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00.
Vorwort
01.
Meine Eltern
02.
Gascogne und Cevennen - Französische Vettern - Unsere
Ruppiner Tage
03.
Unsere Übersiedelung nach Swinemünde - Ankunft
daselbst
04.
Unser Haus, wie wir's vorfanden
05.
Unser Haus, wie's wurde
06.
Die Stadt; ihre Bewohner und ihre
Honoratioren
07.
Die Schönebergs und die Scherenbergs
08.
Die Krauses
09.
Wie wir in unserem Hause lebten - Sommer- und Herbsttage -
Schlacht- und Backfest
10.
Wie wir in unserem Hause lebten (Fortsetzung) - "Große
Gesellschaft"
11.
Was wir in Haus und Stadt
erlebten
12.
Was wir in der Welt erlebten
13.
Wie wir in die Schule gingen und lernten
14.
Wie wir erzogen wurden - Wie wir spielten in Haus und
Hof
15.
Wie wir draußen spielten, an Strom und
Strand
16.
Vierzig Jahre später
17.
Allerlei Gewölk
18.
Das letzte Halbjahr
|
Theodor Fontane
(1819 - 1898)
Meine Kinderjahre
|
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-
- Autobiographischer
Roman
- Textauszüge von Theodor
Fontane
mit Fotos von Martin Schlu
-
- Viertes Kapitel.
Unser Haus, wie wir's vorfanden
-
- Am Abend, wo wir ankamen, hatte ich
einen wenig günstigen Eindruck von unserm Hause
gehabt; es war mir recht häßlich, und als dann
der Mond in die Fenster schien, auch sogar etwas
unheimlich vorgekommen. Mit diesem Unheimlichen, wie sich
bald herausstellte, hatte es denn auch seine Richtigkeit,
wenigstens in dem Glauben der Dienstleute. Wenn es nachts
auf dem Boden über uns unruhig wurde, hieß es:
"De oll Geisler geiht wedder ümm" oder auch wohl "he
kuckt wedder in all sien' Kisten und Kasten", und
wirklich, man hörte deutlich, wie die Deckel der
großen Kräuterkisten auf- und wieder
zugeschlagen wurden. "Das sind die Katzen", erklärte
später mein Vater, aber ich war mit dieser Auslegung
nie recht zufrieden und hielt mit Vorliebe zu dem Satze:
"De oll Geisler geiht wedder ümm." Von diesem allen
hatte ich, um es zu wiederholen, gleich am ersten Abend
ein unbestimmtes, mich eine Weile gruselig machendes
Gefühl, das noch wuchs, als der vor meiner
Schlafkammer stehende Kirschbaum leise die Scheiben
streifte. Aber müde von der Reise, schlief ich
trotzdem ein und erschien am andern Morgen wohlgemut in
der noch leeren Wohnstube meines Vaters. Hier, auf
Schemeln und Küchenstühlen sitzend (denn mit
Ausnahme der Betten war noch nichts ausgepackt), nahmen
wir gemeinschaftlich das Frühstück, mein Vater
in bester Stimmung. Als wir, es währte nicht lange,
damit fertig waren, nahm er mich bei der Hand und sagte:
"Nu komm, mein Junge; die andern sind noch zu klein, aber
du bist schon verständig, und da wollen wir uns denn
die Sache mal ansehen. Als ich Weihnachten hier war, war
es so kalt, du weißt, daß der Kognak einfror,
und da war denn an Inspektion nicht zu denken. Ein
bißchen habe ich die Katze im Sack gekauft. Aber
das tut nichts, alles im Leben bleibt unsicher, und die
Geschäftsbücher stimmten." Er sagte das meiste
davon mehr zu sich selbst als zu mir, wie er denn sein
ganzes Leben lang seine Konversation immer mehr nach
seinem persönlichen Bedürfnis als nach der
Beschaffenheit seiner Hörer einrichtete. Meistens
waren es Selbstgespräche. Seine letzten Jahre
verlebte er mit einer ihm seine kleine Wirtschaft
führenden, ganz beschränkten Person, aber das
hinderte ihn nicht, mit ihr zu philosophieren, d. h.
alles, was ihm einfiel, in sie hinein zu
reden.
-
- Und nun zurück zu der
beabsichtigten Hausinspizierung, die wir gleich nach dem
Frühstück antraten. Ehm wurde gerufen, um uns
auf unsrem Umgange, wenn nötig, Auskunft zu geben,
was er sehr gut konnte. Denn er war schon viele Jahre
lang "Kohlenprovisor" und wußte Bescheid in
allem.
