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00.
Vorwort
01.
Meine Eltern
02.
Gascogne und Cevennen - Französische Vettern - Unsere
Ruppiner Tage
03.
Unsere Übersiedelung nach Swinemünde - Ankunft
daselbst
04.
Unser Haus, wie wir's vorfanden
05.
Unser Haus, wie's wurde
06.
Die Stadt; ihre Bewohner und ihre
Honoratioren
07.
Die Schönebergs und die Scherenbergs
08.
Die Krauses
09.
Wie wir in unserem Hause lebten - Sommer- und Herbsttage -
Schlacht- und Backfest
10.
Wie wir in unserem Hause lebten (Fortsetzung) - "Große
Gesellschaft"
11.
Was wir in Haus und Stadt
erlebten
12.
Was wir in der Welt erlebten
13.
Wie wir in die Schule gingen und lernten
14.
Wie wir erzogen wurden - Wie wir spielten in Haus und
Hof
15.
Wie wir draußen spielten, an Strom und
Strand
16.
Vierzig Jahre später
17.
Allerlei Gewölk
18.
Das letzte Halbjahr
|
Theodor Fontane
(1819 - 1898)
Meine Kinderjahre
|
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-
- Autobiographischer
Roman
- Textauszüge von Theodor
Fontane
mit Fotos von Martin Schlu
-
- Fünftes Kapitel.
Unser Haus, wie's wurde
-
- "Wie wir unser Haus vorfanden", das
bildete, von etlichen Einschiebseln und ein paar Exkursen
in die Zukunft abgesehen, den Inhalt des vorigen
Kapitels. In diesem neuen Kapitel gehe ich, freilich
gelegentlich auch hier wieder Kommendes vorwegnehmend, zu
einer Schilderung der Umgestaltungen über, die sich
in verhältnismäßig kurzer Zeit in unserem
Hause vollzogen. Daß es in so kurzer Zeit geschah,
hatte vorwiegend in dem innerhalb vier oder sechs Wochen
bevorstehenden Eintreffen meiner Mutter seinen Grund, bis
wohin alles in guter Ordnung sein sollte. Mein Vater, den
dabei neben einer kleinen Baupassion auch wohl eine
gewisse Courtoisie gegen seine trotz aller
Kriegführung sehr geliebte Frau beseelen mochte,
ging in Ausführung seines Tuns auf zwei Linien vor,
von außen und innen, und stellte sich, was das
"Außen" anging, vor allem den Abputz des ganzen
Hauses, was das "Innen" anging, die Möblierung und
Einrichtung zweier Räume: des für seine Frau
bestimmten "Salons" und seines eigenen Wohnzimmers, zur
Aufgabe.
-
- Dies doppelte Vorgehen war von einem
sehr verschiedenen Erfolge begleitet.
-
- Was zunächst den Angriff von
"Außen", also die dem Abputz und Anstrich des
Hauses geltende Neuerung betraf, so scheiterte diese
total. Von der aus einem feineren Stilgefühl
hervorgehenden Anschauung, daß, unter
Umständen, etwas geradezu Häßliches einem
an und für sich Hübscheren aber durchaus
Unpassenden immer noch vorzuziehen sein könne,
wußte man damals im Publikum nicht viel, und so kam
es, daß mein Vater, nachdem er sich mit einem uns
schräg gegenüber wohnenden Haus- und
Stubenmaler in Verbindung gesetzt hatte, mit eben diesem
einen himmelblauen ÷lfarbenanstrich verabredete.
Für den Maler war dies, bei der beträchtlichen
Zahl von Quadratfußen, die mit dem teuren Anstrich
zu bedecken waren, eine sehr lohnende Aufgabe, für
das Haus selbst aber, dem diese Verschönerung galt,
ging dadurch das Beste verloren, was es bis dahin gehabt
hatte: sein grotesker Charakter.
-
- Der Außenangriff also
scheiterte.
-
- Desto mehr dagegen, wenn auch
freilich nicht in allen Stücken, glückte das
Vorgehen im Innern, weil hier das meiste, was geschah,
sich mehr oder weniger gefällig in den schlicht
gegebenen Rahmen einfügte. Daß es so kam, war
natürlich ein bloßer Zufall und hatte darin
seinen Grund, daß das zur Einrichtung der genannten
Zimmer zur Verfügung stehende Mobiliar vorwiegend
alt oder doch nicht ganz neu war. Besonders das ganz
alte, das dem Nachlasse meines, wie schon erwähnt,
kurz zuvor verstorbenen Großvaters entstammte,
paßte wundervoll und erzielte, wo es zur Verwendung
kam, genau das, was ich bei Zimmereinrichtungen bis
diesen Tag am höchsten schätze: das Anheimelnde
und Gemütliche.
