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Verschiedenes - Editorial


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Martin SchluEditorial

Der Schröder in uns allen oder die Berliner Freiheit von der Kompetenz

19. Januar 2004




Liebe Leser,

ein alter Witz: "Was ist ein Schröder?" Antwort: "Die Zeitspanne zwischen der Ankündigung eines Gesetzes und seiner Rücknahme". Momentan müßte man mit halben Schrödern, Zenti-Schrödern und Milli-Schrödern arbeiten, um die Halbwertszeit zwischen der Ankündigung und ihrer Revision noch auszudrücken. Die letzten Wochen gab es so viele Differenzen in der Beurteilung der aktuellen Lage, weil Ulrich Wickert in den Tagesthemen oft Meldungen hatte, die im mitternächtlichen Ticker schon wieder anders aussahen, und was dann morgens im WDR zu hören war, war schon wieder etwas anderes als das, was ich eine viertel Stunde vorher in der Zeitung gelesen hatte. Ein paar Beispiele "Eintrittskarte beim Arzt", "Putzfrauen auf Steuerkarte", "Rechnungskontrolle bei Handwerkern" etc., sehr beliebt: "Steuerschätzung" und "voraussichtliches Wachstum". Milli-Schröder und Mikro-Schröder. Jedesmal, wenn ich dachte, ich würde die künftige Regelung kennen, gab es eine Ergänzung und - schwupps - war ich wieder unwissend, weil seit der letzten Änderung erst eine Nachrichtensendung vergangen war und ich bis heute nicht weiß, ob ich nun zehn Euro zahle, wenn ich zum Zahnarzt nachgucken komme oder nicht. Nein, sagt meine Frau, wir zahlen nicht, wir sind doch privat versichert. Ja, aber wie lange noch? Geld haben wir sowieso immer zuwenig und abgesehen davon, ist es Irrsinn, Löhne, die aus versteuerten Geldern bezahlt werden ein zweites Mal zu versteuern., wie dies ja gängige Praxis ist oder können Sie die Kosten für die Familie von der Steuer absetzen? Das Geld, das ich am Monatsanfang bekomme, ist bereits versteuert und ob ich mir davon eine Putzfrau kaufe, Essen gehe oder es in Abmahnungen stecke, geht den Staat eigentlich nix an (Übrigens putze ich selbst, wer weiß, wie lange ich dies noch steuerfrei darf...). Ich mag Friedrich Merz nicht, aber sein Steuerkonzept hat etwas für sich.

Auffallend ist bis heute das Bedürfnis, alles genauestens zu regeln, damit ja keiner bevorzugt wird. Also wird genauestens belegt, wieviel Schwarzarbeit (vermutlich irgendwie hochgerechnet) angeblich welchen Schaden anrichtet. Gleichzeitig hat unser Innenminister nichts Besseres zu tun, als zwei dezentrale Außenstellen (BKA Meckenheim und Wiesbaden) nach Berlin holen zu wollen. Schon schreiben die Zeitungen über Hunderte von Millionen, die es kosten würde und ich frage mich, ob der Schaden durch die Schwarzarbeit der Putzen oder durch einen wildgewordenen Innenminister höher ist. Gegenwärtig bekommen wir durch den Berliner Zentralisierungswahn Weimarer Verhältnisse und daß die Berlin-Besoffenheit der damals maßgebenden Herren Schäuble, Kohl und Thierse (Brandt kann man es im Nachhinein abnehmen) groteske Züge annehmen würde, war halbwegs intelligenten Leuten auch 1990 schon klar. Übrigens war auch 1990 abzusehen, daß wir eigentlich keine neue Hauptstadt mehr brauchen, weil die Musik in Brüssel (EU), Straßburg (EU) und New York (UN) spielt. Unsere Gesellschaft ist seit 1990 einfach eine andere geworden, herzloser, eigensüchtiger, rücksichtsloser und schlechter ausgebildet. Klar, so etwas sagte Sokrates auch schon vor über 2000 Jahren, aber mich ärgern die Verfallserscheinungen eines Gemeinwesens einfach, zumal ich auch noch Zeiten kenne, in denen politische Visionen, wenn schon nicht geschafft, so doch zumindest geträumt wurden. Mehr Demokratie wagen! Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen (stammt von Willy Brandt). Heute wagt man bestenfalls noch einen Mini-Job bei MacDoof und ich kenne zuviele Schüler, die auftreten wie unser Bundeskanzler: sie wollen alles bestimmen, haben keine Ahnung von der Materie, sind beratungs- und erkenntnisresistent und statt Argumenten tönt es nur "Basta!". Kein Wunder bei dem Vorbild. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Gerhard Schröder auf die Knie fallen und um Entschuldigung bitten würde, wie es Willy Brandt einmal getan hat.

Ich erinnere mich an eine Sendung eines jüdischen Kulturmagazins, das ich mir unbedingt anschauen wollte. Die Moderatorin hieß Lea, war wahrscheinlich auch Jüdin und erzählte nach ein bißchen Einleitung zum Selbstverständnis, diese Sendung wolle die Differenzen zwischen Juden und Deutschen abbauen. Mir blieb die Spucke weg: Deutsche und Juden. Warum sagt diese Frau nicht "jüdische Deutsche, christliche Deutsche, muslimische Deutsche?". Das würde man verstehen. das würden sogar unsere Schüler verstehen, sogar die, die einen deutsche Paß haben, aber grammatische Fehler produzieren, daß es einer Sau graust. Nein, Lea, so wird das nix mit der Toleranz. Da ist mir Marcel Reich-Ranicki zehnmal lieber: "Ich bin ein halber Pole, ein halber Deutscher und ein ganzer Jude!"
(zit. nach: MRR, Mein Leben. Stuttgart 1999, S. 11).

Es war sicherlich alles gut gemeint, aber das ist das Schlimme: Gut gemeint kann schlimmer sein, als schlecht gemacht. Sei es diese unsägliche Sendung, sei es ein israelischer Botschafter, der in Schweden erst ins Kunstwerk und dann ins Fettnäpfchen tritt und von seiner Regierung nicht nur gedeckt wird, sondern auch von der Mehrheit Israels. Was hätte Sokrates wohl hierzu gesagt? "Ich weiß, daß ich nichts weiß". Besser so, als wenn alle wissen, daß man nichts weiß und man kriegt es noch nicht mal mit, weil man nicht mehr weiß, was man wann gesagt hat.

Basta!

MS