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00.
Vorwort
01.
Meine Eltern
02.
Gascogne und Cevennen - Französische Vettern - Unsere
Ruppiner Tage
03.
Unsere Übersiedelung nach Swinemünde - Ankunft
daselbst
04.
Unser Haus, wie wir's vorfanden
05.
Unser Haus, wie's wurde
06.
Die Stadt; ihre Bewohner und ihre
Honoratioren
07.
Die Schönebergs und die Scherenbergs
08.
Die Krauses
09.
Wie wir in unserem Hause lebten - Sommer- und Herbsttage -
Schlacht- und Backfest
10.
Wie wir in unserem Hause lebten (Fortsetzung) - "Große
Gesellschaft"
11.
Was wir in Haus und Stadt
erlebten
12.
Was wir in der Welt erlebten
13.
Wie wir in die Schule gingen und lernten
14.
Wie wir erzogen wurden - Wie wir spielten in Haus und
Hof
15.
Wie wir draußen spielten, an Strom und
Strand
16.
Vierzig Jahre später
17.
Allerlei Gewölk
18.
Das letzte Halbjahr
|
Theodor Fontane
(1819 - 1898)
Meine Kinderjahre
|
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-
- Autobiographischer
Roman
- Textauszüge von Theodor
Fontane
mit Fotos von Martin Schlu
-
- Siebentes Kapitel.
Die Schönebergs und die Scherenbergs
-
- Unter den im vorigen Kapitel kurz
skizzierten Familien, wie angesehen die eine oder die
andere derselben auch sein mochte, befand sich keine, die
gesellschaftlich den Ton angegeben hätte. Näher
dieser Aufgabe kamen die zwei Familien, beide
Kaufmannsfamilien, die uns in diesem Kapitel
beschäftigen sollen: die Schönebergs und die
Scherenbergs.
-
- Zunächst die Schönebergs.
In Swinemünde selbst ist gegenwärtig der Name
erloschen, aber während jener Jahre, von denen ich
hier zu erzählen habe, war der alte Schöneberg
zwar nicht der hervorragendste, klügste und
vornehmste, wohl aber der reichste Mann der Stadt, und
zwar der wirklich reichste. Denn sein Besitz war solide,
was man dem Reste der Swinemünder Honoratiorenschaft
nicht nachrühmen konnte. Sie wollten es auch nicht
sein; alles Solidesein war langweilig und
philiströs. Natürlich schlug oft die Stunde, wo
diese beständig vom glücklichen Zufall
abhängigen Hasardeure bei der Schönebergschen
Solidität Hilfe suchten, und diese Stunde des
Hilfesuchens hätte wohl noch öfter geschlagen,
wenn nicht der vorsichtige alte Handelsherr, so gern er
sonst half, den gewohnheitsmäßigen
vabanque-Spielern gegenüber eine weise
Zurückhaltung beobachtet hätte. Diese Tugend
klug erwägender Zurückhaltung war wohl im
Zusammenhang damit, daß die Schönebergs keine
baltischen Pommern, sondern echte Kinder unserer Mark
waren, was sich mir aus ausgangs des vorigen Jahrhunderts
von einem Mitgliede der Familie gemachten
Tagebuchaufzeichnungen ergibt.
-
- Danach stammten die Schönebergs
aus Berlin, wo, zu Zeiten des ersten Königs und
unter dessen Nachfolger, der Ahnherr des nach Pommern hin
verschlagenen Zweiges der Familie wohnte. Derselbe war
Servicerendant und Kirchenvorsteher an der Marienkirche.
Sein Sohn trat dem Kirchlichen noch näher und wurde
Prediger zu Biesdorf, wenige Meilen von Berlin, wo ihm
von seiner Frau geb. Meerkatz fünfzehn Kinder
geboren wurden. Einer der Söhne, Kaufmann geworden,
ging als solcher erst nach Stargard, dann nach
Swinemünde, woselbst er Ende des vorigen
Jahrhunderts ein schon in gutem Ansehen stehendes
Geschäft erwarb. Es gelang ihm, dies Ansehen zu
steigern, aber die volle Blüte stellte sich doch
erst unter seinem ältesten Sohn, Heinrich August
ein, geboren 1776, gestorben 1855.
