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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
|
- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Reise nach Hamburg
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-
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-
- (Reclam, S.
35) Am andern Morgen, am Montage
vor Johannis, trat ich meine Reise an. Auf einem Gaule,
den Dieterich mir besorget, trabte ich in der Frühe
aus dem Thorweg; als ich durch die Tannen ritt, brach
einer von des Junkers Hunden herfür und fuhr meinem
Thiere nach den Flechsen, wannschon selbiges aus ihrem
eigenen Stalle war; aber der
(Reclam, S.
36) oben im Sattel saß,
schien ihnen allzeit noch verdächtig. Kamen
gleichwohl ohne Blessur davon, ich und der Gaul, und
langeten abends bei guter Zeit in Hamburg an.
-
- Am andern Vormittage machte ich mich
auf und befand auch bald einen Schnitzer, so der
Bilderleisten viele fertig hatte, daß man sie nur
zusammenzustellen und in den Ecken die Zierathen
daraufzuthun brauchte. Wurden also handelseinig, und
versprach der Meister, mir das alles wohl verpacket
nachzusenden.
-
- Nun war zwar in der berühmten
Stadt vor einen Neubegierigen gar vieles zu beschauen, so
in der Schiffergesellschaft des Seeräubers
Störtebeker silberner Becher, welcher das zweite
Wahrzeichen der Stadt genennet wird, und ohne den gesehen
zu haben, wie es in einem Buche heißer, niemand
sagen dürfe, daß er in Hamburg sei gewesen;
sodann auch der Wunderfisch mit eines Adlers richtigen
Krallen und Fluchten, so eben um diese Zeit in der Elbe
war gefangen worden und den die Hamburger, wie ich
nachmalen hörete, auf einen Seesieg wider die
türkischen Piraten deuteten; allein, obschon ein
rechter Reisender solcherlei Seltsamkeiten nicht
vorbeigehen soll, so war doch mein Gemüthe, beides,
von Sorge und von Herzenssehnen, allzu sehr beschweret.
Derohalben, nachdem ich bei einem Kaufherrn noch meinen
Wechsel umgesetzet und in meiner Nachtherbergen
Richtigkeit getroffen hatte, bestieg ich um Mittage
wieder meinen Gaul und hatte allsobald allen Lärmen
des großen Hamburg hinter mir.
Hamburg mit Michel und Überseekai - zu Storms Zeiten
war die Skyline nicht wesentlich anders, 1661 allerding schon. Foto:
Martin Schlu ©2012
- Am Nachmittage danach langete ich in
Preetz an, meldete mich im Stifte bei der
hochwürdigen Dame und wurde auch alsbald
vorgelassen. Ich erkannte in ihrer stattlichen Person
allsogleich die Schwester meines theueren seligen Herrn
Gerhardus; nur, wie es sich an unverehelichten Frauen
oftmals zeiget, waren die Züge des Antlitzes
gleichwohl strenger als die des Bruders. Ich hatte,
selbst nachdem ich Katharinens Schreiben
überreichet, ein lang und hart Examen zu bestehen;
dann aber verhieß sie
(Reclam, S.
37) ihren Beistand und setzete
sich zu ihrem Schreibgeräthe, indeß die Magd
mich in ein ander Zimmer führen mußte, allwo
man mich gar wohl bewirthete.
-
- Es war schon spät am
Nachmittage, da ich wieder fortritt; doch rechnete ich,
obschon mein Gaul die vielen Meilen hinter uns bereits
verspürete, noch gegen Mitternacht beim alten
Dieterich anzuklopfen. - Das Schreiben, das die alte Dame
mir für Katharinen mitgegeben, trug ich wohl
verwahret in einem Ledertäschlein unterm Wamse auf
der Brust. So ritt ich fürbaß in die
aufsteigende Dämmerung hinein; gar bald an sie, die
eine, nur gedenkend und immer wieder mein Herz mit neuen
lieblichen Gedanken schreckend.
-
- Es war aber eine lauwarme Juninacht;
von den dunkelen Feldern erhub sich der Ruch der
Wiesenblumen, aus den Knicken duftete das
Geißblatt; in Luft und Laub schwebete ungesehen das
kleine Nachtgeziefer oder flog auch wohl surrend meinem
schnaubenden Gaule an die Nüstern; droben aber an
der blauschwarzen ungeheueren Himmelsglocke über mir
strahlte im Südost das Sternenbild des Schwanes in
seiner unberührten Herrlichkeit.
