www.martinschlu.de

 

Verschiedenes - Editorial


zurück

1987

1996

1998

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

 

 

-> Querformat bitte nutzen

Martin SchluEditorial

Knockin On Heaven's Door oder
die Würde des Menschen

28. Juli 2004




Liebe Leser,
Vor ein paar Jahren gab es einen - danach Kult gewordenen - Film mit Til Schweiger und Moritz Bleibtreu namens "Knockin On Heaven's Door". Es war kein Film über oder mit Bob Dylan, sondern es ging dabei um das Schicksal zweier todkranker Männer, die wissen, daß sie noch ein paar Tage zu leben haben und sich daher um die üblichen Spielregeln der Gesellschaft nicht zu kümmern brauchen. Der Film ist immer noch gnadenlos gut, denn trotz aller wirklich komischen Elemente gelingt das Kunststück auf dem schmalen Grat zwischen Fiktion und Wahrheit zu balancieren, zwischen Komik und Tragik, zwischen Unterhaltung und Entsetzen. Typisch ist die Szene, als ein Gangsterduo flüchten muß und der Gangster Abdul alias Moritz Bleibtreu seinen Kumpan fragt: "Hast du gelernt diese Scheiße?", bloß, weil der äußert, er hätte lieber einen anderen Beruf gelernt als kriminell zu sein. Soweit so gut, aber warum das alles?

Es gibt gegenwärtig einen realen Fall, in dem mich das blanke Entsetzen überkommt. Da gibt es einen bedeutenden Maler, Jörg Immendorf, dem gerade dieses passiert: er weiß, daß er noch ein paar Tage zu leben hat, möchte sein bißchen verbleibendes Leben auskosten und da er das nötige Kleingeld hat, bestellt er sich Frauen ins Hotel, nimmt ein etwas zuviel Koks und muß seine vermutlich letzten Tage mit einem bescheuerten Richter zubringen, der ihn nicht kennt, ihm entwürdigende Fragen stellt und offensichtlich nicht begreift, daß Recht und Moral hier zwei Paar Stiefel sind. Immendorf hat definitiv einen anderen Beruf gelernt, ob ob er kriminell geworden ist, kann ich zwar nicht einschätzen, aber daß dies eine absolut untergeordnete Frage ist, erscheint mir glasklar. Dem SPIEGEL sei Dank dafür, daß er halbwegs fair über das Verfahren berichtet, aber ich schäme mich gegenwärtig für unser Rechtssystem, das solche Verfahren überhaupt zuläßt. Immendorf wird für ein vergleichsweise kleines Vergehen schlimmer vorgeführt als ein Ackermann oder Esser, die nach meinem Empfinden mehr Schaden angerichtet haben. Die haben ihre Taten nur nicht so spektakulär inszeniert.

Dem verhandelnden Richter ist zu wünschen, daß er sich sein letztes Bißchen Anstand bewahrt und das Verfahren gegen Immendorf als unangemessen einstellt. Zu was will er ihn auch verurteilen? Jeden Tag kann Immendorf sterben und damit ist die Ausführung des Gesetzes gegenstandslos. Offensichtlich ist es aber wichtiger, den Prozeß durchzuziehen, als nach dem Sinn zu fragen.

Armes Deutschland!

MS