-
- Dieser Heinrich August hieß,
als wir 1827
nach Swinemünde kamen, bereits der alte
Schöneberg", was insoweit ganz in der Ordnung war,
als ihm, dem freilich erst
Einundfünfzigjährigen, bereits ein junger
Schöneberg im Geschäft zur Seite stand. Dies
Schönebergsche Geschäftshaus war ein
großes Eckhaus am Marktplatz, und meine Mutter,
wenn es sich um Einkäufe handelte, dahin begleiten
zu dürfen, gewährte mir jedesmal eine
große Freude. Was ich da sah, war mir eine fremde
Welt. In Ruppin gab es natürlich auch
Kaufläden, in denen man in dem einen allerlei
Kolonialwaren, in dem anderen Tuch oder Leinwand und in
einem dritten irdenes Geschirr kaufen konnte. Diese
Läden aber hatten samt und sonders etwas Kleines und
Spießbürgerliches, das der Phantasie nirgends
Nahrung gab, und wenn es gar Winter war, so konnten einem
die armen halberfrorenen Lehrlinge mit ihren braunen
Pulswärmern und den Handschuhen ohne Finger vollends
die Freude verderben. Von all diesem Unschönen war
hier in Swinemünde keine Rede. Der
Schönebergsche Laden - der sehr im Pluralis auftrat,
denn es war eine ganze Reihe von Läden - barg eine
Welt der verschiedensten Dinge, was wohl in dem regen
Seeverkehr der Stadt seinen Grund hatte. Wenn ein
Schiffskapitän hier eintraf, der seine Brigg zu
einer Fahrt um Kap Horn herum ausrüsten wollte, so
fand er hier alles, was er brauchte: Kompaß und
Barometer für sein Schiff, Frieshemden und wollene
Mützen für seine Matrosen, vor allem aber auch
allerhand feine Dinge für sich selbst, dazu Geschirr
für Küche und Kajüte. Das Geschirr
buntester und mannigfachster Art bildete, so jung ich
war, doch schon damals einen Gegenstand besonderer
Aufmerksamkeit für mich, teils um seiner
geschmackvollen Formen und Ornamente, teils um seines
Materials willen. In unserem Binnenlande, trotz
vereinzelter Bemühungen es zu bessern, lagen alle
diese Dinge noch sehr im argen, und braunes "Bunzlau"
beherrschte vorwiegend den Markt; was sich hier in dem
Schönebergschen Laden aber meinen Augen bot, war
ausschließlich englisches Geschirr, vieles in
Fayence (sog. Wedgewood), andres in Britanniametall. Ich
war immer helles Staunen und Bewunderung und nicht
bloß dem zu Kauf Stehenden, sondern auch den die
Honneurs des Hauses machenden Verkäufern
gegenüber, Vater und Sohn. Der Vater, noch ein
schöner Mann, exzellierte gleichmäßig in
Umgangsformen und weißester Wäsche,
während sein Sohn, auf den sich, von der Mutter her,
eine das Kränkliche streifende Zartheit vererbt
hatte, diese Zartheit durch etwas sehr Bestimmtes in
seinem Wesen wieder wettzumachen wußte. Dezidiert
und verbindlich zugleich, diese Charaktermischung war es
denn auch, die ihn mehr noch als sein Reichtum das
schönste Mädchen der Stadt heimführen
ließ, eine leuchtende, echt germanische Blondine,
einzige Tochter des im übrigen mit Söhnen
beinah allzureich gesegneten Scherenbergschen
Hauses.
-
- Die Scherenbergs, denen ich mich nun
zuwende, stammten ursprünglich aus Westfalen, wo sie
mehrere Jahrhunderte zurück den noch jetzt bei einem
Zweige der Familie verbliebenen Sieger-Hof besaßen.
Andere Zweige verließen ihre heimatliche Provinz
und übersiedelten teils westlich ins
Jülich-Clevesche, teils östlich bis an die Oder
hin, wo sie sich in Stettin und später in
Swinemünde niederließen.
