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Biographie
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1826
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1827
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1828
Rahmenhandlung
1. Teil
Die
Sage vom
Hirschgulden
Rahmenhandlung
2.Teil
Das
kalte Herz
Rahmenhandlung
3. Teil
Saids
Schicksale
Rahmehandlung
4. Teil
Die
Höhle von
Steenfoll
Rahmenhandlung
5. Teil
Das
kalte Herz II
Rahmenhandlung
letzter Teil
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Wilhelm
Hauff
Saids Schicksale
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- Saids Schicksale
- Zur Zeit Harun al Raschids, des
Beherrschers von Bagdad, lebte ein Mann in Balsora, mit
Namen Benezar. Er hatte gerade so viel Vermögen, um
für sich bequem und ruhig leben zu können, ohne
ein Geschäft oder einen Handel zu treiben. Auch als
ihm ein Sohn geboren wurde, ging er von dieser Weise
nicht ab. "Warum soll ich in meinem Alter noch schachern
und handeln", sprach er zu seinen Nachbarn, "um
vielleicht Said, meinem Sohn, tausend Goldstücke
mehr hinterlassen zu können, wenn es gut geht, und
geht es schlecht, tausend weniger? Wo zwei speisen, wird
auch ein dritter satt, sagt das Sprichwort, und wenn er
nur sonst ein guter Junge wird, solle es ihm an nichts
fehlen." So sprach Benezar und hielt Wort. Denn er
ließ auch seinen Sohn nicht zum Handel oder einem
Gewerbe erziehen; doch unterließ er es nicht, die
Bücher der Weisheit mit ihm zu lesen, und da nach
seiner Ansicht einen jungen Mann außer
Gelehrsamkeit und Ehrfurcht vor dem Alter nichts mehr
zierte als ein gewandter Arm und Mut, so ließ er
ihn frühe in den Waffen unterweisen, und Said galt
bald unter seinen Altersgenossen, ja selbst unter
älteren Jünglingen, für einen gewaltigen
Kämpfer, und im Reiten und Schwimmen tat es ihm
keiner zuvor.
-
- Als er achtzehn Jahre alt war,
schickte ihn sein Vater nach Mekka zum Grabe des
Propheten, um an Ort und Stelle sein Gebet und seine
religiösen Übungen zu verrichten, wie es Sitte
und Gebot erfordern. Ehe er abreiste, ließ ihn sein
Vater noch einmal vor sich kommen, lobte seine
Aufführung, gab ihm gute Lehren, versah ihn mit Geld
und sprach dann: "Noch etwas, mein Sohn Said. Ich bin ein
Mann, der über die Vorurteile des Pöbels
erhaben ist. Ich höre zwar gerne Geschichten von
Feen und Zauberern erzählen, weil mir die Zeit dabei
angenehm vergeht; doch bin ich weit entfernt, daran zu
glauben, wie so viele unwissende Menschen tun, daß
diese Genien, oder wer sie sonst sein mögen,
Einfluß auf das Leben und Treiben der Menschen
haben. Deine Mutter aber, sie ist jetzt zwölf Jahre
tot, deine Mutter glaubte so fest daran als an den Koran;
ja sie hat mir in einer einsamen Stunde, nachdem ich ihr
geschworen, es niemand als ihrem Kinde zu entdecken,
vertraut, daß sie selbst von ihrer Geburt an mit
einer Fee in Berührung gestanden habe. Ich habe sie
deswegen ausgelacht, und doch muß ich gestehen,
Said, daß bei deiner Geburt einige Dinge vorfielen,
die mich selbst in Erstaunen setzten. Es hatte den ganzen
Tag geregnet und gedonnert und der Himmel war so schwarz,
daß man nichts lesen konnte ohne Licht. Aber um
vier Uhr nachmittags sagte man mir an, es sei mir ein
Knäblein geboren. Ich eilte nach den Gemächern
deiner Mutter, um meinen Erstgeborenen zu sehen und zu
segnen, aber alle ihre Zofen standen vor der Türe,
und auf meine Frage antworteten sie, daß jetzt
niemand in das Zimmer treten dürfe, Zemira, deine
Mutter habe alle hinausgehen heißen, weil sie
allein sein wolle. Ich pochte an die Türe, aber
umsonst, sie blieb verschlossen.
-
- Während ich so halb unwillig
unter den Zofen vor der Türe stand, klärte sich
der Himmel so plötzlich auf, wie ich es nie gesehen
hatte, und das wunderbarste war, daß nur über
unserer lieben Stadt Balsora eine reine, blaue
Himmelswölbung erschien, ringsum aber lagen die
Wolken schwarz aufgerollt, und Blitze zuckten und
schlängelten sich in diesem Umkreis. Während
ich noch dieses Schauspiel neugierig betrachtete, flog
die Türe meiner Gemahlin auf; ich aber ließ
die Mägde noch außen harren und trat allein in
das Gemach, deine Mutter zu fragen, warum sie sich
eingeschlossen habe. Als ich eintrat, quoll mir ein so
betäubender Geruch von Rosen, Nelken und Hyazinthen
entgegen, daß ich beinahe verwirrt wurde. Deine
Mutter brachte mir dich dar und deutete zugleich auf ein
silbernes Pfeifchen, das du um den Hals an einer goldenen
Kette, so fein wie Seide, trugst. ,Die gütige Frau,
von welcher ich dir einst erzählte, ist dagewesen',
sprach deine Mutter, ,sie hat deinem Knaben dieses
Angebinde gegeben.' - ,Das war also die Hexe, die das
Wetter schönmachte und diesen Rosen- und Nelkenduft
hinterließ?' sprach ich lachend und ungläubig.
,Aber sie hätte etwas Besseres bescheren können
als dieses Pfeifchen; etwa einen Beutel voll Gold, ein
Pferd oder dergleichen.' Deine Mutter beschwor mich,
nicht zu spotten, weil die Feen, leicht erzürnt,
ihren Segen in Unsegen verwandeln.
-
- Ich tat es ihr zu Gefallen und
schwieg, weil sie krank war; wir sprachen auch nicht mehr
von dem sonderbaren Vorfall bis sechs Jahre danach, als
sie fühlte, daß sie, so jung sie noch war,
sterben müsse. Da gab sie mir das Pfeifchen, trug
mir auf, es einst, wenn du zwanzig Jahre alt seiest, dir
zu geben, denn keine Stunde zuvor dürfe ich dich von
mir lassen. Sie starb. Hier ist nun das Geschenk", fuhr
Benezar fort, indem er ein silbernes Pfeifchen an einer
langen, goldenen Kette aus einem Kästchen
hervorsuchte, "und ich gebe es dir in deinem achtzehnten,
statt in deinem zwanzigsten Jahre, weil du abreisest und
ich vielleicht, ehe du heimkehrst zu meinen Vätern
versammelt werde. Ich sehe keinen vernünftigen Grund
ein, warum du noch zwei Jahre hierbleiben sollst, wie es
deine besorgte Mutter wünschte. Du bist ein guter
und gescheiter Junge, führst die Waffen so gut als
einer von vierundzwanzig Jahren, daher kann ich dich
heute ebensogut für mündig erklären, als
wärest du schon zwanzig. Und nun ziehe in Frieden
und denke im Glück und Unglück, vor welchem der
Himmel dich bewahren wolle, an deinen Vater."
-
- So sprach Benezar von Balsora, als er
seinen Sohn entließ. Said nahm bewegt von ihm
Abschied, hing die Kette um den Hals, steckte das
Pfeifchen in den Gürtel, schwang sich aufs Pferd und
ritt nach dem Ort, wo sich die Karawane nach Mekka
versammelte. In kurzer Zeit waren an achtzig Kamele und
viele hundert Reiter beisammen; die Karawane setzte sich
in Marsch, und Said ritt aus dem Tore von Balsora, seiner
Vaterstadt, die er in langer Zeit nicht mehr sehen
sollte.
-
- Das Neue einer solchen Reise und die
mancherlei nie gesehenen Gegenstände, die sich ihm
aufdrängten, zerstreuten ihn anfangs; als man sich
aber der Wüste näherte und die Gegend immer
öder und einsamer wurde, da fing er an, über
manches nachzudenken und unter anderem auch über die
Worte, womit ihn Benezar, sein Vater, entlassen
hatte.
-
- Er zog das Pfeifchen hervor,
beschaute es hin und her und setzte es endlich an den
Mund, um einen Versuch zu machen, ob es vielleicht einen
recht hellen und schönen Ton von sich gebe; aber
siehe, es tönte nicht; er blähte die Backen auf
und blies aus Leibeskräften, aber er konnte keinen
Ton hervorbringen, und unwillig über das nutzlose
Geschenk, steckte er das Pfeifchen wieder in den
Gürtel. Aber bald richteten sich alle seine Gedanken
wieder auf die geheimnisvollen Worte seiner Mutter; er
hatte von Feen manches gehört, aber nie hatte er
erfahren, daß dieser oder jener Nachbar in Balsora
mit einem übernatürlichen Genius in Verbindung
gestanden sei, sondern man hatte die Sagen von diesen
Geistern immer in weit entfernte Länder und alte
Zeiten versetzt, und so glaubte er, es gäbe
heutzutage keine solchen Erscheinungen mehr oder die Feen
hätten aufgehört, die Menschen zu besuchen und
an ihren Schicksalen teilzunehmen. Obgleich er aber also
dachte, so war er doch immer wieder von neuem versucht,
an irgend etwas Geheimnisvolles und
Übernatürliches zu glauben, was mit seiner
Mutter vorgegangen sein könnte, und so kam es,
daß er beinahe einen ganzen Tag wie ein
Träumender zu Pferde saß und weder an den
Gesprächen der Reisenden teilnahm noch auf ihren
Gesang oder ihr Gelächter achtete.
- Said war ein sehr schöner
Jüngling; sein Auge war mutig und kühn, sein
Mund voll Anmut, und so jung er war, so hatte er doch in
seinem ganzen Wesen schon eine gewisse Würde, die
man in diesem Alter nicht so oft trifft, und der Anstand,
womit er, leicht, aber sicher und in vollem kriegerischem
Schmuck, zu Pferde saß, zog die Blicke manches der
Reisenden auf sich. Ein alter Mann, der an seiner Seite
ritt, fand Wohlgefallen an ihm und versuchte durch manche
Fragen auch seinen Geist zu prüfen. Said, welchem
Ehrfurcht gegen das Alter eingeprägt worden war,
antwortete bescheiden, aber klug und umsichtig, so
daß der Alte eine große Freude an ihm hatte.
Da aber der Geist des jungen Mannes schon den ganzen Tag
nur mit einem Gegenstand beschäftigt war, so geschah
es, daß man bald auf das geheimnisvolle Reich der
Feen zu sprechen kam, und endlich fragte Said den Alten
geradezu, ob er glaube, daß es Feen, gute oder
böse Geister geben könne, welche den Menschen
beschützen oder verfolgen.
- Der alte Mann strich sich den Bart,
neigte den Kopf hin und her und sprach dann: "Leugnen
läßt es sich nicht, daß es solche
Geschichten gegeben hat, obgleich ich bis heute weder
einen Geisterzwerg noch einen Genius als Riese, weder
einen Zauberer noch eine Fee gesehen habe." Der Alte hob
dann an und erzählte dem jungen Mann so viele und
wunderbare Geschichten, daß ihm der Kopf
schwindelte und er nicht anders dachte, als alles, was
bei seiner Geburt vorgegangen, die Änderung des
Wetters, der süße Rosen- und Hyazinthenduft,
sei von großer, glücklicher Vorbedeutung, er
selbst stehe unter dem besonderen Schutz einer
mächtigen, gütigen Fee und das Pfeifchen sei zu
nichts Geringerem ihm geschenkt worden, als der Fee im
Fall der Not zu pfeifen. Er träumte die ganze Nacht
von Schlössern, Zauberpferden, Genien und
dergleichen und lebte in einem wahren
Feenreich.
