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00.
Vorwort
01.
Meine Eltern
02.
Gascogne und Cevennen - Französische Vettern - Unsere
Ruppiner Tage
03.
Unsere Übersiedelung nach Swinemünde - Ankunft
daselbst
04.
Unser Haus, wie wir's vorfanden
05.
Unser Haus, wie's wurde
06.
Die Stadt; ihre Bewohner und ihre
Honoratioren
07.
Die Schönebergs und die Scherenbergs
08.
Die Krauses
09.
Wie wir in unserem Hause lebten - Sommer- und Herbsttage -
Schlacht- und Backfest
10.
Wie wir in unserem Hause lebten (Fortsetzung) - "Große
Gesellschaft"
11.
Was wir in Haus und Stadt
erlebten
12.
Was wir in der Welt erlebten
13.
Wie wir in die Schule gingen und lernten
14.
Wie wir erzogen wurden - Wie wir spielten in Haus und
Hof
15.
Wie wir draußen spielten, an Strom und
Strand
16.
Vierzig Jahre später
17.
Allerlei Gewölk
18.
Das letzte Halbjahr
|
Theodor Fontane
(1819 - 1898)
Meine Kinderjahre
|
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-
- Autobiographischer
Roman
- Textauszüge von Theodor
Fontane
mit Fotos von Martin Schlu
-
- Drittes Kapitel.
Unsere Übersiedelung nach Swinemünde -
Ankunft daselbst
-
- Das halbe Jahr bis zur Übernahme
des neuen Geschäfts verging langsam, aber es
verging. Etwa Ende Mai begann das Verpacken und Aufladen
unseres inzwischen durch den Tod des Großvaters
vermehrten Mobiliarvermögens, und als vier Wochen
später die Nachricht kam, daß alles
glücklich in der neuen Heimat angelangt sei, brachen
wir am Johannistage 1827 auf, um selber die Reise dorthin
zu machen. Meine Mutter war nicht mit dabei, sie hatte
sich Mitte Juni nach Berlin begeben, um sich daselbst
einer Nervenkur bei dem damals berühmtesten Arzte,
dem Geheimrat Horn zu unterziehen. Horn empfahl ihr das,
was noch heute empfohlen wird. "Verpflegen Sie sich gut,
meine verehrte Frau (man sagte damals in
bürgerlichen Kreisen noch nicht meine
gnädige Frau) und suchen Sie sich unangenehmen
Eindrücken nach Möglichkeit zu entziehn." Und
gerade so wie jetzt; dieser ärztliche Rat half auch,
solange es möglich war, ihm nachzukommen. In Berlin,
unter den dort lebenden Freundinnen aus der Lionnetschen
Pension, hatte sich das tun lassen; als meine Mutter aber
etliche Wochen später in Swinemünde eintraf und
vieles anders fand, als sie wünschte, war es mit
"Vermeidung unangenehmer Eindrücke" vorbei, und die
Nervenzustände stellten sich wieder ein.
-
- Unsere Reise hatte mittlerweile
begonnen und ging, auf drei Tage berechnet, auf
nächstem Wege durch Uckermark, Mecklenburg-Strelitz
und Schwedisch-Pommern. Wir waren, groß und klein,
sechs Personen: mein Vater, vier Kinder und die Amme des
jüngsten Kindes, eine zigeunerhafte,
häßliche Wendin, von, wie sich später
herausstellte, schlechtem Charakter, die sich durch
nichts als durch eminente spezielle Berufserfüllung
meinem erst halbjährigen jüngsten Bruder
gegenüber auszeichnete. Den ersten Tag kamen wir bis
Neu-Strelitz, wo sich uns ein für die Apotheke
brieflich engagierter Gehilfe zugesellte, Herr Wolff, ein
sehr hübscher krausköpfiger Mann, und trotzdem
er Mecklenburger war, von durchaus brünettem Typus.