-
- Das Haupt dieses
Stettin-Swinemünder Familienzweiges war zu der Zeit,
von der ich hier berichte, Johann Friedrich Scherenberg,
ein Sechziger, dessen ältester Sohn, Christian
Friedrich, damals schon über dreißig Jahre
zählte, während der noch unter uns lebende
Maler Hermann Scherenberg eben erst das Licht der Welt
erblickt hatte. Diese starken Jahresunterschiede waren
darin begründet, daß der alte Scherenberg
zweimal verheiratet war, in erster Ehe mit einem
Fräulein Courian, in zweiter Ehe mit einem
Fräulein Villaret, beide der Stettiner
französischen Kolonie entstammend. Aus diesen
Eheschließungen mit Damen von durchaus
französischer Eigenart erklärt es sich auch
wohl, daß, durch jetzt drei Generationen hin, alle
oder doch fast alle diesem Swinemünder Zweige der
Scherenberg-Familie Zugehörigen eine ausgesprochene,
zum Teil von sehr bemerkenswerten Erfolgen begleitete
Vorliebe für die schönen Künste gehabt
haben. Denn wenn es auch - ich habe darüber mit dem
verstorbenen Konsistorialrat Fournier, dem besten Kenner
auf diesem Gebiete, mehr als einmal eingehende
Gespräche führen dürfen - als sicher
gelten darf, daß auf allgemeine geistige
Veranlagung hin angesehen, von einer im vorigen
Jahrhundert von seiten der Kolonieleute noch als eine Art
Dogma betrachteten Überlegenheit längst keine
Rede mehr sein kann, so möchte ich doch beinah
annehmen, daß in bezug auf künstlerische
Beanlagung (Handgeschicklichkeiten mit eingeschlossen)
auch in diesem Augenblicke noch die Nachkommen der
"Kolonie" den Berlinischen Autochthonen - ganz speziell
diesen, im Gegensatz zu dem Zuzug aus andern deutschen
Landesteilen - um einen guten Pas voraus sind. Ich glaube
dies mannigfach beobachtet zu haben, aber freilich in
keinem Falle gleich auffällig wie in dem Fall
Scherenberg. Überblicke ich mit Umgehung der Damen,
in deren Reihen sich vielfach dieselbe künstlerische
Neigung zeigte, die Gesamtheit dessen, was seit Beginn
des Jahrhunderts der Scherenberg-Familie zugehörte,
so stellt sich, trotzdem fast alle von vornherein
für den Kaufmannsstand bestimmt wurden, folgendes
als Resultat heraus:
-
- Christian Friedrich Scherenberg
(gestorben 1881), der Dichter von Ligny und Waterloo, von
Zieten-Ritt, Abukir und Hohenfriedberg; Ernst
Scherenberg, Dichter und Schriftsteller; Gustav
Scherenberg, Schauspieler und Theaterdirektor; Hermann
Scherenberg, Maler und Illustrator; Hans Scherenberg
(Sohn Hermanns) ebenfalls Maler.
-
- Ein gut Stück
Künstlerschaft
(1)
. Aber auch die, die über die Welt hin zerstreut
innerhalb ihres ursprünglich gewählten
Kaufmannsberufes verblieben, hatten in der Kunst
dilettierend ganz ausgesprochen den dichterischen Zug
oder führten ein Leben, das einer romantischen
Dichtung gleichkam, unter ihnen Theodor Scherenberg
(Christian Friedrichs älterer Bruder), der 1813 in
Abenteurerlust und patriotischem Übereifer mit kaum
sechzehn Jahren in den Krieg zog und ein paar Wochen
später bei Dennewitz fiel.
-
- Die Beziehungen meiner Eltern,
besonders meiner Mutter, zu dem Scherenbergschen Hause,
waren sehr freundliche; wir Kinder aber, vielleicht weil
der alte Scherenberg schon ein Schwerkranker war,
überschritten kaum jemals die Schwelle des Hauses.
Desto deutlicher hab' ich dies Haus selbst in seiner
äußeren Erscheinung in Erinnerung: ein
sauberer Bau mit aufgesetztem Frontgiebel und
schönen alten Linden davor. Kam dann der Sommer, so
hörte man das Summen der Bienen in dem Gezweig, und
die Vögel flogen wie munterer hier ein und aus. Es
war, als wüßten sie, wieviel fröhliche
Genossenschaft ihnen aus dem Hause, das sich hinter dem
blühenden Gezweig barg, über kurz oder lang
erwachsen würde.
-
- 1.
- In eigentlichen Künstlerfamilien ist ein
forterbendes Sichbetätigen auf ihrem eigensten,
also künstlerischen Gebiet eine
Durchschnittserscheinung; die Keans, die Kembles, die
Devrients weisen Schauspieler und immer wieder
Schauspieler auf, die Vernets immer wieder Maler. Die
Scherenbergs aber, und darin liegt die Besonderheit
ihres Falles, waren zunächst immer wieder
Kaufleute; sie wurden nicht durch Verhältnisse,
die sie bei ihrer Geburt schon vorfanden, in die Kunst
eingeführt, sondern hatten sich den Eintritt in
dieselbe meist erst durch Überwindung aller
möglichen Schwierigkeiten zu erobern. ....
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