- Doch leider mußte er schon am
folgenden Tag die Erfahrung machen, wie nichtig all seine
Träume im Schlafen oder Wachen seien. Die Karawane
war schon den größten Teil des Tages im
gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der
Seite seines alten Gefährten, als man dunkle
Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die
einen hielten sie für Sandhügel, die andern
für Wolken, wieder andere für eine neue
Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht
hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen, denn es
sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die
Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die
Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf
einen Angriff gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich
langsam über die Ebene her und war anzusehen wie
eine große Schar Störche, wenn sie in ferne
Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller
heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen
unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile
herbeistürmten und auf die Karawane
einhieben.
-
- Die Männer wehrten sich tapfer,
aber die Räuber waren über vierhundert Mann
stark, umschwärmten sie von allen Seiten,
töteten viele aus der Ferne her und machten dann
einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren
Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten
wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es
schnell hervor, setzte es an den Mund blies und - lies es
schmerzlich wieder sinken, denn es gab auch nicht den
leisesten Ton von sich. Wütend über diese
grausame Enttäuschung, zielte er und schoß
einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung
auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom
Pferd.
-
- "Allah! Was habt Ihr gemacht, junger
Mensch!" rief der Alte an seiner Seite. "Jetzt sind wir
alle verloren." Und so schien es auch; denn kaum sahen
die Räuber diesen Mann fallen, als sie ein
schreckliches Geschrei erhoben und mit solcher Wut
eindrangen, daß die wenigen noch unverwundeten
Männer bald zersprengt wurden. Said sah sich in
einem Augenblick von fünf oder sechs
umschwärmt. Er führte seine Lanze so gewandt,
daß keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt
einer an, legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben
die Sehne schnellen lassen, als ihm ein anderer winkte.
Der junge Mann machte sich auf einen neuen Angriff
gefaßt, aber ehe er es versah, hatte ihm einer der
Araber eine Schlinge über den Kopf geworfen, und
sosehr er sich bemühte, das Seil zu zerreißen,
so war doch alles umsonst, die Schlinge wurde fester und
immer fester angezogen, und Said war
gefangen.
-
- Die Karawane war endlich entweder
ganz aufgerieben oder gefangen worden, und die Araber,
welche nicht zu einem Stamm gehörten, teilten jetzt
die Gefangenen und die übrige Beute und zogen dann
der eine Teil nach Süden, der andere nach Osten.
Neben Said ritten vier Bewaffnete, welche ihn oft mit
bitterem Grimm anschauten und Verwünschungen
über ihn ausstießen; er merkte, daß es
ein vornehmer Mann, vielleicht sogar ein Prinz gewesen
sei, welchen er getötet hatte. Die Sklaverei,
welcher er entgegensah, war noch härter als der Tod,
darum wünschte er sich im stillen Glück, den
Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen zu haben, denn er
glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getötet zu
werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen,
und sooft er sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren
Spießen; einmal aber, als das Pferd des einen
strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und erblickte
zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefährten,
welchen er unter den Toten geglaubt hatte.
-
- Endlich sah man in der Ferne
Bäume und Zelte; als sie näher kamen,
strömte ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern
entgegen, aber kaum hatten diese einige Worte mit den
Räubern gewechselt, als sie in ein schreckliches
Geheul ausbrachen und alle nach Said hinblickten, die
Arme gegen ihn erhoben und Verwünschungen
ausstießen. "Jener ist es", schrien sie, "der den
großen Almansor erschlagen hat, den tapfersten
aller Männer; er muß sterben, wir wollen sein
Fleisch dem Schakal der Wüste zur Beute geben." Dann
drangen sie mit Holzstücken, Erdschollen, und was
sie zur Hand hatten, so furchtbar auf Said ein, daß
sich die Räuber selbst ins Mittel legen
mußten. "Hinweg ihr Unmündigen, fort ihr
Weiber!" riefen sie und trieben die Menge mit den Lanzen
auseinander; "er hat den großen Almansor erschlagen
im Gefecht, und er muß sterben, aber nicht von der
Hand eines Weibes, sondern vom Schwert der
Tapferen."
-
- Als sie unter den Zelten auf einem
freien Platze angelangt waren, machten sie halt; die
Gefangenen wurden je zwei und zwei zusammengebunden, die
Beute in die Zelte gebracht, Said aber wurde einzeln
gefesselt und in ein großes Zelt geführt. Dort
saß ein alter, prachtvoll gekleideter Mann, dessen
ernste, stolze Miene verkündete, daß er das
Oberhaupt dieser Horde sei. Die Männer, welche Said
führten, traten traurig und mit gesenktem Haupt vor
ihn hin. "Das Geheul der Weiber sagt mir, was geschehen
ist", sprach der majestätische Mann, indem er die
Räuber der Reihe nach anblickte; "eure Mienen
bestätigen es - Almansor ist gefallen."
-
- "Almansor ist gefallen", antworteten
die Männer, "aber hier, Selim, Beherrscher der
Wüste, ist sein Mörder, und wir bringen ihn,
damit du ihn richtest; welche Todesart soll er sterben?
Sollen wir ihn aus der Ferne mit Pfeilen
erschießen, sollen wir ihn durch eine Gasse von
Lanzen jagen, oder willst du, daß er an einem
Strick aufgehängt oder von Pferden zerrissen
werde?"
-
- "Wer bist du?" fragte Selim,
düster auf den Gefangenen blickend, der zum Tod
bereit, aber mutig vor ihm stand.
- Said beantworte seine Frage kurz und
offen.
-
- "Hast du meinen Sohn meuchlings
umgebracht? Hast du ihn von hinten mit einem Pfeil oder
einer Lanze durchbohrt?"
-
- "Nein, Herr!" entgegnete Said. "Ich
habe ihn in offenem Kampfe beim Angriff auf unsere Reihe
von vorne getötet, weil er schon acht meiner
Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte."
-
- "Ist es also, wie er sprach?" fragte
Selim die Männer, die ihn gefangen
hatten.
-
- "Ja, Herr, er hat Almansor in offenem
Kampfe getötet", sprach einer der
Gefragten.
-
- "Dann hat er nicht mehr und nicht
minder getan, als wir selbst getan haben würden",
versetzte Selim, "er hat seinen Feind, der ihm Freiheit
und Leben rauben wollte, bekämpft und erschlagen;
drum löset schnell seine Bande!"
-
- Die Männer sahen ihn staunend an
und gingen nur zaudernd und mit Widerwillen ans Werk. "So
soll der Mörder deines Sohnes, des tapferen
Almansor, nicht sterben?" fragte einer, indem er
wütende Blicke auf Said war. "Hätten wir ihn
lieber gleich umgebracht!"
-
- "Er soll nicht sterben!" rief Selim.
"Und ich nehme ihn sogar in mein eigenes Zelt auf, ich
nehme ihn als meinen gerechten Anteil an der Beute, er
sei mein Diener."
-
- Said fand keine Worte, dem Alten zu
danken; die Männer aber verließen murrend das
Zelt, und als sie den Weibern und Kindern, die
draußen versammelt waren und auf Saids Hinrichtung
warteten, den Entschluß des alten Selim mitteilten,
erhoben sie ein schreckliches Geheul und Geschrei und
riefen, sie würden Almansors Tod an seinem
Mörder rächen, weil sein eigener Vater die
Blutrache nicht üben wollte.
-
- Die übrigen Gefangenen wurden an
die Horden verteilt, einige entließ man, um
Lösegeld für die reicheren einzutreiben, andere
wurden zu den Herden als Hirten geschickt, und manche,
die vorher von zehn Sklaven sich bedienen ließen,
mußten die niedrigsten Dienste in diesem Lager
versehen. Nicht so Said. War es sein mutiges,
heldenmäßiges Aussehen oder der geheimnisvolle
Zauber einer gütigen Fee, was den alten Selim
für den Jüngling einnahm? Man wußte es
nicht zu sagen, aber Said lebte in seinem Zelt mehr als
ein Sohn denn als Diener. Aber die unbegreifliche
Zuneigung des alten Mannes zog ihm die Feindschaft der
übrigen Diener zu. Er begegnete überall nur
feindlichen Blicken, und wenn er allein durchs Lager
ging, so hörte er ringsumher Schimpfworte und
Verwünschungen ausstoßen, ja einige Male
flogen Pfeile an seiner Brust vorüber, die offenbar
ihm gegolten hatten, und daß sie ihn nicht trafen,
schrieb er nur dem Pfeifchen zu, das er noch immer auf
der Brust trug und welchem er diesen Schutz zu danken
glaubte. Oft beklagte er sich bei Selim über diese
Angriffe auf sein Leben, aber vergebens suchte dieser die
Meuchelmörder ausfindig zu machen, denn die ganze
Horde schien gegen den begünstigten Fremdling
verbunden zu sein. Da sprach eines Tages Selim zu ihm:
"Ich hatte gehofft, du werdest mir vielleicht den Sohn
ersetzen, der durch deine Hand umgekommen ist; an dir und
mir liegt nicht die Schuld, daß es nicht sein
konnte; alle sind gegen dich erbittert, und ich selbst
kann dich in Zukunft nicht mehr schützen, denn was
hilft es dir oder mir, wenn sie dich heimlich
getötet haben, die Schuldigen zur Strafe zu ziehen?
Darum, wenn die Männer von ihrem Streifzug
heimkehren, werde ich sagen, dein Vater habe mir
Lösegeld geschickt, und ich werde dich durch einige
treue Männer durch die Wüste geleiten
lassen."
-
- "Aber kann ich irgendeinem
außer dir trauen?" fragte Said bestürzt.
"Werden sie mich nicht unterwegs töten?"
- "Davor schützt dich der Eid, den
sie mir schwören müssen und den noch keiner
gebrochen hat", erwiderte Selim mit großer Ruhe.
Einige Tage nachher kehrten die Männer ins Lager
zurück, und Selim hielt sein Versprechen. Er
schenkte dem Jüngling Waffen, Kleider und ein Pferd,
versammelte die streitbaren Männer, wählte
fünf zur Begleitung Saids aus, ließ sie einen
furchtbaren Eid ablegen, daß sie ihn nicht
töten wollten, und entließ ihn dann mit
Tränen.
-
- Die fünf Männer ritten
finster und schweigend mit Said durch die Wüste; der
Jüngling sah, wie ungern sie den Auftrag
erfüllten, und es machte ihm nicht wenig Besorgnis,
daß zwei von ihnen bei jenem Kampfe zugegen waren,
wo er Almansor tötete. Als sie etwa acht Stunden
zurückgelegt hatten, hörte Said, daß sie
untereinander flüsterten, und bemerkte, daß
ihre Mienen noch düsterer wurden als vorher. Er
strengte sich an, aufzuhorchen, und vernahm, daß
sie sich in einer Sprache unterhielten, die nur von
dieser Horde, und immer nur bei geheimnisvollen oder
gefährlichen Unternehmungen, gesprochen wurde;
Selim, der den Plan gehabt hatte, den jungen Mann auf
immer in seinem Zelte zu behalten, hatte sich manche
Stunde damit abgegeben, ihn diese geheimnisvollen Worte
zu lehren; aber es war nichts Erfreuliches, was er jetzt
vernahm.
-
- "Hier ist die Stelle", sprach einer,
"hier griffen wir die Karawane an, und hier fiel der
tapferste Mann von der Hand eines Knaben."
-
- "Der Wind hat die Spuren seines
Pferdes verweht", fuhr ein anderer fort, "aber ich habe
sie nicht vergessen."