-
- Unser nächstes Ziel waren die
Böden, deren sich nicht weniger als fünf unter
dem Riesendache befanden. Der erste Boden, zu dem eine
knarrende Treppe mit abgelaufenen Stufen
hinaufführte, war ein Prachtstück in seiner
Art, hoch und frisch und zugleich mit einer Welt von
Dingen ausgestattet, die mich sofort für sich
einnahmen: Schornsteine von beinah lächerlich
mächtigem Umfang, eingegitterte Verschläge mit
Vorlegeschlössern, gezogene Leinen, daran
Wäsche hing, und dazu, an diesem ersten Morgen
wenigstens, Schwalben und Schmetterlinge, die durch die
vielen Fenster und Gucklöcher beständig aus-
und einflogen. In verhältnismäßiger
Nähe des umfangreichen Schornsteins aber stieg eine
zweite Treppe, eigentlich bloß eine geradlinige
Leiter, zunächst bis auf den zweiten Boden und von
diesem in unmittelbarer Fortsetzung bis auf den dritten
hinauf. Zur Seite hing ein geteertes Tau, daran man sich
festhielt. Als wir an die Stelle gekommen waren, wo die
Leiter, und zwar ohne einen Knick oder Absatz zu machen,
einfach die Dielung des zweiten Bodens durchbrach, sah
ich, daß ein schweres Rad, aber nur von geringem
Durchmesser, hart neben dem Durchschlüpfeloch lag,
ein Anblick, bei dem ich, ich weiß nicht warum,
sofort fühlte, daß es damit was Besonderes auf
sich haben müsse. Mein Vater empfand gerad' ebenso,
schob aber alles Fragen danach vorläufig hinaus,
weil wir fortgesetzt im Steigen waren und das Klettern
auf den immer schmaler werdenden Leitern die
größte Vorsicht gebot. Erst als wir eine Weile
danach und nach Musterung des dicht unter dem Dachfirst
hinlaufenden Glas- und Krukenbodens wieder abwärts
stiegen und auf diesem Abstieg die terra firma des ersten
Bodens erreicht hatten, setzte sich mein Vater, um
auszuruhen, auf eine der großen Kräuterkisten
und sagte: "Das ist ja zum Halsbrechen, Ehm. Und dann das
Rad da oben? Was ist es mit dem Rad? Wie kommt das
dahin?"
-
- Ehm erzählte nun in seinem
Plattdeutsch, daß es das Rad sei, womit der
Mörder Hannacher - aber das sei nun schon lange, das
Jahr vorher, ehe die Franzosen ins Land kamen - vom Leben
zum Tode gebracht worden sei. Hannacher habe dicht bei
dem Dorfe Morgnitz einen Schäfer erschlagen und
bloß einen Münzgroschen bei ihm gefunden, und
als er den Münzgroschen im Morgnitzer Krug
vertrunken habe, da sei's auch schon
herausgekommen.
-
- "Ein wahres Glück", sagte mein
Vater, "je eher so was rauskommt, desto besser. Aber das
Rad! Was soll das da? Wie kommt das dahin?!"
-
- "Dat hett de oll Geisler an sich
bracht, ick weet nich mehr, för wieveel. Un he wull
ja woll, dat et em Glück in't Huus bringen
sall."
-
- Mein Vater, der dabei seiner eigenen
am Tage vorher zugunsten des Scharfrichterkarrens
gehaltenen Rede gedenken mochte, war von dem, was Ehm
jetzt sagte, wenig angenehm berührt und meinte, zu
viel Glück sei auch nicht gut. "Aber nun wollen wir
uns den Schimmel ansehn, Ehm, um auf andere Gedanken zu
kommen... Is denn hier öfter so was los, wie das mit
dem Hannacher?"
-
- "Nu, so ab un an. Toletzt hedden wi
joa dat mit Muhr'n un sine Fru."
-
- Ehm wollte sichtlich in diesem Thema
fortfahren, aber mein Vater hörte nicht mehr recht
hin und vergaß bald sowohl Hannacher wie "Muhr'n un
sine Fru", als er, unten im Stall angekommen, der
vorzüglichen Einrichtung, die da herrschte, gewahr
wurde. "Ei, Ehm, da sind ja zwei Krippen und zwei Raufen.