-
- Da war zunächst das
dreifenstrige Saalzimmer in Front des Hauses, das
bestimmt war, der "Salon" meiner Mutter zu werden. Das
Schüttgelb seiner Vorexistenz war bald verschwunden,
und ein dunkles Ultramarin, die Lieblingsfarbe meines
Vaters, trat an seine Stelle, während an der langen,
weißgetünchten Decke hin, und zwar von der
Hand desselben Meisters, der draußen den
÷lfarbenanstrich geleistet hatte, eine halb
mythologische Darstellung entstand. Solche mythologisch
anklingenden Deckenbilder haben meinen Vater, der eine
mir unerklärliche Vorliebe dafür hatte (denn er
war eigentlich schlecht bewandert in der
Götterlehre) durchs Leben hin begleitet.
Überall, wo er sich häuslich einrichtete,
mußte das einfache Stern- oder Rosettenornament,
das er vorfand, alsbald einer "höheren Darstellung"
weichen, in der meistens ein an Ledabilder erinnernder,
sich mächtig aufbäumender Schwan die Hauptrolle
spielte. Mitunter (so auch hier) waren es mehrere
Schwäne. Zu diesem Deckenbilde gesellte sich, als
berechtigtere Zimmerdekoration, eine saubere
Fensterausschmückung: in große
Messingblechgriffe zurückgeschlagene Gardinen, vor
deren einer ein Trittbrett mit Maroquinlehnstuhl stand,
auf dem meine Mutter, eine Stickerei oder
Häkelarbeit in der Hand, schon vormittags zu
residieren pflegte. Der Blick, den sie von diesem
Trittbrett aus hatte, war sehr gefällig. Unter den
Zweigen einer unmittelbar vor dem Fenster stehenden Linde
hinweg, blickte sie, wenn sie von ihrer Arbeit aufsah,
auf den jenseits der Straße gelegenen Kirchplatz
mit seinen verschiedenen Baumstämmen und
Sägeböcken hinüber, wo wir Kinder, wenn's
irgend ging, unsere Spiele spielten. Kam dann zwölf
Uhr heran, so gab sie diesen Beobachtungsposten am
Fenster auf, aber nur selten um an dem Mittagessen
teilzunehmen, sondern um sich in den Garten oder noch
lieber in die stille Giebelstube des Hauses
zurückzuziehen. Erst um die vierte Stunde kehrte sie
wieder an ihren Lieblingsplatz zurück. Und nun
begann für sie die schönste Zeit des Tages, die
Zeit, wo Besuch kam und die Vorbereitungen zum Kaffee
getroffen wurden. Es war das damals alles viel
hübscher und malerischer als jetzt; Tassen und
Kuchenkörbe standen schon da, daneben eine kupferne
hohe Kanne mit eingehängtem Beutel, und nur das
heiße Wasser zum Aufbrühen fehlte noch. Und
nun kam der Hauptmoment, der, wo die Mama die Klingel zog
und gleich darauf ein merkwürdiger Bau
hereingetragen wurde, dessengleichen ich seitdem nicht
wieder gesehn. Es war ein ovaler, mit glühenden
Kohlen gefüllter Eisenblechkasten, der, weil er sich
als solcher schlecht präsentiert haben würde,
wieder in einem etwas größeren, blitzblank
geputzten Messingbehälter steckte, durch dessen
zahllose Löcher hindurch man den eisernen
Innenkasten glühen sah. Auf diesem etwas
komplizierten Bau stand ein beinah kugelrunder
Wasserkessel, aus dessen Tülle der Dampf
kräuselnd aufstieg. Und nun, unter gefälligem
Weiterplaudern, worin sie, wenn sie wollte, virtuos war,
stieg meine Mama von ihrem Maroquinthron herab, um gleich
danach jedem einzelnen Gaste die ihm zuständige
Tasse zu reichen. Jetzt muß es Meißener
Zwiebelmuster oder dem ähnliches sein; damals aber
bildeten die Tassen eine kleine Galerie von
Miniaturbildern, auf denen in der Regel ein ans Knie der
Venus sich anschmiegender Amor den Pfeil schärfte,
meist aber schon den Bogen spannte, sicher das in Front
eines Gebüsches stehende leichtbekleidete Paar mit
seinem Liebespfeil zu treffen. Und dann wurde ich
aufgefordert, die Kuchenkörbe herumzureichen, oft
eine Tantalusqual für mich, wenn der lebhafte Gang
der von den Damen geführten Unterhaltung über
den alten Satz "daß der Arbeiter seines Lohnes
würdig sei" hinwegsehen ließ.
