Seewärts natürlich! Hoch lebe der Schatz! Es ist der Mythos der See, der mir den Kopf verdreht. Also, Livesey, kommt schnell, verliert er keine Stunde, wenn Ihr mich respektiert. Lasst den jungen Hawkins sich von seiner Mutter verabschieden, lasst Ihr den alten Redruth als Begleitung mitgehen und dann kommt Ihr mit den beiden so schnell wie möglich nach Bristol.
John Trelawney
 
Postscriptum:
Ich habe Euch nicht erzählt, daß Blandly, der übrigens einen Bediensteten zu uns schickte, um uns zu warnen, nicht vor Ende August in See zu stechen, einen bewundernswerten Mann als Obermaat gefunden hat, einen rohen Mann, wie ich empfinde, aber fachlich offenbar ein As. Long John Silver trieb einen sehr kompetenten Mann als Ersten Steuermann auf, einen Mann namens Arrow. So habe ich nun einen Bootsmann, der mit der Trillerpfeife umgehen kann und die Dinge stehen so, daß wir eine gute Mannschaft und ein gutes Schiff haben, die "Hispaniola".
 
Ich vergaß auch, euch zu erzählen, daß Silver substantielle Qualitäten hat. Ich habe herausgefunden, daß er ein größeres Bankkonto hat, das er noch nie überzogen hat. Er wird seine Frau zurücklassen, damit sie das Gasthaus weiter führt. Sie ist eine farbige Frau, sie leben unverheiratet zusammen (wie Ihr) und ich möchte mich entschuldigen, daß ich dachte, sei wäre seine Frau. Ich wünsche ihm, daß er bei bester Gesundheit bleibt und sie sich bis zur Rückkehr erhält.
J. T.
 
P.P.S.
Hawkins kann ruhig eine Nacht bei seiner Mutter bleiben.
J. T.
  
Man kann sich vorstellen, in welche Aufregung mich dieser Brief versetzte. Ich stand vor Entzücken eher neben mir und wenn ich jemals einen Mann nicht ernst genommen habe, war das der alte Tom Redruth, der selbst dann noch grummelte und lamentierte. Jeder seiner Unteraufseher hätte auf der Stelle mit ihm getauscht, doch das wäre nicht im Interesse des Gutsherren gewesen und dessen Interessen oder Vorlieben waren in diesem Hause geltendes Recht. Kein anderer als der alte Redruth hätte sich getraut so viel herumzujammern.
 
Am nächsten Morgen liefen er und ich zu Fuß zum " Admiral Benbow", wo ich meine Mutter an Leib und Seele gesund vorfand. Der alte Seebär, der so lange für Ärger und Not gesorgt hatte, hatte keine Spuren hinterlassen - wie geschmolzener Schnee. Der Gutsherr hatte alles reparieren und die Räume neu streichen lassen und er hatte auch einige Möbel ergänzt, vor allem einen wunderschönen Armsessel für meine Mutter, der hinter der Theke stand. Er hatte ihr auch einen Jungen als Unterstützung besorgt, so daß sie mit der Arbeit nicht alleine blieb, solange ich fort war.
 
Erst, als ich diesen Jungen sah, begriff ich meine neue Situation. Ich hatte nur an die bevorstehenden Abenteuer gedacht, doch nicht daran, daß ich mein Zuhause verlassen würde und nun, angesichts des dummen Jungen, der statt mir bei meiner Mutter sein würde, kamen mir zum ersten mal die Tränen. Ich war übel gegen ihn gelaunt, ließ meine Trauer an ihm aus und machte ihm die erste neue Arbeitswoche dadurch schwerer als nötig, denn ich hatte hundert Gelegenheiten, ihm zu zeigen, daß er nichts konnte und nichts durfte, und ich nutzte sie alle aus.

Die Nacht ging vorbei, der nächste Tag, das Abendessen auch und dann waren Redruth und ich mit der Abreise beschäftigt. Ich verabschiedete mich von meiner Mutter und dem kleinen Haus, in dem ich gelebt hatte, seit ich dort geboren war und dem guten, alten "Admiral Benbow". Er war nun frisch gestrichen und nicht mehr so heruntergekommen wie vorher. Einer meiner letzten Gedanken war bei dem alten Käpt'n, der mit dem Dreispitz, der Säbelnarbe im Gesicht und dem alten Messingfernrohr so oft am Strand entlanggegangen war. Im nächsten Augenblick bog ich um die Ecke und mein Zuhause war außer Sicht.

Die Postkutsche sammelte uns bei Dämmerung bei Royal George in der Heide auf und ich wurde zwischen Redruth und einen alten, fetten, aber besseren Herrn eingezwängt. Trotz der schaukelnden Bewegung und der kalten Nachtluft döste ich schnell ein, wachte anfangs zwar immer wieder auf, doch dann schlief ich wie ein Stein und träumte, ich würde Treppen hinab ins Tal steigen und wieder herauf. Geweckt wurde ich durch einen Stoß in die Rippen und als ich meine Augen öffnete, standen wir bereits vor einem großen Gebäude in einer städtischen Straße und es war schon länger Tag.

"Wo sind wir?", fragte ich.

"Bristol," sagte Tom. "Steig aus."

Mr. Trelawney hatte dieses Haus an einem Gasthaus gemietet, nicht weit entfernt von den Docks, um die Arbeiten an dem Schoner besser überwachen zu können.

Trotzdem mußten wir nun etwas laufen, und zu meiner großen Freude führte der Weg am Kail entlang, wo eine große Anzahl Schiffe in allen Größen, Formen und Farben aus allen möglichen Ländern lag. In einem gingen Seeleute singend ihrer Arbeit nach....

 
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Foto: Martin Schlu 2008