- "Und zu unserer Schande soll der noch
leben und frei sein, der Hand an ihn legte? Wann hat man
je gehört, daß ein Vater den Tod seines
einzigen Sohnes nicht rächte? Aber Selim wird alt
und kindisch."
-
- "Und wenn es der Vater
unterläßt", sagte ein vierter, "so ist es
Freundes Pflicht, den gefallenen Freund zu rächen.
Hier an dieser Stelle sollten wir ihn niederhauen. So ist
es Recht und Brauch seit den ältesten
Zeiten."
- "Aber wir haben dem Alten
geschworen", rief ein fünfter, "wir dürfen ihn
nicht töten, unser Eid darf nicht gebrochen
werden."
-
- "Es ist wahr", sprachen die andern,
"wir haben geschworen, und der Mörder darf frei aus
den Händen seiner Feinde."
-
- "Halt!" rief einer, der Finsterste
unter allen. "Der alte Selim ist ein kluger Kopf, aber
doch nicht so klug, als man glaubt; haben wir ihm
geschworen, diesen Burschen da oder dorthin zu bringen?
Nein, er nahm uns nur den Schwur auf sein Leben ab, und
dieses wollen wir ihm schenken. Aber die brennende Sonne
und die scharfen Zähne des Schakals werden unsere
Rache übernehmen. Hier an dieser Stelle wollen wir
ihn gebunden liegenlassen." So sprach der Räuber,
aber schon seit einigen Minuten hatte sich Said auf das
Äußerste gefaßt gemacht, und indem jener
noch die letzten Worte sprach, riß er sein Pferd
auf die Seite, trieb es mit einem tüchtigen Hieb an
und flog wie ein Vogel über die Ebene hin. Die
fünf Männer staunten einen Augenblick, aber
wohlbewandert in solchen Verfolgungen teilten sie sich,
jagten rechts und links nach, und weil sie die Art und
Weise, wie man in der Wüste reiten muß, besser
kannten, hatten zwei von ihnen den Flüchtling bald
überholt, wandten sich gegen ihn um, und als er auf
die Seite floh, fand er auch dort zwei Gegner und den
fünften in seinem Rücken. Der Eid, ihn nicht zu
töten, hielt sie ab, ihrer Waffen zu gebrauchen; sie
warfen ihm auch jetzt wieder von hinten eine Schlinge
über den Kopf, zogen ihn vom Pferd, schlugen
unbarmherzig auf ihn los, banden ihn dann an Händen
und Füßen und legten ihn in den glühenden
Sand der Wüste.
-
- Said flehte sie um Barmherzigkeit an,
er versprach ihnen schreiend ein großes
Lösegeld, aber lachend schwangen sie sich auf und
jagten davon. Noch einige Augenblicke lauschet er auf die
leichten Tritte ihrer Rosse, dann aber gab er sich
verloren. Er dachte an seinen Vater, an den Gram des
alten Mannes, wenn sein Sohn nicht mehr heimkehre; er
dachte an sein eigenes Elend, daß er so frühe
sterben müsse; denn nichts war ihm gewisser, als
daß er in dem heißen Sand den martervollen
Tod des Verschmachtens erleiden müsse oder daß
er von einem Schakal zerrissen werde. Die Sonne stieg
immer höher und brannte glühend auf seiner
Stirne; mit unendlicher Mühe gelang es ihm, sich
aufzuwälzen; aber es gab ihm wenig Erleichterung.
Das Pfeifchen an der Kette war durch diese Anstrengung
aus seinem Kleid gefallen. Er mühte sich so lange,
bis er es mit dem Munde erfassen konnte; endlich
berührten es seine Lippen, er versuchte zu blasen,
aber auch in dieser schrecklichen Not versagte es den
Dienst. Verzweiflungsvoll ließ er den Kopf
zurücksinken, und endlich beraubte ihn die stechende
Sonne der Sinne; er fiel in eine tiefe
Betäubung.
-
- Nach vielen Stunden erwachte Said an
einem Geräusch in seiner Nähe; er fühlte
zugleich, daß seine Schulter gepackt wurde, und er
stieß einen Schrei des Entsetzens aus, denn er
glaubte nicht anders, als ein Schakal sei herangekommen,
ihn zu zerreißen. Jetzt wurde er auch an den Beinen
angefaßt, aber er fühlte, daß es nicht
die Krallen eines Raubtieres seien, die ihn
umfaßten, sondern die Hände eines Mannes, der
sich sorgsam mit ihm beschäftigte und mit zwei oder
drei andern sprach: "Er lebt", flüsterten sie, "aber
er hält uns für Feinde."
- Endlich schlug Said die Augen auf und
erblickte über sich das Gesicht eines kleinen,
dicken Mannes mit kleinen Augen und langem Bart. Dieser
sprach ihm freundlich zu, half ihm sich aufrichten,
reichte ihm Speise und Trank und erzählte ihm,
während er sich stärkte, er sei ein Kaufmann
aus Bagdad, heiße Kalum-Bek und handle mit Schals
und feinen Schleiern für die Frauen. Er habe eine
Handelsreise gemacht, sei jetzt auf der Rückkehr
nach Hause begriffen und habe ihn elend und halbtot im
Sand liegen sehen. Sein prachtvoller Anzug und die
blitzenden Steine seines Dolches hätten ihn
aufmerksam gemacht; er habe alles angewandt, ihn zu
beleben, und es sei ihm also gelungen. Der Jüngling
dankte ihm für sein Leben, denn er sah wohl ein,
daß er ohne die Dazwischenkunft dieses Mannes elend
hätte sterben müssen; und da er weder Mittel
hatte, sich selbst fortzuhelfen, noch willens war, zu
Fuß und allein durch die Wüste zu wandern, so
nahm er dankbar einen Sitz auf einem der schwerbeladenen
Kamele des Kaufmanns an und beschloß, fürs
erste mit nach Bagdad zu ziehen, vielleicht könnte
er dort sich an eine Gesellschaft, die nach Balsora
reiste, anschließen.
-
- Unterwegs erzählte der Kaufmann
seinem Reisegefährten manches von dem trefflichen
Beherrscher der Gläubigen, Harun al Raschid. Er
erzählte ihm von seiner Gerechtigkeitsliebe und
seinem Scharfsinn, wie er die verwickeltsten Prozesse auf
einfache und bewundernswürdige Weise zu schlichten
wisse; und unter anderem führte er die Geschichte
von dem Seiler, die Geschichte von dem Topf mit Oliven
an, Geschichten, die jedes Kind weiß, die aber Said
sehr bewunderte. "Unser Herr, der Beherrscher der
Gläubigen", fuhr der Kaufmann fort, "unser Herr ist
ein wunderbarer Mann. Wenn Ihr meinet, er schlafe wie
andere gemeine Leute, so täuschet Ihr Euch sehr.
Zwei, drei Stunden in der Morgendämmerung ist alles.
Ich muß das wissen, denn Messour, sein erster
Kämmerer, ist mein Vetter, und obgleich er so
verschwiegen ist wie das Grab, was die Geheimnisse seines
Herrn anbelangt, so läßt er doch der guten
Verwandtschaft zulieb hin und wieder einen Wink fallen,
wenn er sieht, daß einer aus Neugierde beinahe vom
Verstand kommen könnte. Statt nun wie andere
Menschen zu schlafen, schleicht der Kalif nachts durch
die Straßen von Bagdad, und selten verstreicht eine
Woche, worin er nicht auf ein Abenteuer stößt;
denn Ihr müßt wissen, wie ja auch aus der
Geschichte mit dem Oliventopf erhellt, die so wahr ist
als das Wort des Propheten, daß er nicht mit der
Wache und zu Pferd in vollem Putz und mit hundert
Fackelträgern seine Runde macht, wie er wohl tun
könnte, wenn er wollte, sondern angezogen bald als
Kaufmann, bald als Schiffer, bald als Soldat, bald als
Mufti umhergeht und schaut, ob alles recht und in Ordnung
sei.
-
- Daher kommt es aber auch, daß
man in keiner Stadt nachts so höflich gegen jeden
Narren ist, auf den man stößt, wie in Bagdad,
denn es könnte ebensogut der Kalif wie ein
schmutziger Arbeiter aus der Wüste sein, und es
wächst Holz genug, um allen Menschen in und um
Bagdad die Bastonade zu geben."
- So sprach der Kaufmann, und Said,
sosehr ich hin und wieder die Sehnsucht nach seinem Vater
quälte, freute sich doch, Bagdad und den
berühmten Harun al Raschid zu sehen.
-
- Nach zehn Tagen kamen sie in Bagdad
an, und Said staunte und bewunderte die Herrlichkeit
dieser Stadt, die damals gerade in ihrem höchsten
Glanz war. Der Kaufmann lud ihn ein, mit in sein Haus zu
kommen, und Said nahm es gerne an; denn jetzt erst unter
dem Gewühl der Menschen fiel es ihm ein, daß
hier wahrscheinlich außer der Luft und dem Wasser
des Tigris und einem Nachtlager auf den Stufen einer
Moschee nichts umsonst zu haben sein werde.
-
- Den Tag nach seiner Ankunft, als er
sich eben angekleidet hatte und sich gestand, daß
er in diesem prachtvollen kriegerischen Aufzug sich in
Bagdad wohl sehen lassen könne und vielleicht
manchen Blick auf sich ziehe, trat der Kaufmann in sein
Zimmer; er betrachtete den schönen Jüngling mit
schelmischem Lächeln, strich sich den Bart und
sprach dann: "Das ist alles recht schön, junger
Herr! Aber was soll denn nun aus Euch werden? Ihr seid,
kommt es mir vor, ein großer Träumer und
denket nicht an den folgenden Tag; oder habt Ihr so viel
Geld bei Euch, um dem Kleid gemäß zu leben,
das Ihr traget?"
-
- "Lieber Herr Kalum-Bek", sprach der
Jüngling verlegen und errötend, "Geld habe ich
freilich nicht, aber vielleicht streckt Ihr mir etwas
vor, womit ich heimreisen kann; mein Vater wird es
gewiß richtig erstatten."
-
- "Dein Vater, Bursche?" rief der
Kaufmann laut lachend. "Ich glaube, die Sonne hat dir das
Hirn verbrannt. Meinst du, ich glaube dir so aufs Wort
das ganze Märchen, das du mir in der Wüste
erzähltest, daß dein Vater ein reicher Mann in
Balsora sei, du sein einziger Sohn und den Anfall der
Araber und dein Leben in ihrer Horde und dies und jenes.
Schon damals ärgerte ich mich über deine
frechen Lügen und deine Unverschämtheit. Ich
weiß, daß in Balsora alle reichen Leute
Kaufleute sind, habe schon mit allen gehandelt und
müßte von einem Benezar gehört haben, und
wenn er nur sechstausend Toman im Vermögen
hätte. Es ist also entweder erlogen, daß du
aus Balsora bist, oder dein Vater ist ein armer
Schlucker, dessen hergelaufenem Jungen ich keine
Kupfermünze leihen mag. Sodann der Überfall in
der Wüste! Wann hat man gehört, seit der weise
Kalif Harun die Handelswege durch die Wüste
gesichert hat, daß es Räuber gewagt haben,
eine Karawane zu plündern und sogar Menschen
hinwegzuführen? Auch müßte es
bekanntgeworden sein, aber auf meinem ganzen Weg und auch
hier in Bagdad, wo Menschen aus allen Gegenden der Welt
zusammenkommen, hat man nichts davon gesprochen. Das ist
die zweite Lüge, junger, unverschämter
Mensch!"