-
- Da ich endlich wieder auf Herrn
Gerhardus' Grund und Boden war, resolvirte ich mich
sofort, noch nach dem Dorfe hinüberzureiten, welches
seitwärts von der Fahrstraßen hinterm Wald
belegen ist. Denn ich gedachte, daß der Krüger
Hans Ottsen einen paßlichen Handwagen habe; mit dem
solle er morgen einen Boten in die Stadt schicken, um die
Hamburger Kiste für mich abzuholen; ich aber wollte
nur an sein Kammerfenster klopfen, um ihm solches zu
bestellen.
-
- Also ritte ich am Waldesrande hin,
die Augen fast verwirret von den grünlichen
Johannisfünkchen, die mit ihren spielerischen
Lichtern mich hier umflogen. Und schon ragete groß
und finster die Kirche vor mir auf, in deren Mauern Herr
Gerhardus bei den Seinen ruhte; ich hörte, wie im
Thurm soeben der Hammer ausholete, und von
(Reclam, S. 38)
der Glocken scholl die Mitternacht
ins Dorf hinunter. „Aber sie schlafen alle“,
sprach ich bei mir selber, „die Todten in der Kirchen
oder unter dem hohen Sternenhimmel hieneben auf dem
Kirchhof, die Lebenden noch unter den niedern
Dächern, die dort stumm und dunkel vor dir
liegen.“ So ritt ich weiter. Als ich jedoch an den
Teich kam, von wo aus man Hans Ottsens Krug gewahren
kann, sahe ich von dorten einen dunstigen Lichtschein auf
den Weg hinausbrechen, und Fiedeln und Klarinetten
schalleten mir entgegen.
-
- Da ich gleichwohl mit dem Wirthe
reden wollte, so ritt ich herzu und brachte meinen Gaul
im Stalle unter. Als ich danach auf die Tenne trat, war
es gedrang voll von Menschen, Männern und Weibern,
und ein Geschrei und wüst Getreibe, wie ich solches,
auch beim Tanz, in früheren Jahren nicht vermerket.
Der Schein der Unschlittkerzen, so unter einem Balken auf
einem Kreuzholz schwebten, hob manch bärtig und
verhauen Antlitz aus dem Dunkel, dem man lieber nicht
allein im Wald begegnet wäre. - Aber nicht nur
Strolche und Bauerbursche schienen hier sich zu
vergnügen; bei den Musikanten, die drüben vor
der Döns auf ihren Tonnen saßen, stund der
Junker von der Risch; er hatte seinen Mantel über
dem einen Arm, an dem andern hing ihm eine derbe Dirne.
Aber das Stücklein schien ihm nicht zu gefallen;
denn er riß dem Fiedler seine Geigen aus den
Händen, warf eine Handvoll Münzen auf seine
Tonne und verlangte, daß sie ihm den neumodischen
Zweitritt aufspielen sollten. Als dann die Musikanten ihm
gar rasch gehorchten und wie toll die neue Weise klingen
ließen, schrie er nach Platz und schwang sich in
den dichten Haufen; und die Bauerburschen glotzten drauf
hin, wie ihm die Dirne im Arme lag, gleich einer Tauben
vor dem Geier.
-
- Ich aber wandte mich ab und trat
hinten in die Stube, um mit dem Wirth zu reden. Da
saß der Junker Wulf beim Kruge Wein und hatte den
alten Ottsen neben sich, (Reclam,
S. 39) welchen er mit allerhand
Späßen in Bedrängniß brachte; so
drohete er, ihm seinen Zins zu steigern, und
schüttelte sich vor Lachen, wenn der geängstete
Mann gar jämmerlich um Gnad und Nachsicht
supplicirte. - Da er mich gewahr worden, ließ er
nicht ab, bis ich selbdritt mich an den Tisch gesetzet;
frug nach meiner Reise, und ob ich in Hamburg mich auch
wohl vergnüget; ich aber antwortete nur, ich
käme eben von dort zurück, und werde der Rahmen
in Kürze in der Stadt eintreffen, von wo Hans Ottsen
ihn mit seinem Handwäglein leichtlich möge
holen lassen.
-
- Indeß ich mit letzterem solches
nun verhandelte, kam auch der von der Risch
hereingestürmet und schrie dem Wirthe zu, ihm einen
kühlen Trunk zu schaffen. Der Junker Wulf aber, dem
bereits die Zunge schwer im Munde wühlete,
faßte ihn am Arm und riß ihn auf den leeren
Stuhl hernieder.
-
- „Nun, Kurt!" rief er. „Bist
du noch nicht satt von deinen Dirnen! Was soll die
Katharina dazu sagen? Komm, machen wir alamode ein ehrbar
hazard mitsammen!" Dabei hatte er ein Kartenspiel unterm
Wams hervorgezogen. „Allons donc! - Dix et dame! -
Dame et valet!"