Er empfahl sich unserm Hause, wie gleich hier bemerkt
werden mag, durch Brauchbarkeit und gute Manieren und
hatte das Glück, seine durch zwei lange Jahre hin
nicht bloß von Erfolgen, sondern auch von "Folgen"
begleiteten Liebesverhältnisse beständig
pardonniert zu sehen, bis ihm endlich eine junge
bildschöne Person, ein Liebling meiner Eltern, zum
Opfer fiel. Da fiel er denn, sehr berechtigt, mit. Aber
das alles stand zu der Zeit, von der ich, hier spreche,
noch weit aus. Vorläufig war er, trotz weiterer
Beengung des ohnehin engen Platzes, ein sehr angenehmer
Reisegefährte, der sich mit uns Kindern ebenso
geschickt wie liebenswürdig unterhielt und in seiner
mehr als korrekten Haltung der Amme gegenüber auch
nicht das geringste von seiner starken "schwachen Seite"
vermuten ließ. Der zweite Tag führte uns bis
Anklam. "Hier sind wir nun schon in Pommern", sagte mein
Vater, der eine Gelegenheit, etwas
Geographisch-Historisches anzubringen, nicht gern
vorübergehen ließ. "Anklam hat den
höchsten Turm in ganz Pommern, und Gustav Adolf ist,
so viel ich weiß, hier durchgekommen. Es ist aber
auch möglich, daß es Karl XII. war." Von
Anklam bis Swinemünde war die kürzeste
Wegstrecke, nur noch sechs Meilen. Auf einer Fähre
setzten wir, ich weiß nicht mehr von welchem Punkt
aus, nach der Insel Usedom über und fuhren nun
unserm Ziele zu. Das letzte Dorf hieß Kamminke.
Halben Wegs zwischen diesem Dorf und Swinemünde
selbst passierten wir eine mitten im Walde gelegene
Bohlenbrücke, zu deren beiden Seiten sich eine
dunkelschwarze Wasserfläche mit weißen
Nymphäen ausbreitete; die niedergehende Sonne stand
schon hinter den Tannen, und ein roter Schimmer, der
zwischen den Wipfeln glühte, spiegelte sich unten in
dem schönen und zugleich etwas unheimlichen Teich.
Es steht vor mir, als hätt' ich es gestern gesehen.
Bald hinter dieser Brücke hörte der Wald auf,
und ein kurzer chaussierter Weg kam, von dem aus man,
etwas zurückgelegen, ein weites Moor
überblickte, darauf, wie Indianerhütten, die
ich aus meinen Bilderbüchern kannte, zahllose
Torfpyramiden standen. Der chaussierte Weg, auf dem wir
fuhren, war von jungen Silberpappeln eingefaßt, und
als diese kurze Chausseestrecke hinter uns lag, begann
die Stadt selbst, deren erstes Haus nicht weit ab zu
unsrer Linken, auf einer kleinen Anhöhe lag. Ein
Tischler wohnte darin, Das Strohdach des Hauses hing weit
herab und ließ den Lehm- und Fachwerkbau mit seinen
Fensterchen nur undeutlich erkennen, aber neben dem Hause
zog sich ein Hof- und Gartenstreifen, und auf einem den
Garten durchschneidenden und allmählich ansteigenden
Wege stand ein Sarg, der, weil eben mit einem frischen
Lack gestrichen, hell in der Abendsonne blinkte. Das war
der Empfang. Ich erschrak in meinem Kinderherzen und wies
scheu darauf hin, aber mein Vater wollte von Angst und
schlechter Vorbedeutung nichts wissen und sagte: "Sei
nicht so dumm. Das ist das Beste, was uns passieren kann.
Das ist, wie wenn einem eine Karre mit einem toten Pferd
darauf begegnet, und das hier ist noch besser. Das tote
Pferd bedeutet immer bloß Geld, aber ein Sarg,
bedeutet Glück überhaupt. Und bei allem Respekt
vor Geld; Glück ist noch besser. Glück ist
alles. Wir werden also hier Glück haben. Nicht wahr,
Herr Wolff? Glück, sag' ich. Und Sie auch." Herr
Wolff nickte. Übrigens hatte mein Vater ganz recht
prophezeit. Es ging uns gut hier, und was mitunter anders
aussah, daran war das Glück nicht schuld; das tat,
umgekehrt, sein möglichstes für
uns.
-
- Mit dem Tischlerhause begann die
Stadt, aber mir wollte es noch immer nicht so vorkommen,
als führen wir schon wirklich in eine Stadt hinein.
Ein Tor war nicht da, Pflaster auch nicht, Menschen auch
nicht. Der Abstand zwischen den Häuserreihen links
und rechts war unendlich breit und jedes Haus klein und
häßlich, viele noch mit Strohdach. Ein
Glück, daß die meisten einen Giebel hatten,
der, mit einer Flaggenstange zu Häupten, aus dem
eigentlichen Frontdach herauswuchs. So mahlten wir im
Sande weiter, bis wir, nach Passierung etlicher
Querstraßen, einen großen, merkwürdig
geformten Platz erreichten, halb kahl, halb hoch im Gras
stehend, ganz nach Art einer dörfischen
Gänsewiese. Auf diesem völlig ungepflegten
Platze, der, wie uns etliche auf hohen Böcken
liegende Baumstämme zeigten, zugleich auch als
Holzsägeplatz diente, ragte ein scheunenartiger Bau
mit hohen Fenstern auf: die Kirche. Dieser gegenüber
und nur durch die Straßenbreite von ihr getrennt,
stand ein mit Feuerherdsrot gestrichenes Haus, dessen
endlos aufsteigendes Dach wohl fünfmal so hoch war
als das Haus selber. Drei, vier umherstehende, von einem
Holzgitter eingefaßte Kastanienbäume
ließen, außer dem hohen Dache, wenig
erkennen. Zwischen Haus und Kirche aber hielt jetzt unser
Wagen, und mein Vater, der mein verlegenes Gesicht sehen
mochte, sagte mit aufgesteifter Heiterkeit: "Da sind wir
nun, also. Gott segne unsern Eingang. Hier gleich das
erste Zimmer rechts, Herr Wolff, das ist das Ihre." Herr
Wolff verbeugte sich, schien aber noch verwunderter als
ich. Nur der Amme war nichts anzumerken.