-
- Bleich vor Zorn und Unmut wollte Said
dem kleinen, bösen Mann in die Rede fallen, jener
aber schrie stärker als er und focht dazu mit den
Armen. "Und die dritte Lüge, du frecher Lügner,
ist die Geschichte im Lager Selims. Selims Name ist wohl
bekannt unter allen, die jemals einen Araber gesehen
haben, aber Selim ist bekannt als der schrecklichste und
grausamste Räuber, und du wagst zu erzählen, du
habest seinen Sohn getötet und seiest nicht sogleich
in Stücke gehauen worden; ja du treibst die
Frechheit so weit, daß du das Unglaubliche sagst,
Selim habe dich gegen seine Horde beschützt, in sein
eigenes Zelt aufgenommen und ohne Lösegeld
entlassen, statt daß er dich aufgehängt
hätte an den nächsten besten Baum, er, der oft
Reisende gehängt hat, nur um zu sehen, welche
Gesichter sie machen, wenn sie aufgehängt sind. O du
abscheulicher Lügner."
-
- "Und ich kann nichts weiter sagen",
rief der Jüngling, "als daß alles wahr ist bei
meiner Seele und beim Bart des Propheten!"
-
- "Was! Bei deiner Seele willst du
schwören?" schrie der Kaufmann. "Bei deiner
schwarzen, lügenhaften Seele? Wer soll da glauben?
Und beim Bart des Propheten, du, der du selbst keinen
Bart hast? Wer soll da trauen?"
-
- "Ich habe freilich keinen Zeugen",
fuhr Said fort, "aber habt Ihr mich nicht gefesselt und
elend gefunden?"
-
- "Das beweist mir gar nichts", sprach
jener, "du bist gekleidet wie ein stattlicher
Räuber, und leicht hast du einen angefallen, der
stärker war als du und dich besiegte und
band."
-
- "Den einzelnen oder sogar zwei
möchte ich sehen", entgegnete Said, "die mich
niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten
eine Schlinge über den Kopf werfen. Ihr mögt in
Eurem Basar freilich nicht wissen, was ein einzelner
vermag, wenn er in den Waffen geübt ist. Aber Ihr
hat mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt
Ihr denn aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht
unterstützt, so muß ich betteln, und ich mag
keinen meinesgleichen um eine Gnade anflehen; an den
Kalifen will ich mich wenden."
-
- "So?" sprach der Kaufmann
höhnisch lächelnd. "An niemand anders wollt Ihr
Euch wenden als an unseren allergnädigsten Herrn?
Das heiße ich vornehm betteln? Ei, ei! Bedenkt
aber, junger vornehmer Herr, daß der Weg zum
Kalifen an meinem Vetter Messour vorbeigeht und daß
es mich ein Wort kostet, den Oberkämmerer darauf
aufmerksam zu machen, wie trefflich Ihr lügen
könnt. - Aber mich dauert deine Jugend, Said. Du
kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden.
Ich will dich in mein Gewölbe im Basar nehmen, dort
sollst du mir ein Jahr lang dienen, und ist dies vorbei
und willst du nicht bei mir bleiben, so zahle ich dir
deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst,
nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora,
meinetwegen zu den Ungläubigen. Bis Mittag gebe ich
dir Bedenkzeit; willst du, so ist es gut, willst du
nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die
Reisekosten, die du mir verursacht, und den Platz auf dem
Kamel, mache mich mit deinen Kleidern und allem, was du
hast, bezahlt, und werfe dich auf die Straße; dann
kannst du beim Kalifen oder beim Mufti, an der Moschee
oder im Basar betteln."
-
- Mit diesen Worten verließ der
böse Mann den unglücklichen Jüngling. Said
blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empört
über die Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn
absichtlich mit genommen und in sein Haus gelockt hatte,
damit er ihn in seine Gewalt bekäme. Er versuchte,
ob er nicht entfliehen könnte, aber sein Zimmer war
vergittert und die Türe verschlossen. Endlich,
nachdem sein Sinn sich lange dagegen gesträubt
hatte, beschloß er, fürs erste den Vorschlag
des Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewölbe
zu dienen. Er sah ein, daß ihm nichts Besseres zu
tun übrigbleibe; denn wenn er auch entfloh, so
konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber
er nahm sich vor, sobald als möglich den Kalifen
selbst um Schutz anzuflehen.
-
- Den folgenden Tag führte
Kalum-Bek seinen neuen Diener in sein Gewölbe im
Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere
Waren, womit er handelte, und wies ihm seinen besonderen
Dienst an. Dieser bestand darin, daß Said,
angekleidet wie ein Kaufmannsdiener und nicht mehr im
kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in
der andern einen prachtvollen Schleier, unter der
Türe des Gewölbes stand, die
vorübergehenden Männer oder Frauen anrief,
seine Waren vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute
zum Kaufen einlud; und jetzt konnte sich Said auch
erklären, warum ihn Kalum-Bek zu diesem
Geschäft bestimmt hatte. Er war ein kleiner,
häßlicher Alter, und wenn er selbst unter dem
Laden stand und anrief, so sagte mancher Nachbar oder
auch einer der Vorübergehenden ein witziges Wort
über ihn, oder die Knaben spotteten seiner, und die
Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber jedermann sah
gerne den jungen, schlanken Said, der mit Anstand die
Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und
zierlich zu halten wußte.
-
- Als Kalum-Bek sah, daß sein
Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der
Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen
Mann, speiste ihn besser als zuvor und war darauf
bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schön und
stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise
der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig gerührt
und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen
auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt
zurückzukehren.
-
- Eines Tages war im Gewölbe
vieles verkauft worden, und alle Packknechte, welche die
Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine
Frau eintrat und noch einiges kaufte. Sie hatte bald
gewählt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein
Trinkgeld die Waren nach Hause trage. "In einer halben
Stunde kann ich Euch alles schicken", antwortete
Kalum-Bek, "nur so lange müßt Ihr Euch
gedulden oder irgendeinen anderen Packer
nehmen.
-
- "Seid Ihr ein Kaufmann und wollet
Euren Kunden fremde Packer mitgeben?" rief die Frau.
"Kann nicht ein solcher Bursche im Gedränge mit
meinem Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann
wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht, mir
meinen Pack nach Hause tragen zu lassen, und an Euch kann
und will ich mich halten."
- "Aber nur eine halbe Stunde wartet,
werte Frau!" sprach der Kaufmann, sich immer
ängstlicher drehend. "Alle meine Packknechte sind
verschickt."
-
- "Das ist ein schlechtes Gewölbe,
das nicht immer einige Knechte übrig hat!"
entgegnete das böse Weib. "Aber dort steht ja noch
solch ein junger Müßiggänger; komm,
junger Bursche, nimm meinen Pack und trage ihn mir
nach."
- "Halt! Halt!" schrie Kalum-Bek. "Das
ist mein Aushängeschild, mein Ausrufer, mein Magnet!
Der darf die Schwelle nicht verlassen!"
-
- "Was da!" erwiderte die alte Dame und
steckte Said ohne weiteres ihren Pack unter den Arm. "Das
ist ein schlechter Kaufmann und elende Waren, die sich
nicht selbst loben und erst noch solch einen
müßigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh,
Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld
verdienen."
-
- "So lauf im Namen Arimans und aller
bösen Geister", murmelte Kalum-Bek seinem Magnet zu;
"und siehe zu, daß du bald wiederkommst; die alte
Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen
Basar, wollte ich mich länger weigern."
-
- Said folgte der Frau, die leichteren
Schrittes, als man ihrem Alter zutrauen sollte, durch den
Markt und die Straßen eilte. Sie stand endlich vor
einem prachtvollen Hause still, pochte an, die
Flügeltüren sprangen auf, und sie stieg eine
Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie
gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr
Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals
geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau
erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann,
sein Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines
Silberstück und hieß ihn gehen.
- Er war schon an der Türe, als
eine helle, feine Stimme "Said" rief; verwundert,
daß man ihn hier kenne, schaute er sich um, und
eine wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven
und Dienerinnen, saß statt der Alten auf dem
Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine
Arme und machte eine tiefe Verbeugung.
- "Said, mein lieber Junge", sprach die
Dame, "sosehr ich die Unfälle bedaure, die dich nach
Bagdad führten, so war doch dies der einzige vom
Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem
zwanzigsten Jahr dein Vaterhaus verließest, dein
Schicksal lösen würde. Said, hast du noch dein
Pfeifchen?"
-
- "Wohl habe ich es noch", rief er
freudig, indem er die goldene Kette hervorzog; "und ihr
seid vielleicht die gütige Fee, die mir dieses
Angebinde gab, als ich geboren wurde?"
-
- "Ich war die Freundin deiner Mutter,"
antwortete die Fee, "und bin auch deine Freundin, solange
du gut bleibst. Ach, daß dein Vater, der
leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt hätte! Du
würdest vielen Leiden entgangen sein."
- "Nun, es hat wohl so kommen
müssen!" erwiderte Said. "Aber gnädigste Fee,
lasset einen tüchtigen Nordostwind an Euren
Wolkenwagen spannen, nehmet mich auf und führet mich
in ein paar Minuten nach Balsora zu meinem Vater; ich
will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten
Jahre geduldig dort ausharren."
-
- Die Fee lächelte. "Du hast eine
gute Weise, mit uns zu sprechen", antwortete sie, "aber
armer Said! Es ist nicht möglich; ich vermag jetzt,
wo du außer deinem Vaterhause bist, nichts
Wunderbares für dich zu tun. Nicht einmal aus der
Gewalt des elenden Kalum-Bek vermag ich dich zu befreien!
Er steht unter dem Schutze deiner mächtigen
Feindin."
-
- "Also nicht nur eine gütige
Freundin habe ich?" fragte Said. "Auch eine Feindin? Nun,
ich glaube ihren Einfluß schon öfter erfahren
zu haben. Aber mit Rat dürftet Ihr mich doch
unterstützen? Soll ich nicht zum Kalifen gehen und
ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird
mich gegen Kalum-Bek beschützen."
-
- "Ja, Harun ist ein weiser Mann!"
erwiderte die Fee. "Aber leider ist er auch nur ein
Mensch. Er traut seinem Großkämmerer Messour
soviel als sich selbst, und er hat recht, denn er hat
Messour erprobt und treu gefunden. Messour aber traut
seinem Freund Kalum-Bek auch wie sich selbst, und darin
hat er unrecht, denn Kalum ist ein schlechter Mann, wenn
er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein
verschlagener Kopf und hat, sobald er hierherkam, seinem
Vetter Großkämmerer eine Fabel über dich
erdichtet und angeheftet, und dieser hat sie wieder dem
Kalifen erzählt, so daß du, kämst du auch
jetzt gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen
werden würdest, denn er traute dir nicht. Aber es
gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu nahen, und es
steht in den Sternen geschrieben, daß du seine
Gnade erwerben sollst."
-
- "Das ist freilich schlimm", sagte
Said wehmütig. "Da werde ich schon noch einige Zeit
der Ladenhüter des elenden Kalum-Bek sein
müssen. Aber eine Gnade, verehrte Fee, könntet
Ihr mir doch gewähren. Ich bin zum Waffenwerk
erzogen, und meine höchste Freude ist das
Kampfspiel, wo recht tüchtig gefochten wird, mit
Lanze, Bogen und stumpfem Schwert. Nun halten die
edelsten Jünglinge dieser Stadt alle Wochen ein
solches Kampfspiel. Aber nur Leute im höchsten
Schmuck und überdies nur freie Männer
dürfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein
Diener aus dem Basar. Wenn Ihr nun bewirken könnten,
daß ich alle Wochen ein Pferd, Kleider, Waffen
haben könnte und daß man mein Gesicht nicht so
leicht erkenne."
-
- "Das ist ein Wunsch, wie ihn ein
edler junger Mann wohl wagen darf", sprach die Fee; "der
Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in Syrien, und
sein Geist scheint sich auf dich vererbt zu haben. Merke
dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und
zwei berittene Knappen, ferner Waffen und Kleider finden
und ein Waschwasser für dein Gesicht, das dich
für alle Augen unkenntlich machen soll. Und nun,
Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft!
