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Martin SchluEditorial

Die europäische Emanzipation und das amerikanische Desaster

21. September 2003




Anna Lindh ist begraben, die Schweden haben den Euro trotzdem abgelehnt und heute abend wird Edmund Stoiber wahrscheinlich eine Zweidrittelmehrheit in Bayern haben und könnte damit, wenn er wollte, wieder die Monarchie einführen. Diese beiden Ereignisse zeigen folgendes: Selbst eine überaus sympathische Außenministerin hat es nicht geschafft, ihr Land vom Wert eines eher zentralistischen Europas zu überzeugen und so werden die Schweden die nächsten Jahre eher euro-skeptisch bleiben und ihre Eigenständigkeit betonen. Selbst ein bayrischer Ministerpräsident mit Bundesabsichten ist noch so stark, daß er in seinem Land unbestreitbarer Platzhirsch ist, obwohl er die letzte Bundestagswahl hauchdünn (8000 Stimmen waren es damals) verloren hat. Kurz gesagt: die Region hat sich durchgesetzt und die Zentrale hat eine gewisse Schlappe erlitten - warum auch immer, lasse ich jetzt mal offen.

Am Dienstag treffen sich Schröder und Bush zum erstenmal seit den Anfängen des letzten Irak-Krieges und da wird sich zeigen, welchen Wert amerikanisches und europäisches Selbstverständnis haben. Nicht vergessen werden sollte Donald Rumsfelds - abfällig gemeinte - Äußerung über das "alte Europa", nachdem Schröder deutlich gemacht hatte, daß es keine bedingungslose Solidarität - wie in den Tagen nach "Nine/Eleven" - mehr geben würde. Natürlich hat es jede Menge Knatsch gegeben und Angela Merkel hat sich mit ihrer voreiligen Sympathiebekundung gegenüber Bush und Blair eventuell schon vorzeitig ins Abseits gestellt, weil der amerikanische Präsident "vom Großmaul zum Bittsteller" (STERN-Titel) geworden ist und - hoffentlich - die nächste Wahl verlieren könnte. Nein, am Dienstag werden verschiedene Welten aufeinanderprallen und es ist zu hoffen, daß Schröder nicht umfällt und die europäische Position aus deutscher Sicht deutlich machen kann. Diese Position kann nur eine Abkehr von der Doktrin bedeuten, die mal nach dem 2. Weltkrieg gegolten hat. Meine Eltern hatten ja Grund, den Amerikanern dankbar zu sein, weil die eine - damals - neue Nachkriegsordnung durchgesetzt hatten, von denen die BRD profitierte, die DDR aber eben nicht. Allerdings ist die Welt seit dem Mauerfall und dem Untergang der UdSSR eine andere geworden und die Amerikaner haben seit Vietnam nicht nur ihre Unschuld, sondern einfach jede moralische Überlegenheit verloren.

Ich habe keinen Grund, den Amerikanern dankbar zu sein. Ich wurde nicht befreit. Ich durfte in der Schule ab 1970 nichts gegen Amerika sagen ohne als "undankbar" zu gelten. Während meines Studiums habe ich erlebt, wie man verdächtig wurde, wenn man gegen die "Pershing-Raketen" demonstrierte (Bonner Rheinaue 80er Jahre), wie man schief angesehen wurde, wenn man gegen den Nato-Doppelbeschluß demonstrierte, wenn man auf die Straße ging, weil ab Helmut Kohl die Bildung kaputtgespart wurde, während die Bundeswehr im Gefolge der US-Army hochrüstete. Wer von den Jüngeren weiß denn, daß in amerikanischen Strategien Deutschland als atomares Kampfgebiet zwischen USA und UdSSR ausersehen war um die restliche freie Welt vor dem Kommunismus zu schützen? Nein, auf diese Art der amerikanischen Weltordnung konnte nicht nur ich bestens verzichten, sondern wahrscheinlich alle in den Fünfzigern und später Geborenen.

Jetzt sind wir wieder in einer Grenzsituation zwischen Emanzipation und Gehorsam. Ich bin dafür, die Trennung von der USA einzuleiten. Wenn die Ehe nicht mehr stimmt, sollte man zum Anwalt gehen, sie auflösen und sich in Würde trennen. Der Zeitpunkt ist gekommen, eine starke europäische Region als gleichwertigen Partner gegenüber der USA zu definieren und die Vasallentreue der USA gegenüber aufzukündigen. Das alte Europa ist neuer als der größte Teil der amerikanischen Kultur. Ich möchte keine amerikanische Gesellschaft in Europa. Ich möchte kein amerikanisches Sozialsystem, keine amerikanische Bildung, kein amerikanisches Fernsehen, keine Politiker vom Schlage Rumsfelds, Bush, sr, jr oder Reagan. Ich möchte keine Gesellschaft in der notwendige Gedanken der political correctness geopfert werden, in der Unangreifbarkeit wichtiger ist als kritisches Denken und in der man gezwungen wird nach einer zentralistischen Kultur zu leben. Nein, die UdSSR hat ihren Stalin überwunden, Deutschland hat Hitler fast überwunden, die USA haben dies alles noch vor sich. Nein danke!

Time to say goodbye....

Martin Schlu