-
- Ein paar Personen, die bestimmt
waren, vorläufig wohl oder übel den Hausstand
zu führen, standen an der mit beiden Flügeln
geöffneten Haustür und kamen uns etwas verlegen
entgegen. "Ein Abendbrot ist doch wohl da", sagte mein
Vater, und ehe wir noch darüber beruhigt waren,
traten wir auch schon in einen gelb gestrichenen, mit
Mauersteinen gepflasterten Flut, der durch die ganze
Tiefe des Hauses lief. Auch das berührte mich ganz
eigentümlich. Zum Glück aber war von Anfang an
immer etwas da, was mit dem Rohen und Unkultivierten
wieder versöhnen mußte. So gestattete mir der
gepflasterte Flur, weil seine Hintertür weit offen
stand, einen Blick in den Garten und auf den Abendhimmel,
an dem eben die schmale Mondsichel sichtbar wurde. Das
blasse Licht derselben fiel auf eine
Geißblattlaube, vor deren halbüberwachsenem
Eingang eine ziemlich junge Tanne stand. Dieser Anblick
erfüllte mich mit etwas wie Hoffnung, und diese
Hoffnung trog auch nicht. Es war ein wunderbar
schönes Leben in dieser kleinen Stadt, dessen ich
noch jetzt, wie meiner ganzen buntbewegten Kinderzeit,
unter lebhafter Herzensbewegung gedenke.
-
- Wir setzten uns, bald nach Eintritt
in unser Haus, zum Abendbrot nieder. Für uns Kinder
war es Milchsuppe, für gewöhnlich nicht mein
Geschmack. Ich aß aber ein gut Teil, und mein Vater
sagte schmunzelnd: "Das ist recht. Wer lange suppt, lebt
lange. Nur nicht kiesätig. Und überhaupt, es
wird uns hier schon gefallen. Wenn es nur Mama
gefällt. Der verdammte Sand. Aber für die
Pferde ist es besser; dabei bleibe ich."
-
- Dann standen wir auf, und mein Papa,
der, weil kein anderer da war, sich in seinem
Redebedürfnis wohl oder übel mit mir
unterhalten mußte, sagte: "Nun geh noch mal hinaus
und sieh dir die Kirche an; das ist nämlich die
große Remise gerade gegenüber. Hat
übrigens nichts auf sich, daß sie so nach
nichts aussieht; das protestantische Wort ist nicht an
÷rtlichkeit gebunden oder von einem gemalten
Sternenhimmel abhängig. Gutes tun, keusch und
züchtig leben." Diese seine letzten Worte richteten
sich an Herrn Wolff, dem er doch nicht recht trauen
mochte, trotzdem noch nichts gegen ihn
vorlag.
-
- Ich war froh, meine Neugierde
befriedigen zu können, und ging hinaus. Als ich auf
die Straße trat, traf ich einen kleinen, schon
ältlichen und etwas verwachsenen Mann, der, nachdem
er das Pferd in den Stall geführt hatte, mit
Abladung unseres Gepäcks beschäftigt war. Er
hieß, wie ich gleich erfahren sollte, Ehm,
wahrscheinlich Abkürzung von Adam, und war, obwohl
er nichts von Pferden verstand, im voraus dazu bestimmt,
unser Kutscher zu werden. Er blieb es auch Jahr und
Tag.
-
- "Wie heißt du?" fragte
ich.
-
- "Ehm."
-
- "Ehm? Das habe ich noch nicht
gehört. Aber sage, Ehm, was ist das, das immer so
rauscht und donnert? Und dabei geht doch kein Wind und
keine Luft."
-
- "Dat's de See."
-
- "Das Meer?"
-
- "Joa, de See."
-
- "Wie weit ab ist es? Es klingt ja so
nah."
-
- "Na, ne Viertelstunn. Un mitunner
kümmt se bis ran und steigt hier rümm in alle
Straten. Un so'n Lütting wie du, de kann denn
versupen."
-
-
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