In sechs Monaten wird dein Pfeifchen tönen, und
Zulimas Ohr wird für seine Töne offen
sein."
- Der Jüngling schied von seiner
wunderbaren Beschützerin mit Dank und Verehrung; er
merkte sich das Haus und die Straße genau und ging
dann wieder nach dem Basar.
-
- Als Said in den Basar
zurückkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit, um
seinen Herren und Meister Kalum-Bek zu unterstützen
und zu retten. Ein großes Gedränge war um den
Laden, Knaben tanzten um den Kaufmann her und
verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst
stand vor Wut zitternd und in großer Verlegenheit
vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal, in der
andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von
einem Vorfall her, der sich in Saids Abwesenheit ereignet
hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners
unter die Tür gestellt und ausgerufen, aber niemand
mochte bei dem alten, häßlichen Burschen
kaufen. Da gingen zwei Männer den Basar herab und
wollten für ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren
suchend schon einige Male auf und nieder gegangen, und
eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken wieder
herabgehen.
-
- Kalum-Bek, der dies bemerkte, wollte
es sich zunutze machen und rief: "Hier, meine Herren,
hier! Was suchet ihr? Schöne Schleier, schöne
Ware?"
-
- "Guter Alter", erwiderte einer,
"deine Waren mögen recht gut sein, aber unsere
Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt
geworden, die Schleier bei niemand zu kaufen als bei dem
schönen Ladendiener Said; wir gehen schon eine halbe
Stunde umher, ihn zu suchen, und finden ihn nicht; aber
kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so kaufen
wir dir ein andermal ab."
-
- "Allahit Allah!" rief Kalum-Bek
freundlich grinsend. "Euch hat der Prophet vor die rechte
Tür geführt. Zum schönen Ladendiener
wollet ihr, um Schleier zu kaufen? Nun, tretet nur ein,
hier ist sein Gewölbe."
-
- Der eine dieser Männer lachte
über Kalums kleine und häßliche Gestalt
und seine Behauptung, daß er der schöne
Ladendiener sei; der andere aber glaubte, Kalum wolle
sich über ihn lustig machen, blieb ihm nichts
schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam
Kalum-Bek außer sich; er rief seine Nachbarn zu
Zeugen auf, daß man keinen andern Laden als den
seinigen das Gewölbe des schönen Ladendieners
nenne; aber die Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs,
den er seit einiger Zeit hatte, beneideten, wollten
hiervon nichts wissen, und die beiden Männer gingen
nun dem alten Lügner, wie sie ihn nannten, ernstlich
zu Leibe. Kalum verteidigte sich mehr durch Geschrei und
Schimpfworte als durch seine Faust, und so lockte er eine
Menge Menschen vor sein Gewölbe; die halbe Stadt
kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle
Umstehenden gönnten ihm die Püffe, die er
bekam, und schon packte ihn einer der beiden Männer
am Bart, als ebendieser am Arm gefaßt und mit einem
einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so daß sein
Turban herabfiel und seine Pantoffel weit
hinwegflogen.
-
- Die Menge, welche es wahrscheinlich
gerne gesehen hätte, wenn Kalum-Bek mißhandelt
worden wäre, murrte laut, der Gefährte des
Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt
hatte seinen Freund niederzuwerfen; als er aber einen
hohen, kräftigen Jüngling mit blitzenden Augen
und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es nicht,
ihn anzugreifen, da überdies Kalum, dem seine
Rettung wie ein Wunder erschien, auf den jungen Mann
deutete und schrie: "Nun! Was wollt ihr denn mehr? Da
steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der schöne
Ladendiener." Die Leute umher lachten, weil sie
wußten, daß Kalum-Bek vorher unrecht
geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand
beschämt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter,
ohne weder Schal noch Schleier zu kaufen.
-
- "O du Stern aller Ladendiener, du
Krone des Basars!" rief Kalum, als er seinen Diener in
den Laden führte: "Wahrlich, das heiße ich zu
rechter Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel
legen; lag doch der Bursche auf dem Boden, als ob er nie
auf den Beinen gestanden wäre, und ich - ich
hätte keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart
kämmen und salben zu lassen, wenn du nur zwei
Minuten später gekommen wärest; womit kann ich
es dir vergelten?"
-
- Es war nur das schnelle Gefühl
des Mitleids gewesen, was Saids Hand und Herz regiert
hatte; jetzt, als dieses Gefühl sich legte, reute es
ihn fast, daß er die gute Züchtigung dem
bösen Männe erspart hatte; ein Dutzend
Barthaare weniger, dachte er, hätten ihn auf
zwölf Tage sanft und geschmeidig gemacht; ersuchte
aber dennoch die günstige Stimmung des Kaufmanns zu
benutzen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst, alle
Wochen einen Abend für sich benutzen zu dürfen
zu einem Spaziergang, oder zu was es auch sei. Kalum gab
es zu; denn er wußte wohl, daß sein
gezwungener Diener zu vernünftig sei, um ohne Geld
und gute Kleidung zu entfliehen.
- Bald hatte Said erreicht, was er
wollte. Am nächsten Mittwoch, dem Tag wo sich die
jungen Leute aus den vornehmsten Ständen auf einem
öffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihrer
kriegerischen Übungen zu halten, sagte er zu Kalum,
er wolle diesen Abend für sich benutzen, und als
dieser es erlaubt hatte, ging er in die Straße, wo
die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte
auf. Die Diener schienen auf seine Ankunft schon
vorbereitet gewesen zu sein, denn ohne ihn erst nach
seinem Begehren zu fragen, führten sie ihn die
Treppe hinan in ein schönes Gemach; dort reichten
sie ihm zuerst das Waschwasser, das ihn unkenntlich
machen sollte. Er benetzte sein Gesicht damit, schaute
dann in einen Metallspiegel und kannte sich beinahe
selbst nicht mehr, denn er war jetzt von der Sonne
gebräunt, trug einen schönen schwarzen Bart und
sah zum mindesten zehn Jahre älter aus, als er in
der Tat zählte.
-
- Hierauf führten sie ihn in ein
zweites Gemach, wo er eine vollständige und
prachtvolle Kleidung fand, an welcher sich der Kalif von
Bagdad selbst nicht hätte schämen dürfen
an dem Tag, wo er im vollen Glanze seiner Herrlichkeit
sein Heer musterte. Außer einem Turban von feinstem
Gewebe mit einer Agraffe von diamanten und hohen
Reiherfedern, einem Kleid von schwerem roten Seidenzeug
mit silbernen Blumen durchwirkt, fand Said einen
Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein gearbeitet
war, daß er sich nach jeder Bewegung des
Körpers schmiegte, und doch zugleich so fest,
daß ihn weder die Lanze noch das Schwert
durchdringen konnte. Eine Damaszener Klinge in reich
verzierter Scheide mit einem Griff, dessen Steine Said
unschätzbar deuchten, vollendete seinen
kriegerischen Schmuck. Als er völlig gerüstet
wieder aus der Tür trat, überreichte ihm einer
der Diener ein seidenes Tuch und sagte ihm, daß die
Gebieterin des Hauses ihm dieses Tuch schicke; wenn er
damit sein Gesicht abwische, so werde der Bart und die
braune Farbe verschwinden.
-
- Im Hofe des Hauses standen drei
schöne Pferde; das schönste bestieg Said, die
beiden andern seine Diener, und dann trabte er freudig
dem Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden
sollten. Durch den Glanz seiner Kleider und die Pracht
seiner Waffen zog er aller Augen auf sich, und ein
allgemeines Geflüster des Staunens entstand, als er
in den Ring, welchen die Menge umgab einritt. Es war eine
glänzende Versammlung der tapfersten und edelsten
Jünglinge Bagdads; selbst die Brüder des
Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen
schwiegen. Als Said heranritt und niemand ihn zu kennen
schien, ritt der Sohn des Großwesirs mit einigen
Freunden auf ihn zu, grüßte ihn ehrerbietig,
lud ihn ein, an ihren Spielen teilzunehmen, und fragte
ihn nach seinem Namen und seinem Vaterland. Said gab vor,
er heiße Almansor und komme von Kairo, sei auf
einer Reise begriffen und habe von der Tapferkeit und
Geschicklichkeit der jungen Edlen von Bagdad so vieles
gehört, daß er nicht gesäumt habe, sie zu
sehen und kennenzulernen. Den jungen Leuten gefiel der
Anstand und das mutige Wesen Said-Almansors; sie
ließen ihm eine Lanze reichen und seine Partei
wählen, denn die ganze Gesellschaft hatte sich in
zwei Parteien geteilt, um einzeln und in Scharen
gegeneinander zu fechten.
-
- Aber hatte schon Saids
Äußeres die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, so
staunte man jetzt noch mehr über seine
ungewöhnliche Geschicklichkeit und Behendigkeit.
Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein Schwert
schwirrte noch behender umher. Er warf die Lanze so
leicht und genau ins Ziel, als wäre sie ein Pfeil,
den er von einem sicheren Bogen abgeschnellt hätte.
Die Tapfersten seiner Gegenpartei besiegte er, und am
Schluß der Spiele war er so allgemein als Sieger
anerkannt, daß einer der Brüder des Kalifen
und der Sohn des Großwesirs, die auf Saids Seite
gekämpft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu
streiten. Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm
besiegt, aber der Sohn des Großwesirs widerstand
ihm so tapfer, daß sie es nach langem Kampfe
für besser hielten, die Entscheidung für das
nächste Mal aufzusparen.
-
- Den Tag nach diesen Spielen sprach
man in Bagdad von nichts als dem schönen, reichen
und tapferen Fremdling; alle, die ihn gesehen hatten, ja
selbst die er besiegt hatte, waren entzückt von
seinen edlen Sitten, und sogar vor seinen eigenen Ohren
im Gewölbe Kalum-Beks wurde über ihn
gesprochen; und man beklagte nur, daß niemand
wisse, wo er wohne. Das nächste Mal fand er im Hause
der Fee ein noch schöneres Kleid und noch
köstlicheren Waffenschmuck. Diesmal hatte sich halb
Bagdad zugedrängt, selbst der Kalif sah von einem
Balkon herab dem Schauspiel zu; auch er bewunderte den
Fremdling Almansor und hing ihm, als die Spiele geendet
hatten, eine große Denkmünze von Gold an einer
goldenen Kette um den Hals, um ihn seine Bewunderung zu
bezeigen. Es konnte nicht anders kommen, als daß
dieser zweite, noch glänzendere Sieg den Neid der
jungen Leute von Bagdad aufregte. "Ein Fremdling",
sprachen sie untereinander, "soll hierherkommen nach
Bagdad, uns Ruhm, Ehre und Sieg zu entreißen? Er
soll sich an anderen Orten damit brüsten
können, daß unter der Blüte von Bagdads
Jünglingen keiner gewesen sei, der es entfernt
hätte mit ihm aufnehmen können?" So sprachen
sie und beschlossen, beim nächsten Kampfspiel, als
wäre es durch Zufall geschehen, zu fünf oder
sechs über ihn herzufallen.
-
- Saids scharfen Blicken entgingen
diese Zeichen des Unmuts nicht; er sah, wie sie in der
Ecke zusammenstanden, flüsterten und mit bösen
Mienen auf ihn deuteten; er ahnte, daß außer
dem Bruder des Kalifen und dem Sohn des Großwesirs
keiner sehr freundlich gegen ihn gesinnt sein
möchte, und diese selbst wurden ihm durch ihre
Fragen lästig: wo sie ihn aufsuchen könnten,
womit er sich beschäftige, was ihm in Bagdad
wohlgefallen habe und dergleichen.