Also Platz für zwei Pferde. Was er sich nur dabei
gedacht haben mag! Ich meine den alten Geisler, der ja
doch ein Geizkragen gewesen sein soll. Na, mir kann's
gleich sein. Is ja wahrhaftig, als ob er alles für
seinen Nachfolger eingerichtet hätte. Und das ist
das Wahre. Für die Nachkommen muß man
sorgen."
-
-
-
- Das Riesendach mit seinen fünf
Böden hatte seines Eindrucks auf mich nicht
verfehlt; das Haus selbst aber, das geduckt unter diesem
Dache lag und von dem ich in nachstehendem eine
Schilderung versuche, ließ, wie
äußerlich, so auch in seinem Innern viel zu
wünschen übrig. An den mit Ziegelsteinen
gepflasterten Flur lehnte sich, gerade die Mitte
desselben treffend, von links her eine mächtige
Küche, von rechts her ein gewölbtes
Laboratorium, als Grundform des ganzen Hauses ein Kreuz
herstellend, in dessen vier Ecken sich vier Quadrate mit
sehr primitiven Geschäfts- und Wohnräumen
einschoben. In dem ersten Quadrat befand sich außer
der Apotheke noch die Gehilfenstube, während das
zweite Quadrat nur ein einziges Zimmer umschloß,
einen mehrfenstrigen Saal, den Stolz des Hauses. Apotheke
wie Saalzimmer sahen auf die Straße. Die die
Rückfront bildenden Quadrate drei und vier hatten
dagegen den Blick auf den Garten und bestanden einerseits
aus einem Wohnzimmer für meinen Vater, andererseits
aus einer Stube für uns Kinder. Wo es irgend ging,
waren verbleibende kleine Raumreste zu Schlafkammern
hergerichtet; nur der Saal blieb von so niederer Umgebung
verschont. Im übrigen war alles klein und eng. Von
gefälliger Ausschmückung an Wand und Decke
zeigte sich nirgends eine Spur; ÷fen und Dielen
waren schlecht; ganz besonders unschön aber war die
schüttgelbe Farbe, womit wie der Flur so auch alle
Zimmer des Hauses gleichmäßig gestrichen
waren. Nur die Gehilfenstube - vielleicht in Huldigung
gegen die daneben liegende Apotheke - zeigte statt des
Schüttgelb einen Anstrich von Schweinfurter
Grün, bekanntlich arsenikhaltig. Um aber die
gesundheitswidrige Wirkung dieser Farbe nach
Möglichkeit auszugleichen, war in eine der obersten
Fensterscheiben eine blecherne Rose eingesetzt, die unter
beständigem Sichdrehen für frische Luft zu
sorgen hatte, dabei aber einen unerträglichen
Lärm machte. Ja, häßlich, eng und
vernachlässigt war alles; am vernachlässigsten
aber war die Kinderstube, drin, grad' in der Mitte, ein
großes Stück Diele fehlte, so daß der
Dünensand, darauf das Haus ohne Untermauerung stand,
zum Vorschein kam. Später söhnte ich mich mit
diesem Dielenloch freilich aus; denn gerade diese
Sandstelle wurde, wenn wir bei schlechtem Wetter nicht
hinaus konnten, zum bevorzugten Spielplatz für uns
Kinder, wo wir mit vier würfelförmigen Steinen
unser Lieblingsspiel spielten. Dies Lieblingsspiel
hieß "Knut", war also vielleicht dänischen
Ursprungs und lief darauf hinaus, daß man, den
vierten Stein hoch in die Luft werfend, ihn im
Niederfallen, unter gleichzeitigem Aufraffen der im Sande
liegengebliebenen drei anderen Steine, wieder auffangen
mußte.
-
- Neben dieser bequemen
Spielgelegenheit beherbergte die Stube, um vom Guten
nichts zu verschweigen, auch noch ein anderes, das
für ein phantastisches Kind wohl angetan war, mit
der sonst herrschenden Dürftigkeit auszusöhnen.
Gerade hier nämlich war, auf einem Lehnstuhl
sitzend, der alte Geisler gestorben, und wenn ich mich
abends an eben dieser Stelle zwischen Schrank und Ofen
niederließ und dann das Klappen und geheimnisvolle
Rumoren über mir anhob, so war er Zauber davon so
groß, daß von Prosa der Umgebung keine Rede
mehr sein konnte.
