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Editorial
Knockin On Heaven's Door oder
die Würde des Menschen
28. Juli 2004
Liebe Leser,
Vor ein paar Jahren gab es einen - danach Kult
gewordenen - Film mit Til Schweiger und Moritz
Bleibtreu namens "Knockin On Heaven's Door". Es war
kein Film über oder mit Bob Dylan, sondern es
ging dabei um das Schicksal zweier todkranker
Männer, die wissen, daß sie noch ein
paar Tage zu leben haben und sich daher um die
üblichen Spielregeln der Gesellschaft nicht zu
kümmern brauchen. Der Film ist immer noch
gnadenlos gut, denn trotz aller wirklich komischen
Elemente gelingt das Kunststück auf dem
schmalen Grat zwischen Fiktion und Wahrheit zu
balancieren, zwischen Komik und Tragik, zwischen
Unterhaltung und Entsetzen. Typisch ist die Szene,
als ein Gangsterduo flüchten muß und der
Gangster Abdul alias Moritz Bleibtreu seinen Kumpan
fragt: "Hast du gelernt diese Scheiße?",
bloß, weil der äußert, er
hätte lieber einen anderen Beruf gelernt als
kriminell zu sein. Soweit so gut, aber warum das
alles?
Es gibt gegenwärtig einen realen Fall, in dem
mich das blanke Entsetzen überkommt. Da gibt
es einen bedeutenden Maler, Jörg Immendorf,
dem gerade dieses passiert: er weiß,
daß er noch ein paar Tage zu leben hat,
möchte sein bißchen verbleibendes Leben
auskosten und da er das nötige Kleingeld hat,
bestellt er sich Frauen ins Hotel, nimmt ein etwas
zuviel Koks und muß seine vermutlich letzten
Tage mit einem bescheuerten Richter zubringen, der
ihn nicht kennt, ihm entwürdigende Fragen
stellt und offensichtlich nicht begreift, daß
Recht und Moral hier zwei Paar Stiefel sind.
Immendorf hat definitiv einen anderen Beruf
gelernt, ob ob er kriminell geworden ist, kann ich
zwar nicht einschätzen, aber daß dies
eine absolut untergeordnete Frage ist, erscheint
mir glasklar. Dem SPIEGEL sei Dank dafür,
daß er halbwegs fair über das Verfahren
berichtet, aber ich schäme mich
gegenwärtig für unser Rechtssystem, das
solche Verfahren überhaupt zuläßt.
Immendorf wird für ein vergleichsweise kleines
Vergehen schlimmer vorgeführt als ein
Ackermann oder Esser, die nach meinem Empfinden
mehr Schaden angerichtet haben. Die haben ihre
Taten nur nicht so spektakulär inszeniert.
Dem verhandelnden Richter ist zu wünschen,
daß er sich sein letztes Bißchen
Anstand bewahrt und das Verfahren gegen Immendorf
als unangemessen einstellt. Zu was will er ihn auch
verurteilen? Jeden Tag kann Immendorf sterben und
damit ist die Ausführung des Gesetzes
gegenstandslos. Offensichtlich ist es aber
wichtiger, den Prozeß durchzuziehen, als nach
dem Sinn zu fragen.
Armes Deutschland!
MS
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