-
- Es war ein sonderbarer Zufall,
daß derjenige der jungen Männer, welcher
Said-Almansor mit den grimmigsten Blicken betrachtete und
am feindseligsten gegen ihn gesinnt schien, niemand
anders war als der Mann, den er vor einiger Zeit bei
Kalum-Beks Bude niedergeworfen hatte, als er gerade im
Begriff war, dem unglücklichen Kaufmann den Bart
auszureißen. Dieser Mann betrachtete ihn immer
aufmerksam und neidisch, Said hatte ihn zwar schon einige
Male besiegt, aber dies war kein hinlänglicher Grund
zu solcher Feindseligkeit, und Said fürchtete schon,
jener möchte ihn an seinem Wuchs oder an der Stimme
als Kalum-Beks Ladendiener erkannt haben, eine
Entdeckung, die ihn dem Spott und der Rache dieser Leute
aussetzen würde. Der Anschlag, welchen seine Neider
auf ihn gemacht hatte, scheiterte sowohl an seiner
Vorsicht und Tapferkeit als auch an der Freundschaft,
womit ihm der Bruder des Kalifen und der Sohn des
Großwesirs zugetan waren. Als diese sahen,
daß er von wenigstens sechs umringt sei, die ihn
vom Pferd zu wenden oder zu entwaffnen suchten, sprengten
sie herbei, jagten den ganzen Trupp auseinander und
drohten den jungen Leuten, welche so verräterisch
gehandelt hatten, sie aus der Kampfbahn zu stoßen.
Mehr denn vier Monate hatte Said auf diese Weise zum
Erstaunen Bagdads seine Tapferkeit erprobt, als er eines
Abends beim Nachhausegehen von dem Kampfplatz einige
Stimmen vernahm, die ihm bekannt schienen. Vor ihm gingen
vier Männer, die sich langsamen Schrittes über
etwas zu beraten schienen. Als Said leise näher
trat, hörte er, daß sie den Dialekt der Horde
Selims in der Wüste sprachen, und ahnte, daß
die vier Männer auf irgendeine Räuberei
ausgingen. Sein erstes Gefühl war, sich von diesen
vieren zurückzuziehen; als er aber bedachte,
daß er irgend etwas Böses verhindern
könnte, schlich er sich noch näher herzu, diese
Männer zu behorchen.
-
- "Der Türsteher hat
ausdrücklich gesagt, die Straße rechts vom
Basar", sprach der eine, "dort werde und müsse er
heute nacht mit dem Großwesir
durchkommen."
-
- "Gut", antwortete ein anderer. "Den
Großwesir fürchte ich nicht; er ist alt und
wohl kein sonderlicher Held, aber der Kalif soll ein
gutes Schwert führen, und ich traue ihm nicht; es
schleichen ihm gewiß zehn oder zwölf von der
Leibwache nach."
-
- "Keine Seele", entgegnete ihm ein
dritter. "Wenn man ihn je gesehen und erkannt hat bei
Nacht, war er immer nur allein mit dem Wesir oder mit dem
Oberkämmerling. Heute nacht muß er unser sein,
aber es darf ihm kein Leid geschehen.
-
- "Ich denke, das beste ist", sprach
der erste, "wir werfen ihm eine Schlinge über den
Kopf; töten dürfen wir ihn nicht, denn für
seinen Leichnam würden sie ein geringes
Lösegeld geben, und überdies wären wir
nicht sicher, es zu bekommen."
-
- "Also eine Stunde vor Mitternacht!"
sagten sie zusammen und schieden, der eine hierhin, der
andere dorthin.
- Said war über diesen Anschlag
nicht wenig erschrocken. Er beschloß, sogleich zum
Palast des Kalifen zu eilen und ihn von der Gefahr, die
ihn bedrohte, zu unterrichten. Aber als er schon durch
mehrere Straßen gelaufen war, fielen ihm die Worte
der Fee bei, die ihm gesagt hatte, wie schlecht er bei
dem Kalifen angeschrieben sei: Er bedachte, daß man
vielleicht seine Angabe verlachen oder als einen Versuch,
bei dem Beherrscher von Bagdad sich einzuschmeicheln,
ansehen könnte, und so hielt er seine Schritte an,
und achtete es für heute das beste, sich auf sein
gutes Schwert zu verlassen und den Kalifen
persönlich aus den Händen der Räuber zu
retten.
- Er ging daher nicht in Kalum-Beks
Haus zurück, sondern setzte sich auf die Stufen
einer Moschee und wartete dort, bis die Nacht völlig
angebrochen war; dann ging er am Basar vorbei in jene
Straße, welche die Räuber bezeichnet hatten,
und verbarg sich hinter dem Vorsprung eines Hauses. Er
mochte ungefähr eine Stunde dort gestanden sein, als
er zwei Männer langsam die Straße herabkommen
hörte; anfänglich glaubte er, es sei der Kalif
und sein Großwesir, aber einer der Männer
klatschte in die Hand, und sogleich eilten zwei andere
sehr leise die Straße herauf vom Basar her. Sie
flüsterten eine Weile und verteilten sich dann; drei
versteckten sich nicht weit von ihm, und einer ging in
die Straße auf und ab. Die Nacht war sehr finster,
aber stille, und so mußte sich Said auf sein
scharfes Ohr beinahe ganz allein verlassen.
-
- Wieder war etwas eine halbe Stunde
vergangen, als man gegen den Basar hin Schritte vernahm.
Der Räuber mochte sich auch gehört haben; er
schlich an Said vorüber dem Basar zu. Die Schritte
kamen näher, und schon konnte Said einige dunkle
Gestalten erkennen, als der Räuber in die Hand
klatschte und in demselben Augenblicke die drei aus dem
Hinterhalt hervorstürzten. Die Angegriffenen
mußten übrigens bewaffnet sein, denn er
vernahm den Klang von aneinandergeschlagenen Schwertern.
Sogleich zog er seine Damaszener-Klinge und stürzte
mit dem Ruf: "Nieder mit den Feinden des großen
Harun!" auf die Räuber, streckte mit dem ersten Hieb
einen zu Boden, und drang dann auf zwei andere ein, die
eben im Begriff waren, einen Mann, um welchen sie einen
Strick geworfen hatten, zu entwaffnen. Er hieb blindlings
auf den Strick ein, um ihn zu zerschneiden, aber traf
dabei einen der Räuber so heftig über den Arm,
daß er ihm die Hand abschlug; der Räuber
stürzte mit fürchterlichem Geschrei in die
Knie. Jetzt wandte sich der vierte, der mit einem andern
Mann gefochten hatte, gegen Said, der noch mit dem
dritten im Kampfe war, aber der Mann, um welchen man die
Schlinge geworfen hatte, sah sich nicht so bald frei, als
er seinen Dolch zog und ihn dem Angreifenden von der
Seite in die Brust stieß. Als dies der noch
Übriggebliebene sah, warf er seinen Säbel weg
und floh.
- Said blieb nicht lange in
Ungewißheit, wen er gerettet habe; denn der
größere der beiden Männer trat zu ihm und
sprach: "Das eine ist so sonderbar wie das andere, dieser
Angriff auf mein Leben oder meine Freiheit wie die
unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wußtet Ihr,
wer ich sei? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen
gewußt?"
-
- "Beherrscher der Gläubigen",
antwortete Said, "denn ich zweifle nicht, daß du es
bist, ich ging heute abend durch die Straße El
Malek hinter einigen Männern, deren fremden und
geheimnisvollen Dialekt ich einst gelernt habe. Sie
sprachen davon, dich gefangenzunehmen und den
würdigen Mann, deinen Wesir, zu töten. Weil es
nun zu spät war, dich zu warnen, beschloß ich,
an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern wollten, um
dir beizustehen."
-
- "Danke dir", sprach Harun, "an dieser
Stätte ist übrigens nicht gut weilen; nimm
diesen Ring und komm damit morgen in meinen Palast; wir
wollen dann mehr über dich und deine Hilfe reden und
sehen, wie ich dich am besten belohnen kann. Komm, Wesir,
hier ist nicht gut bleiben, sie können
wiederkommen."
-
- Er sprach es und wollte den
Großwesir fortziehen, nachdem er dem Jüngling
einen Ring an den Finger gesteckt hatte; dieser aber bat
ihn noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um reichte
dem überraschten Jüngling einen schweren
Beutel: "Junger Mann", sprach er, "mein Herr, der Kalif,
kann dich zu allem machen, wozu er will, selbst zu meinem
Nachfolger, ich selbst kann wenig tun, und was ich tun
kann, geschieht heute besser als morgen, drum nimm diesen
Beutel. Das soll meinen Dank übrigens nicht
abkaufen. Sooft du einen Wunsch hast, komm getrost zu
mir."
-
- Ganz trunken vor Glück, eilte
Said nach Hause. Aber hier wurde er übel empfangen;
Kalum-Bek wurde über sein langes Ausbleiben zuerst
unwillig und dann besorgt, dann dachte er, er könnte
leicht das schöne Aushängeschild seines
Gewölbes verlieren. Er empfing ihn mit
Schmähworten und tobte und raste wie ein
Wahnsinniger. Aber Said, der einen Blick in den Beutel
getan und gefunden hatte, daß er lauter
Goldstücke enthalte, bedachte, daß er jetzt
nach seiner Heimat reisen könne, auch ohne die Gnade
des Kalifen, die gewiß nicht geringer wäre,
als der Dank seines Wesirs, und so blieb er ihm kein Wort
schuldig, sondern erklärte ihm rund und deutlich,
daß er keine Stunde länger bei ihm bleiben
werde. Von Anfang erschrak Kalum-Bek hierüber sehr,
dann aber lachte er höhnisch und sprach: "Du Lump
und Landläufer, du ärmlicher Wicht! Wohin
willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich meine Hand
von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen
und wo ein Nachtlager?"
-
- "Das soll Euch nicht bekümmern,
Herr Kalum-Bek", antwortete Said trotzig, "gehabt Euch
wohl, mich sehet Ihr nicht wieder!"
-
- Er sprach es und lief zur Türe
hinaus, und Kalum-Bek schaute ihm sprachlos vor Staunen
nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den Fall
recht überlegt hatte, schickte er seine Packknechte
aus und ließ überall nach dem Flüchtling
spähen. Lange suchten sie umsonst, endlich aber kam
einer zurück und sagte, er habe Said, den
Ladendiener, aus einer Moschee kommen und in eine
Karawanserei gehen sehen. Er sei aber ganz
verändert, trage ein schönes Kleid, einen Dolch
und Säbel und einen prachtvollen Turban.
-
- Als Kalum-Bek dies hörte, schwur
er und rief: "Bestohlen hat er mich und sich dafür
gekleidet. O ich geschlagener Mann!" Dann lief er zum
Aufseher der Polizei, und da man wußte, daß
er ein Verwandter von Messour, dem Oberkämmerling
sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige Polizeidiener
von ihm zu erlangen, um Said zu verhaften. Said saß
vor einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit
einem Kaufmann, den er da gefunden, über ein Reise
nach Balsora, seiner Vaterstadt; da fielen plötzlich
einige Männer über ihn her und banden ihm,
trotz seiner Gegenwehr, die Hände auf den
Rücken. Er fragte sei, was sie zu dieser Gewalttat
berechtigte, und sie antworteten, es geschehe im Namen
der Polizei und seines rechtmäßigen Gebieters
Kalum-Bek. Zugleich trat der kleine häßliche
Mann herzu, verhöhnte und verspottete Said, griff in
seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehende und mit
Triumphgeschrei einen großen Beutel mit Gold
heraus.
-
- "Sehet! Das alles hat er mir nach und
nach gestohlen, der schlechte Mensch!" rief er, und die
Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen und riefen:
"Wie! Noch so jung, so schön und doch so schlecht!
