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Martin SchluEditorial

Möllemann, Friedman und der Patriotismus

Juni 2003 (erschien als Kommentar in der "Deutschen Allgemeinen Zeitung")




Es ist ein gutes Jahr her, da unterrichtete ich einen guten Deutschkurs in der zehnten Klasse. Israels Premierminister Scharon war vor einigen Monaten auf den Tempelberg marschiert und hatte die Palästinenser so vergrätzt, daß die Anschläge bis heute andauern, Martin Walser mußte sich mit den Anfeindungen zunächst eines einzelnen Redakteurs einer bekannten deutschen Zeitung, später auch von anderen beschimpfen lassen, weil er mit „Tod eines Kritikers" einen jüdischen Literaturkritiker aufs Korn genommen hatte, der zwar ordentlich austeilte, aber nicht so gut einstecken konnte und es gab in dieser Zeit den Ausspruch Jürgen W. Möllemanns, der damals sinngemäß sagte: „Leute wie Scharon und Friedmann <seien> geeignet... den Antisemitismus in Deutschland....zu fördern(?)." Ganz Deutschland wußte auf einmal, was man nicht sagen durfte, aber was man sagen konnte und warum, war den meisten nicht klar. Meine Schüler fragten mich, wieso Möllemann und Walser so angegriffen wurden und ich konnte auch nur ungefähr sagen, was mir zu denken und zu sagen erlaubt war und dies half meiner Klasse leider nur bedingt weiter.
In dieser Situation sammelten wir Texte, lasen viel, schauten uns auch einmal eine Sendung mit Michael Friedman an und versuchten im Dickicht der Meinungen einen Standpunkt zu finden. Wir versuchten, die gesellschaftliche Situation „in diesem, unserem Lande" (Originalzitat Dr. H. Kohl) zu analysieren, was nicht ganz leicht war, denn unsere Schüler lernen zwar alle die Geschehnisse der Hitler-Zeit (das ist auch viel einfacher, da dieser Teil der Geschichte gesichert ist und in den Schulbüchern gute und erprobte Texte für Kollegen stehen, die nicht so ganz sattelfest sind und alle öffentlichen Institutionen geben gute Ratschläge für den Umgang mit „Angehörigen der jüdischen Minderheit", "ausländischen Mitbürgern" etc. ) Dummerweise gibt es aber bis heute keine Handreichungen, wie man meinungsmäßig mit einem wildgewordenen Staatspräsidenten umgeht, der in den letzten Monaten des öfteren zum Mord an seinem palästinensischen Kollegen aufgerufen hat. Doch das hat man hierzulande gelernt: Kritik an jüdischen Mitbürgern ist nicht so ganz im Sinne der geschichtlichen Aufarbeitung. Man möchte ja kein Antisemit sein oder unangenehm auffallen, weil man etwas zu denken oder gar zu sagen wagt, was falsch verstanden werden könnte, nicht wahr?

Wir sind alle wahnsinnig tolerant, am liebsten gegenüber den Leuten, mit denen wir gerne umgehen, die wir gut kennen und bei denen wir immer sagen können, daß wir tolerant sind, ohne es einmal beweisen zu müssen. Konrad Beikircher (als gelernter, nicht geborener Rheinländer) bringt es auf den Punkt. Wenn er sagt : „ ...falls Sie mal nach Düsseldorf müssen, ich sage, falls sie mal müßten, nicht, daß Sie denken, sie sollen jetzt nach Düsseldorf...", dann heißt das im Klartext, daß es mit der Toleranz der anderen eben nicht so weit her ist, und da kann der Kölner/Bonner herzlich über den Düsseldorfer lachen, weil er mit dem ja sowieso nix am Hut hat und seine eigene Toleranz steht dann auch nicht zur Debatte. Was soll man als Kölner auch in Düsseldorf oder als Westfale im Rheinland? Da versteht uns doch sowieso keiner und so genau wollen wir den anderen ja auch gar nicht verstehen.

Das ist unser großes Problem.
Spätestens an dieser Stelle darf man fragen, welches Deutschland wir denn gerne hätten und welcher Art von Patriotismus diesem Land gut tun könnte: Wollen wir über Beikircher nur lachen oder machen wir uns auch die Mühe mal darüber nachzudenken, was Toleranz bedeutet? Wollen wir diese Dogmatik der Betroffenheit, die in den 70er Jahren Fuß faßte und bis heute mit den Waffen der „politically correctness" um sich schlägt? Wollen wir ein Deutschland, das die DDR verklärt und die sozialistisch planbare Kommando-Didaktik an den Schulen fortschreibt? Wollen wir das Deutschland, das die Spätaussiedler im und nach dem Zweiten Weltkrieg im Gedächtnis behielten und in Karagande, Workuta, Alma Ata und weiß Gott, wo sonst noch konservierten, bis sie als Ältere und Alte wieder nach Deutschland zurückfanden und ein Land entdeckten, das so anders geworden war, auch wenn ihr Deutsch verstanden wurde (ich persönlich mag dieses alte Deutsch der 30er/40er Jahre, das ich so oft in den Sprachkursen kennengelernt habe)? Wollen wir ein museales Land oder eins, das sich ständig verändert und immer wieder neu in Frage stellt? Konservieren wir oder reißen auch einmal ab und bauen neu?