-
- Das alles aber empfand ich erst
später. Vorläufig kehre ich zur Schilderung der
verschiedenen Räumlichkeiten zurück. Unter
diesen nahmen Laboratorium und Küche den ersten Rang
ein. Beide konnten als Glanzstücke gelten, und wenn
die Küche mit ihrem bis dicht auf den Herd
herabhängenden und mit blankem Ruß
ausgefüllten Rauchfang etwas von einer spanischen
Posada hatte, so präsentierte sich von der anderen
Seite her das Laboratorium mit seinen Retorten und
Destillierapparaten (zwischen denen ein getrockneter
Buttfisch von der gewölbten Decke hing) als ein
vollkommen alchimistischer Raum, darin Faust sein "Habe
nun, ach" ohne weiteres hätte beginnen können.
Ja, in seiner grotesken Unmodernität war hier im
vollsten Gegensatz zu den prosaischen Wohnräumen
alles frappierend interessant, und ich könnte noch
jetzt Veranlassung nehmen, davon zu schwärmen, wenn
ich nicht gleich damals, beim ersten Eintritt in die
ganze phantastische Herrlichkeit, eine
kopfschmerzerzeugende, mich arg bedrückende Luft
wahrgenommen hätte. Nicht zu verwundern. Mitten in
dem Laboratorium stand eine Plumpe, der es nicht
bloß oblag, den ganzen Hausstand mit Wasser zu
versorgen, sondern auch sämtliche von Dekokten und
allerhand Aufgüssen herrührende Blätter-
und Wurzelreste wegzuschwemmen. All dieser Abgang wurde
vermittelst einer schräglaufenden Steinrinne in eine
Senkgrube geführt, die sich schon draußen auf
der Straße befand, deren Ausdünstungen aber
nichtsdestoweniger in das Laboratorium
zurückschlugen. Allzu schlimm kann es nun freilich
damit nicht gewesen sein; denn während meines
fünfjährigen Swinemünder Aufenthalts kam
in unserem Hause kein Typhusfall vor, nur für mich
persönlich wurde diese Sumpfluft geradezu
schrecklich, und alsbald und dann ein ganzes Jahr lang,
vom kalten Fieber geschüttelt, legte ich hier die
Grundlage zu meinem immer zum Malariafieber hinneigenden
Gesundheitszustande. Sehr wahrscheinlich wäre mir
dies alles erspart geblieben, wenn sich mein Vater zu
zwanzig oder fünfzig Gran Chinin hätte
aufraffen können. Aber Chinin war damals noch teuer,
und so mußte ich mich mit einer aus
Chinarindenpulver und eingedicktem Mohrrübensaft
zusammengerührten Latwerge begnügen. Die wollte
nicht recht helfen, abgesehen davon, daß es eine
Qual war, sie herunterwürgen zu müssen. Ich
denke noch mit eigentümlichen Gefühlen daran
zurück; aber es herrschte damals ganz allgemein das
Erziehungsprinzip vor: "Ach, solch Junge frißt sich
durch", und mein Vater, der, wenn es ihm gerade
paßte, dergleichen Ersparnisse wissenschaftlich zu
begründen liebte, mochte wohl noch hinzusetzen:
"Eigentlich ist Chinarinde das Wahre, weil das
natürlich Gegebene; Chinin ist schon Luxus, und
Luxus ist nicht für Kinder." In ähnlichem Sinne
hab' ich ihn bei andern Gelegenheiten manch liebes Mal
sprechen hören. Aber gleichviel, ob er damals so
dachte oder nicht, das an mir ersparte Chinin war eine
große Härte, so groß, daß ich -
weil ich einem unkindlichen Gefühle hier nicht gern
Ausdruck geben möchte - davon schweigen würde,
wenn ich nicht zu meiner herzlichen Freude hinzuzusetzen
hätte, daß mein Vater all das, was er an zu
Forderndem damals unterließ, später reichlich
wieder ins Gleiche brachte. Viele Jahre danach, als es
ihm selber schlecht ging und sein Vermögen bis auf
ein Minimum zusammengeschrumpft war, hat er mir in
hochherziger und rührender Weise geholfen. Es
handelte sich für mich um einen längeren und
ziemlich kostspieligen Aufenthalt in England. Er half mir
dazu, ohne langes Besinnen und ohne sentimentale
Redensarten, unter Dransetzung letzter Mittel. Und so
fügte sich's denn, daß er, der in guten Tagen
in diesem und jenem wohl manches versäumt hatte,
schließlich doch der Begründer des
bescheidenen Glückes wurde, das dieses Leben
für mich hatte.