Zum Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonade
erhalte." So schleppten sie ihn fort, und ein ungeheurer
Zug Menschen aus allen Ständen schloß sich an;
sie riefen: "Sehet, das ist der schöne Ladendiener
vom Basar; er hat seinen Herrn bestohlen und ist
entflohen; zweihundert Goldstücke hat er
gestohlen."
-
- Der Aufseher der Polizei empfing den
Gefangenen mit finsterer Miene; Said wollte sprechen,
aber der Beamte gebot ihm zu schweigen und verhörte
nur den kleinen Kaufmann. Er zeigte ihm den Beutel und
fragte ihn, ob ihm dieses Geld gestohlen worden sei;
Kalum-Bek beschwor es; aber sein Meineid verhalf ihm zwar
zu dem Gold, doch nicht zu dem schönen Ladendiener,
der ihm tausend Goldstücke wert war, denn der
Richter sprach: "Nach dem Gesetz, das mein
großmächtigster Herr, der Kalif, erst vor
wenigen Tagen geschärft hat, wird jeder Diebstahl,
der hundert Goldstücke übersteigt und auf dem
Basar begangen wird, mit ewiger Verbannung auf eine
wüste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt gerade zu
rechter Zeit, er macht die Zahl von zwanzig solcher
Burschen voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt
und in die See geführt."
- Said war in Verzweiflung; er beschwor
den Beamten, ihn anzuhören, ihn nur ein Wort mit dem
Kalifen sprechen zu lassen; aber er fand keine Gnade.
Kalum-Bek, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach
ebenfalls für ihn, aber der Richter antwortete: "Du
hast dein Gold und kannst zufrieden sein, gehe nach Hause
und verhalte dich ruhig, sonst strafe ich dich für
jeden Widerspruch um zehn Goldstücke." Kalum schwieg
bestürzt, der Richter aber winkte, und der
unglückliche Said wurde abgeführt.
-
- Man brachte ihn in ein finsteres und
feuchtes Gefängnis; neunzehn elende Menschen lagen
dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren
Leidensgefährten mit rohem Gelächter und
Verwünschungen gegen den Richter und den Kalifen. So
schrecklich sein Schicksal vor ihm lag, so
fürchterlich der Gedanke war, auf eine wüste
Insel verbannt zu werden, so fand er doch noch einigen
Trost darin, schon am folgenden Tage aus diesem
schrecklichen Gefängnis erlöst zu werden. Aber
er täuschte sich sehr, als er glaubte, sein Zustand
auf dem Schiff werde besser sein. In den untersten Raum,
wo man nicht aufrecht stehen konnte, wurden die zwanzig
Verbrecher hinabgeworfen, und dort stießen und
schlugen sie sich um die besten Plätze.
-
- Die Anker wurden gelichtet, und Said
weinte bittere Tränen, als das Schiff, das ihn von
seinem Vaterlande entführen sollte, sich zu bewegen
anfing. Nur einmal des Tages teilte man ihnen ein wenig
Brot und Früchte und einen Trunk süßen
Wassers aus, und so dunkel war es in dem Schiffsraum,
daß man immer Lichter herabbringen mußte,
wenn die Gefangenen speisen sollten. Beinahe alle zwei,
drei Tage fand man einen Toten unter ihnen, so ungesund
war die Luft in diesem Wasserkerker, und Said wurde nur
durch seine Jugend und seine feste Gesundheit
erhalten.
-
- Vierzehn Tage waren sie schon auf dem
Wasser, als eines Tages die Wellen heftiger rauschten und
ein ungewöhnliches Treiben und Rennen auf dem
Schiffe entstand.
-
- Said ahnte, daß ein Sturm im
Anzug sei; es war ihm sogar angenehm, denn er hoffte dann
zu sterben.
- Heftiger wurde das Schiff hin und her
geworfen, und endlich saß es mit schrecklichem
Krach fest. Geschrei und Geheul scholl von dem Verdeck
herab und mischte sich mit dem Brausen des Sturmes.
Endlich wurde es wieder stille, aber zu gleicher Zeit
entdeckte auch einer der Gefangenen, daß das Wasser
in das Schiff eindringe. Sie pochten an die Falltüre
nach oben, aber man antwortete ihnen nicht. Als daher das
Wasser immer heftiger eindrang, stemmten sie sich mit
vereinigten Kräften gegen die Türe und
sprengten sie auf.
-
- Sie stiegen die Treppe hinan, aber
oben fanden sie keinen Menschen mehr. Die ganze
Schiffsmannschaft hatte sich in Booten gerettet. Jetzt
gerieten die meisten Gefangenen in Verzweiflung; denn der
Sturm wütete immer heftiger, das Schiff krachte und
senkte sich. Noch einige Stunden saßen sie auf dem
Verdeck und hielten ihrer letzte Mahlzeit von den
Vorräten, die sie im Schiff gefunden, dann erneuerte
sich auf einmal der Sturm, das Schiff wurde von der
Klippe, worauf es festsaß, hinweggerissen und brach
zusammen.
-
- Said hatte sich am Mast angeklammert
und hielt ihn, als das Schiff geborsten war, noch immer
fest. Die Wellen warfen ihn hin und her, aber er hielt
sich, mit den Füßen rudernd, immer wieder
oben. So schwamm er in immerwährender Todesgefahr
eine halbe Stunde, da fiel die Kette mit dem Pfeifchen
wieder aus seinem Kleid, und noch einmal wollte er
versuchen, ob es nicht töne. Mit der einen Hand
klammerte er sich fest, mit der andern setzte er es an
seinen Mund, blies, ein heller, klarer Ton erscholl, und
augenblicklich legte sich der Sturm, und die Wellen
glätteten sich als hätte man Öl darauf
ausgegossen. Kaum hatte er sich mit leichterem Atem
umgesehen, ob er nicht irgendwo Land erspähen
könnte, als der Mast unter ihm sich auf eine
sonderbare Weisse auszudehnen und zu bewegen anfing, und
zu seinem nicht geringen Schrecken nahm er wahr,
daß er nicht mehr auf Holz, sondern auf einem
ungeheuren Delphin reite; nach einigen Augenblicken aber
kehrte seine Fassung zurück, und da er sah,
daß der Delphin schnell, aber ruhig und gelassen
seine Bahn fortschwimme, schrieb er seine wunderbare
Rettung dem silbernen Pfeifchen und der gütigen Fee
zu und rief seinen feurigsten Dank in die
Lüfte.
-
- Pfeilschnell trug ihn sein
wunderbares Pferd durch die Wogen, und noch ehe es Abend
wurde, sah er Land und erkannte einen breiten Fluß,
in welchen der Delphin auch sogleich einbog.
Stromaufwärts ging es langsamer, und um nicht
verschmachten zu müssen, nahm Said, der sich aus
alten Zaubergeschichten erinnerte, wie man zaubern
müsse, das Pfeifchen heraus, pfiff laut und herzhaft
und wünschte sich dann ein gutes Mahl. Sogleich
hielt der Fisch stille, und hervor aus dem Wasser tauchte
ein Tisch, so wenig naß, als ob er acht Tage an der
Sonne gestanden wäre, und reich besetzt mit
köstlichen Speisen. Said griff weidlich zu, denn
seine Kost während seiner Gefangenschaft war schmal
und elend gewesen, und als er sich hinlänglich
gesättigt hatte, sagte er Dank; der Tisch tauchte
nieder, er aber stauchte den Delphin in die Seite, und
sogleich schwamm dieser weiter den Fluß
hinauf.
-
- Die Sonne fing schon an zu sinken,
als Said in dunkler Ferne eine große Stadt
erblickte, deren Minarette ihm Ähnlichkeit mit denen
von Bagdad zu haben schienen. Der Gedanke an Bagdad war
ihm nicht sehr angenehm, aber sein Vertrauen in die
gütige Fee war so groß, daß er fest
glaubte, sie werde ihn nicht wieder in die Hände des
schändlichen Kalum-Bek fallen lassen. Zur Seite,
etwa eine Meile vor der Stadt und nahe am Fluß,
erblickte er ein prachtvolles Landhaus, und zu seiner
großen Verwunderung lenkte der Fisch nach diesem
Hause hin.
- Auf dem Dach des Hauses standen
mehrere schön gekleidete Männer, und am Ufer
sah Said eine große Menge Diener, und alle schauten
nach ihm und schlugen vor Verwunderung die Hände
zusammen. An einer Marmortreppe, die vom Wasser nach dem
Lustschloß hinaufführte, hielt der Delphin an,
und kaum hatte Said einen Fuß auf die Treppe
gesetzt, so war auch schon der Fisch spurlos
verschwunden. Zugleich eilten einige Diener die Treppe
hinab und baten im Namen ihres Herrn, zu ihm
hinaufzukommen, und boten ihm trockene Kleider an. Er
kleidete sich schnell um und folgte dann den Dienern aufs
Dach, wo er drei Männer fand, von welchen der
größte und schönste ihm freundlich und
huldreich entgegenkam. "Wer bist du, wunderbarer
Fremdling", sprach er, "der du die Fische des Meeres
zähmst und sie links und rechts leitest, wie der
beste Reiter sein Streitroß? Bist du ein Zauberer
oder ein Mensch wie wir?"
-
- "Herr!" antwortete Said. "Mir ist es
in den letzten Wochen schlecht ergangen, wenn Ihr aber
Vergnügen daran findet, so will ich Euch
erzählen." Und nun hob er an und erzählte den
drei Männern seine Geschichte von dem Augenblick an,
wo er seines Vaters Haus verlassen hatte bis zu seiner
wunderbaren Rettung. Oft wurde er von ihnen mit Zeichen
des Staunens und der Verwunderung unterbrochen; als er
aber geendet hatte, sprach der Herr des Hauses, der ihn
so freundlich empfangen hatte: "Ich trau deinen Worten
Said! Aber du erzähltest uns, daß du im
Wettkampfe eine Kette gewonnen und daß dir der
Kalif einen Ring geschenkt; kannst du wohl diese uns
zeigen?"
-
- "Hier auf meinem Herzen habe ich
beide verwahrt", sprach der Jüngling, "und nur mit
meinem Leben hätte ich so teure Geschenke
hergegeben, denn ich achte es für die ruhmvollste
und schönste Tat, daß ich den großen
Kalifen aus den Händen seiner Mörder befreite."
Zugleich zog er Kette und Ring hervor und übergab
beides den Männern.
- "Beim Bart des Propheten, er ist's,
es ist mein Ring!" rief der hohe schöne Mann.
"Großwesir, laß uns ihn umarmen, denn hier
steht unser Retter." Said war es wie im Traum, als diese
zwei ihn umschlangen, aber sobald war er sich nieder und
sprach: "Verzeihe, Beherrscher der Gläubigen,
daß ich so vor dir gesprochen habe, denn du bist
kein anderer als Harun al Raschid, der große Kalif
von Bagdad."
-
- "Der bin ich, dein Freund!"
antwortete Harun. "Und von dieser Stunde an sollen sich
alle deine trüben Schicksale wenden. Folge mir nach
Bagdad, bleibe in meiner Umgebung und sei einer meiner
vertrauteren Beamten, denn wahrlich, du hast in jener
Nacht gezeigt, daß dir Harun nicht
gleichgültig sei, und nicht jeden meiner treuesten
Diener möchte ich auf die gleiche Probe
stellen!"
-
- Said dankte dem Kalifen; er versprach
ihm, auf immer bei ihm zu bleiben, wenn er zuvor eine
Reise zu seinem Vater, der in großen Sorgen um ihn
sein müsse, gemacht haben werde, und der Kalif fand
dies gerecht und billig. Sie setzten sich bald zu Pferd
und kamen noch vor Sonnenuntergang in Bagdad an. Der
Kalif ließ Said eine lange Reihe prachtvoll
geschmückter Zimmer in seinem Palast anweisen und
versprach ihm noch überdies, ein eigenes haus
für ihn erbauen zu lassen.