Zugegeben, keine leichten Fragen. Es gibt soviele, die ganz genau wissen, was richtig ist und es gibt sowenige, die zugeben, daß es mit ein paar starken Worten nicht getan ist: Sei es der „Ruck durch Deutschland", den Roman Herzog einst beschwor, sei es der „Umbau der Gesellschaft", der die letzten Jahre erfolgen sollte, alles größtenteils leere Hülsen und auf die versprochenen Inhalte warte ich auch nicht erst seit den Ergebnissen von PISA. Es gibt leider nicht viele Menschen, die laut sagen, was sie denken und noch weniger, denen eine Lobby egal ist, weil es mittlerweile um Wichtigeres geht. Man muß Jürgen W. Möllemann dankbar sein, daß er die verkrustete Struktur durchbrochen hat und einen hirnrissigen Politiker und einen größenwahnsinnigen Moderator kritisiert hat, obwohl sie (rein zufällig) Juden waren. Wenn ich ein ausländisches Kind beim Klauen erwische und zur Rede stelle, bin ich ja auch noch nicht ausländerfeindlich (oder doch????)

Was die letzten Monate als Folge der „Antisemitismus-Debatte" passierte, ist allgemein bekannt: Möllemann wurde in eine Debatte gedrängt, in der er nicht gewinnen konnte, er galt auf einmal als Antisemit, seine Kontakte zur Deutsch-Arabischen Liga wurden plötzlich gegen ihn verwendet und im letzten Jahr wurde er scheibchenweise demontiert, bis er es nicht mehr aushielt und seinem Leben vermutlich ein Ende setzte. An seinem damaligen Standpunkt ändert es nichts und ich finde immer noch, er hat sich im letzten Jahr korrekt verhalten.

Was nun ans Tageslicht kommt, sind finanzielle Verstrickungen Möllemanns, bei denen man bitte schön - vielleicht mal den Ausgang der Ermittlungen abwarten sollte. Du liebe Güte! Franz-Josef Strauß hat noch ganz andere Dinger gedreht (Onkel Aloys, HS 30, Starfighter - schon vergessen?). Hat irgend jemand Helmut Kohl seine „blühenden Landschaften" nachgetragen, für die wir heute, morgen und wohl auch in Ewigkeit unseren Solidaritätszuschlag zahlen? Hat irgend jemand Helmut Kohl nachgetragen, daß er einige schwarze Milliönchen weiß gewaschen hat? Hat es vor fünfzehn Jahren jemanden gestört, daß Helmut Kohl so lange Aussiedler ins Land geholt hat, bis der CDU-Stimmenanteil über 50% lag und die Deutschkurse mangels Geld gekürzt und dann gestrichen werden mußten? Ich habe damals an diversen Volkshochschulen Crash-Kurse für Aussiedler gegeben und da mehr über Staatsführung gelernt als bei den politischen Seminaren der Uni. Das ist eben Geschichte. Natürlich sind die vor fünfzehn Jahren programmierten Probleme nicht richtig gelöst, zu viele Kinder dieser Aussiedlergeneration konnten nicht richtig deutsch, lernten es nie vernünftig und scheitern heute in der Berufswelt. Zu viele Ossis wurden nicht integriert und scheitern in dieser Gesellschaft, die ihnen ihre alte DDR regelrecht abgekauft hat und noch heute die Alimente dafür zahlt. Es fiel bislang auch kaum auf, daß Präsident Bush bis heute noch keinen Kriegsgrund gegen den Irak belegen konnte - die Fakten sind geschaffen und der Sieger des Krieges hat recht. Auch das gehört zur Geschichte.

Michael Friedman steht zwar gegenwärtig auch in der Diskussion, weil er den „Daum-Test" (Bild-Zeitung) nicht bestanden hat, aber er seine Drogen nun schnupft, raucht, fixt oder sonstwie konsumiert, ist mir egal - er arbeitet ja nicht mit Kindern und Jugendlichen und was er privat macht, geht keinen anderen etwas an. Trotzdem interessieren sich nun alle dafür. Hätte man aber auch Interesse an Friedman, wenn Möllemann noch leben würde und es diese unselige Diskussion vor einem Jahr nicht gegeben hätte? Wahrscheinlich nicht. Ganz sicher wird Friedman im Bewußtsein der Gesellschaft keine bleibende Rolle spiegeln ( es sei denn, mal als Nachfolger von Paul Spiegel), Jürgen W. Möllemann hat das Land durch sein Querdenken aber jetzt schon positiv verändert und dafür bin ich ihm dankbar.

Martin Schlu