-
-
-
- Das Haus, zumal die eigentlichen
Wohnräume, waren, das mindeste zu sagen, anfechtbar;
entzückend aber waren Hof und Garten.
-
- Zunächst der Hof. Dieser glich
mehr oder weniger einer Ackerwirtschaft, worüber
mein Vater, dessen Neigungen samt und sonders nach der
landwirtschaftlichen Seite hin lagen,
außerordentlich befriedigt war. Aber auch wir
Kinder waren es, ich an der Spitze. Da waren
natürlich Pferde-, Kuh- und Schweineställe,
Gesindestuben (sonderbarerweise mit Taubenhaus), Torf-
und Heuboden, Roll- und Häckselkammer und endlich
eine riesengroße Wagenremise, die zugleich als
Holzstall diente. Neben der Remise lag ein mit allerhand
gläsernen und namentlich irdenen Vorratsflaschen
besetzter Keller, der, zumal in Herbst- und
Frühjahrstagen, eine besondre
Vergnügungsstätte für uns bildete. Dann
stieg hier das Grundwasser und schuf auf Wochen hin etwas
wie eine kleine Überschwemmung. Anfangs half man
sich mit Kloben und Bretterlagen; stieg das Wasser aber
immer höher, so schafften wir Kinder
schließlich Kufen und Waschfässer hinunter,
auf denen wir nun, einen Riesenspatel statt des Ruders in
der Hand, umherfuhren, um als Seeräuber an den vier
"Küsten" anzulegen. An diesen hausten wir dann
unerbittlich und setzten, uns gütlich tuend, die
sonderbar geformten Krüge mit Himbeer- und
Johannisbeersaft wie große Methörner an den
Mund. "Wo nur immer die Fruchtsäfte bleiben?" sagte
dann wohl mein Vater und schüttelte den
Kopf.
-
- Ja, dieser Hof! An drei Seiten war er
von allerhand Baulichkeiten eingefaßt; an der
vierten aber zog sich ein mit Eisenspitzen besetzter
hoher Bretterzaun hin, an dem entlang und in Höhe
noch weit über ihn hinauswachsend, prächtiges
Buchenklafterholz dicht aufgeschichtet lag, ein Anblick,
der mich bei meiner Spiel- und Kletterlust gleich im
ersten Augenblick erkennen ließ: Hier ist's gut
sein.
-
- Und was von dem Hofe galt, galt auch,
und womöglich noch gesteigert, von dem in einem
rechten Winkel angelegten, also einen Knick machenden
Garten, der durch eben diesen Knick aus zwei gleich
großen Teilen bestand. Die erste Hälfte, mit
Reseda und Ritterspornbeeten, mit Rabatten und Rondells
und nicht zum letzten mit allerhand am Spalier gezogenen
Obstarten besetzt, war ein richtiger Garten, während
die zweite Hälfte mehr einer Wildnis glich. Aber
freilich einer sehr malerischen. An ein paar schon vom
Winde gebeugten und deshalb schrägstehenden und die
verwunderlichsten Linien aufweisenden Zäunen entlang
zogen sich hier die Himbeer- und
Johannisbeersträucher in geradezu wuchernden Massen,
bis ganz zuletzt ein schon auf Nachbars Seite stehender
und an Größe fast einem Baume, gleichender
Berberitzenstrauch seine mit den prächtigsten roten
Früchten überdeckten Zweige
herüberreichte. Diese zweite Gartenhälfte war
unser Reich. Da spielten wir halbe Tage lang und legten
Burgen an, oder turnten am Reck, oder brachen Planken aus
dem Zaun und zogen auf Raub in die Nachbargärten.
Schöner aber als alles das war, für mich
wenigstens, eine zwischen zwei Holzpfeilern angebrachte,
ziemlich baufällige Schaukel. Der quer
überliegende Balken fing schon an morsch zu werden,
und die Haken, an denen das Gestell hing, saßen
nicht allzu fest mehr. Und doch konnt' ich gerade von
dieser Stelle nicht los und setzte meine Ehre darin,
durch abwechselnd tiefes Kniebeugen und elastisches
Wiederemporschnellen die Schaukel derartig in Gang zu
bringen, daß sie mit ihren senkrechten Seitenbalken
zuletzt in eine fast horizontale Lage kam. Dabei
quietschten die rostigen Haken, und alles drohte
zusammenzubrechen. Aber das gerade war die Lust, denn es
erfüllte mich mit dem wonnigen und allein das Leben
bedeutenden Gefühle: Dich trägt dein
Glück.
-
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