-
- Auf die erste Kunde von diesem
Ereignis eilten die alten Waffenbrüder Saids, der
Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs,
herbei. Sie umarmten ihn als Retter dieser teuren
Männer und baten ihn, er möchte doch ihr Freund
werden. Aber sprachlos wurde sie vor Erstaunen, als er
sagte: "Eurer Freund bin ich längst", als er die
Kette, die er als Kampfpreis erhalten, hervorzog und sie
an dieses und jenes erinnerte. Sie hatten ihn immer nur
schwärzlich-braun und mit langem Bart gesehen, und
erst als er erzählte, wie und warum er sich
entstellt habe, als er zu seiner Rechtfertigung stumpfe
Waffen herbeibringen ließ, mit ihnen focht und
ihnen den Beweis gab, daß er Almansor der Tapfere
sei, erst dann umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und
priesen sich glücklich, einen solchen Freund zu
haben.
-
- Den folgenden Tag, als eben Said mit
dem Großwesir bei Harun saß, trat Messour,
der Oberkämmerer herein und sprach: "Beherrscher der
Gläubigen, so es anders sein kann, möchte ich
dich um eine Gnade bitten."
-
- "Ich will sie zuvor hören",
antwortete Harun.
-
- "Draußen steht mein lieber
leiblicher Vetter Kalum-Bek, ein berühmter Kaufmann
auf dem Basar", sprach er, "der hat einen sonderbaren
Handel mit einem Mann aus Balsora, dessen Sohn bei
Kalum-Bek diente, nachher gestohlen hat, dann entlaufen
ist, und niemand weiß wohin. Nun will aber der
Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn
doch nicht. Er wünscht daher und bittet um die
Gnade, du möchtest kraft deiner großen
Erleuchtung und Weisheit sprechen zwischen dem Mann aus
Aleppo und ihm."
-
- "Ich will richten", erwiderte der
Kalif. "In einer halben Stunde möge dein Herr Vetter
mit seinem Gegner in den Gerichtssaal
treten."
-
- Als Messour dankend gegangen war,
sprach Harun: "Das ist niemand anders als dein Vater,
Said, und da ich nun glücklicherweise alles, wie es
ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du,
Said, verbirgst dich hinter den Vorhang meines Thrones,
bis ich dich rufe, und du, Großwesir,
läßt mir sogleich den schlechten und
voreiligen Polizeirichter holen. Ich werde ihn im
Verhör brauchen."
-
- Sie taten beide, wie er befohlen.
Saids Herz pochte stärker, als er seinen Vater
bleich und abgehärmt, mit wankenden Schritten in den
Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Beks feines,
zuversichtliches Lächeln, womit er zu seinem Vetter
Oberkämmerer flüsterte, machte ihn so grimmig,
daß er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn
losgestürzt wäre. Denn seine größten
Leiden und Kümmernisse hatte er diesem schlechten
Menschen zu danken.
- Es waren viele Menschen im Saal, die
den Kalifen Recht sprechen hören wollten. Der
Großwesir gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad
auf seinem Thron Platz genommen hatte, Stille und fragte,
wer hier als Kläger vor seinem Herrn
erscheine.
-
- Kalum-Bek trat mit frecher Stirne vor
und sprach: "Vor einigen Tagen stand ich unter der
Türe meines Gewölbes im Basar, als ein
Ausrufer, einen Beutel in der Hand, und diesen Mann hier
neben sich, durch die Buden schritt und rief: ,Einen
Beutel Gold dem, der Auskunft geben kann über Said
aus Balsora.' Dieser Said war in meinen Diensten gewesen,
und ich rief daher: ,Hierher, Freund! Ich kann den Beutel
verdienen.' Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen
mich ist, kam freundlich und fragte, was ich
wüßte. Ich antwortete: ,Ihr seid wohl Benezar,
sein Vater?', und als er dies freudig bejahte,
erzählte ich ihm, wie ich den jungen Menschen in der
Wüste gefunden, gerettet und gepflegt und nach
Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens
schenkte er mir den Beutel. Aber hört diesen
unsinnigen Menschen, wie ich ihm nun weiter
erzählte, daß sein Sohn bei mir gedient habe,
daß er schlechte Streiche gemacht, gestohlen habe
und davongegangen sei, will er es nicht glauben, hadert
schon seit einigen Tagen mit mir, fordert seinen Sohn und
sein Geld zurück, und beides kann ich nicht geben,
denn das Geld gebührt mir für die Nachricht,
die ich ihm gab, und seinen ungeratenen Burschen kann ich
nicht herbeischaffen."
- Jetzt sprach auch Benezar. Er
schilderte seinen Sohn, wie edel und tugendhaft er sei
und daß er nie habe so schlecht sein können,
zu stehlen. Er forderte den Kalifen auf, strenge zu
untersuchen.
-
- "Ich hoffe", sprach Harun, "du hast,
wie es Pflicht ist, den Diebstahl angezeigt,
Kalum-Bek?"
-
- "Ei, freilich!" rief jener
lächelnd. "Vor den Polizeirichter habe ich ihn
geführt."
-
- "Man bringe den Polizeirichter!"
befahl der Kalif.
-
- Zum allgemeinen Erstaunen erschien
dieser sogleich, wie durch Zauberei herbeigebracht. Der
Kalif fragte ihn, ob er sich dieses Handels erinnere, und
dieser gestand den Fall zu.
-
- "Hast du den jungen Mann
verhört, hat er den Diebstahl eingestanden?" fragte
Harun.
-
- "Nein, er war sogar so verstockt,
daß er niemand als Euch selbst gestehen wollte!"
erwiderte der Richter.
-
- "Aber ich erinnere mich nicht, ihn
gesehen zu haben", sagte der Kalif.
-
- "Ei, warum auch! Da müßte
ich alle Tage einen ganzen Pack solches Gesindel zu Euch
schicken, die Euch sprechen wollen."
-
- "Du weißt, daß mein Ohr
für jeden offen ist", antwortete Harun, "aber
wahrscheinlich waren die Beweise über den Diebstahl
so klar, daß es nicht nötig war, den jungen
Menschen vor mein Angesicht zu bringen. Du hattest wohl
Zeugen, daß das Geld, das dir gestohlen wurde, dir
gehört, Kalum?"
-
- "Zeugen?" fragte dieser erbleichend.
"Nein, Zeugen hatte ich nicht, und Ihr wisset ja,
Beherrscher der Gläubigen, daß ein
Goldstück aussieht wie das andere. Woher konnte ich
denn Zeugen nehmen, daß diese hundert Stücke
in meiner Kasse fehlten?"
-
- "An was erkanntest du denn, daß
jene Summe gerade dir gehöre?" fragte der
Kalif.
- "An dem Beutel, in welchem sie war",
erwiderte Kalum.
-
- "Hast du den Beutel hier?" forschte
jener weiter.
-
- "Hier ist er", sprach der Kaufmann,
zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem
Großwesir, damit er ihn dem Kalifen
gebe.
-
- Doch der Wesir rief mit verstelltem
Erstaunen: "Beim Bart des Propheten! Der Beutel soll dein
sein, du Hund? Mein gehörte dieser Beutel, und ich
gab ihn mit hundert Goldstücken gefüllt einem
braven jungen Mann, der mich aus einer großen
Gefahr befreite."
-
- "Kannst du darauf schwören?"
fragte der Kalif.
-
- "So gewiß, als ich einst ins
Paradies kommen will", antwortete der Wesir, "denn meine
Tochter hat ihn selbst gemacht."
-
- "Ei! Ei!" rief Harun. "So wurdest du
also falsch berichtet, Polizeirichter? Warum hast du denn
geglaubt, daß der Beutel diesem Kaufmann
gehöre?"
-
- "Er hat geschworen", antwortete der
Polizeirichter furchtsam.
-
- "So hast du falsch geschworen?"
donnerte der Kalif den Kaufmann an, der erbleichend und
zitternd vor ihm stand.
- "Allah, Allah!" rief jener. "Ich will
gewiß nichts gegen den Herrn Großwesir sagen,
er ist ein glaubwürdiger Mann, aber ach, der Beutel
gehört doch mein, und der nichtswürdige Said
hat ihn gestohlen. Tausend Toman wollte ich geben, wenn
er jetzt zur Stelle wäre."
-
- "Was hast du denn mit diesem Said
angefangen?" fragte der Kalif. "Sag an, wohin man
schicken muß, damit er vor mir Bekenntnis
ablege!"
-
- "Ich habe ihn auf eine wüste
Insel geschickt", sprach der Polizeirichter.
-
- "O Said! Mein Sohn, mein Sohn!" rief
der unglückliche Vater und weinte.
-
- "So hat er also das Verbrechen
bekannt?" fragte Harun.
-
- Der Polizeirichter erbleichte. Er
rollte seine Augen hin und her, und endlich sprach er:
"Wenn ich mich noch recht erinnern kann -
ja."
-
- "Du weißt es also nicht
gewiß?" fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme
fort. "So wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor
Said, und du, Kalum-Bek, zahlst vor allem tausend
Goldstücke, weil er jetzt hier zur Stelle
ist."
- Kalum und der Polizeidiener glaubten
ein Gespenst zu sehen. Sie stürzten nieder und
riefen "Gnade! Gnade!" Benezar, vor Freude halb
ohnmächtig, eilte in die Arme seines verlorenen
Sohnes. Aber mit eiserner Strenge fragte jetzt der Kalif:
"Polizeirichter, hier steht Said, hat er
eingestanden?"
-
- "Nein, nein!" heulte der
Polizeirichter. "Ich habe nur Kalums Zeugnis gehört,
weil er ein angesehener Mann ist."
- "Habe ich dich darum als Richter
über alle bestellt, daß du nur den Vornehmsten
hörest?" rief Harun al Raschid mit edlem Zorn. "Auf
zehn Jahre verbanne ich dich auf eine wüste Insel
mitten im Meere, da kannst du über Gerechtigkeit
nachdenken, und du, elender Mensch, der du Sterbende
erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu
deinem Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt,
tausend Toman, weil du sie versprochen, wenn Said
käme, um für dich zu zeugen."
-
- Kalum freute sich, so wohlfeil aus
dem bösen Handel zu kommen, und wollte eben dem
gütigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort:
"Für den falschen Eid wegen der hundert
Goldstücke bekommst du hundert Hiebe auf die
Fußsohlen. Ferner hat Said zu wählen, ob er
dein ganzes Gewölbe und dich als Lastträger
nehmen will oder ob er mit zehn Goldstücken für
jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden
ist?"
-
- "Lasset den Elenden laufen, Kalif!"
rief der Jüngling. "Ich will nichts, das ihm
gehörte."
-
- "Nein", antwortete Harun, "ich will,
daß du entschädigt werdest. Ich wähle
statt deiner die zehn Goldstücke für den Tag,
und du magst berechnen, wieviel Tage du in seinen Klauen
warst. Jetzt fort mit diesen Elenden."
- Sie wurden abgeführt, und der
Kalif führte Benezar und Said in einen andern Saal;
dort erzählte er ihm selbst seine wunderbare Rettung
durch Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul
Kalum-Beks unterbrochen, dem man soeben im Hof seine
hundert vollwichtigen Goldstücke auf die
Fußsohlen zählte.
-
- Der Kalif lud Benezar ein, mit Said
bei ihm in Bagdad zu leben. Er sagte es zu und reiste nur
noch einmal nach Hause, um sein großes
Vermögen abzuholen. Said aber lebte in dem Palast,
den ihm der dankbare Kalif erbaut hatte, wie ein
Fürst. Der Bruder des Kalifen und der Sohn des
Großwesirs waren seine Gesellschafter, und es war
in Bagdad zum Sprichwort geworden: Ich möchte so gut
und so glücklich sein als Said, der Sohn
Benezars.
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