-
- Ich stand noch und sah dem Spiele zu,
so dermalen eben Mode worden; nur wünschend,
daß die Nacht vergehen und der Morgen kommen
möchte. - Der Trunkene schien aber dieses Mal des
Nüchternen Übermann; dem von der Risch schlug
nach einander jede Karte fehl.
-
- „Tröste dich, Kurt!"
sagte der Junker Wulf, indeß er schmunzelnd die
Speciesthaler auf einen Haufen scharrte:
- „Glück in der
Lieb
Und Glück im Spiel,
Bedenk, für einen
Ist's zu viel!
- Laß den Maler dir hier von
deiner schönen Braut erzählen! Der weiß
sie auswendig; da kriegst du's nach der Kunst zu
wissen."
-
- (Reclam, S.
40) Dem andern, wie mir am besten
kund war, mochte aber noch nicht viel von
Liebesglück bewußt sein; denn er schlug
fluchend auf den Tisch und sah gar grimmig auf mich
her.
-
- „Ei, du bist
eifersüchtig, Kurt!" sagte der Junker Wulf
vergnüglich, als ob er jedes Wort auf seiner
schweren Zunge schmeckete; „aber getröste
dich, der Rahmen ist schon fertig zu dem Bilde; dein
Freund, der Maler, kommt eben erst von
Hamburg."
-
- Bei diesem Worte sah ich den von der
Risch aufzucken gleich einem Spürhund bei der
Witterung. „Von Hamburg heut? - So muß er
Fausti Mantel sich bedienet haben; denn mein Reitknecht
sah ihn heut zu Mittag noch in Preetz! Im Stift, bei
deiner Base ist er auf Besuch gewesen."
-
- Meine Hand fuhr unversehens nach der
Brust, wo ich das Täschlein mit dem Brief verwahret
hatte; denn die trunkenen Augen des Junkers Wulf lagen
auf mir; und war mir's nicht anders, als sähe er
damit mein ganz Geheimniß offen vor sich liegen. Es
währete auch nicht lange, so flogen die Karten
klatschend auf den Tisch. „Oho!" schrie er. „Im
Stift, bei meiner Base! Du treibst wohl gar doppelt
Handwerk, Bursch! Wer hat dich auf den Botengang
geschickt?"
-
- „Ihr nicht, Junker Wulf!"
entgegnet ich; „und das muß Euch genug
sein!" - Ich wollt nach meinem Degen greifen, aber er war
nicht da; fiel mir auch bei nun, daß ich ihn an den
Sattelknopf gehänget, da ich vorhin den Gaul zu
Stalle brachte.
- Und schon schrie der Junker wieder zu
seinem jüngeren Kumpan: „Reiß ihm das
Wams auf, Kurt! Es gilt den blanken Haufen hier; du
findest eine saubere Briefschaft, die du ungern
möchtst bestellet sehen!"
-
- Im selbigen Augenblick fühlte
ich auch schon die Hände des von der Risch an meinem
Leibe, und ein wüthend Ringen zwischen uns begann.
Ich fühlte wohl, daß ich so
(Reclam, S.
41) leicht, wie in der Bubenzeit,
ihm nicht mehr über würde; da aber fügete
es sich zu meinem Glücke, daß ich ihm beide
Handgelenke packte und er also wie gefesselt vor mir
stund. Es hatte keiner von uns ein Wort dabei verlauten
lassen; als wir uns aber itzund in die Augen sahen, da
wußte jeder wohl, daß er's mit seinem
Todfeind vor sich habe.
-
- Solches schien auch der Junker Wulf
zu meinen; er strebte von seinem Stuhl empor, als wolle
er dem von der Risch zu Hülfe kommen; mochte aber zu
viel des Weins genossen haben, denn er taumelte auf
seinen Platz zurück. Da schrie er, so laut seine
lallende Zunge es noch vermochte: „He, Tartar!
Türk! Wo steckt ihr! Tartar, Türk!" Und ich
wußte nun, daß die zwo grimmen Köter, so
ich vorhin auf der Tenne an dem Ausschank hatte lungern
sehen, mir an die nackte Kehle springen sollten. Schon
hörete ich sie durch das Getümmel der Tanzenden
daherschnaufen, da riß ich mit einem Rucke
jählings meinen Feind zu Boden, sprang dann durch
eine Seitenthür aus dem Zimmer, die ich schmetternd
hinter mir zuwarf, und gewann also das Freie.
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