-
- All das ist mir im Plaudern wieder
lebendig geworden, und in der Rückerinnerung daran
habe ich zu meinem Leidwesen außer acht gelassen,
daß ich in erster Reihe nicht von den
Kaffeegesellschaften meiner Mama, sondern von der
Saloneinrichtung erzählen wollte, die mein Vater
damals in liebenswürdigem Eifer ins Werk zu setzen
sich abmühte. Zurück also zu dieser meiner
Schilderung. An der Längswand, den drei Fenstern
gegenüber, stand ein Sofa mit dicht gestellten
Stühlen, so dicht, wie sie nur in einem Tanzsaale zu
stehen pflegen; das Sofa selbst aber - in einem
abgeplatteten Barockstil gehalten, wenn überhaupt
noch von Stil die Rede sein konnte - trug einen
quittgelben MoirÈ-Überzug und war an Front-
und Rückenlehne mit vielen Hunderten von kleinen
Silbernägeln besetzt. Das Ganze zunächst
schwerfällig und dabei prätentiös und
ärmlich zugleich. Um vieles besser machte sich der
an der Schmalseite des Zimmers aufgestellte Trumeau,
dessen Bekrönung, weil die Höhe des Zimmers
nicht ausgereicht hatte, zu größerem Teile
beseitigt worden war. Aber auch in dieser fast
bekrönungsbaren Verfassung war er immer noch das
Prachtstück der ganzen, von uns selbst wenigstens
vielbewunderten Einrichtung. Daß wir unsrerseits so
hoch davon dachten, war, bei aller nachträglichen
Komik der Sache, doch sehr verzeihlich. Alle diese
langweiligen Gegenstände nämlich waren von uns
nicht bloß kritiklos, in dem ehrlichen Glauben an
ihre besondere Schönheit, mit nach Swinemünde
herübergenommen worden, sondern durften auch nach
damaliger Anschauung wirklich als etwas bemerkenswert
Feines gelten. Denn es waren sogenannte "Schinkelsche"
Möbel. Schinkel (Ruppiner Kind), in freundlichem
Andenken an seine Vaterstadt, hatte der Tischlerfirma
Möhring daselbst seine Muster und Vorbilder für
Zimmereinrichtung zum Geschenk gemacht oder vielleicht
auch nur zu besonderer Beachtung empfohlen, was im
weiteren zur Folge hatte, daß Jahrzehnte lang das
ganze offizielle Preußen aus der Werkstatt dieser
sehr angesehenen Firma mit Mahagonimöbeln im
Schinkelstil versehen wurde. Noch ganz vor kurzem, und
zwar im Schlosse zu Quedlinburg, bin ich in einem
mittelgroßen Zimmer, daß Friedrich
WilhelmÝIV. bei seinen Besuchen daselbst mit
Vorliebe zu bewohnen pflegte, solcher schinkelschen
Zimmereinrichtung wieder begegnet und schrak bei ihrem
Anblicke fast zusammen, denn Trumeau, Sofa,
Schränke, Stühle, alles sah genau so aus oder
richtiger war nach Stil und Formen genau dasselbe wie
das, was ich sechzig Jahre früher im Zimmer meiner
Mutter gesehen und bewundert hatte. Freilich nur damals
bewundert. Mir will es jetzt scheinen, daß
Schinkel, dessen Größe trotz solcher
Ausstellungen natürlich unangefochten bleibt, es
seinerzeit nicht für nötig fand, in Herstellung
dieser Dinge viel Arbeit und Phantasie zu setzen.
Namentlich letztere verleugnet sich beinahe
ganz.
-
- Soviel über den Salon meiner
Mutter. Er konnte passieren (mehr freilich war ihm nicht
zuzugestehen), während es mein Vater, wenn auch sich
selber unbewußt, bei Neueinrichtung seines eigenen
kleinen Wohnzimmers ganz vorzüglich getroffen hatte.
Hier war an Stelle des früheren Anstrichs alsbald
eine braun und weiß gemusterte Tapete getreten, und
der überall abgestoßene schwarze Ofen hatte
einem völligen Neubau Platz gemacht. Dieser bestand
aus graugrünen blanken Kacheln, über deren jede
mindestens zwei, drei nach unten sich verdickende Tropfen
roter Glasur flossen, - also eigentlich ein Ornament, das
in ein Schlachthaus gepaßt hätte. Trotz dieser
äußersten Gewagtheit ließ sich, auf
Farbenwirkung hin angesehn, doch von einer wirklichen
Verschönerung sprechen. Eine ganz besondere Zierde
des Zimmers aber waren seine vielen Bilder, meist in
Pastell: Engelsköpfe, Musen und Horen im Tanz oder
auch junge Mädchen, mit Tauben und Kaninchen
spielend. Dazwischen hingen englische Stiche: die Quelle
der Egeria, die Kaskaden von Tivoli und ähnliches,
Buntdrucke, die meinem Gefühle nach dem meisten, was
jetzt auf diesem Gebiete geleistet wird, erheblich
überlegen waren. Zum mindesten wirkten sie
vornehmer. Alt und einfach, aber gerade deshalb dem
Trumeau samt MoirÈsofa weit überlegen, waren
denn auch ganz besonders die dem Zimmer einverleibten,
meist aus der großväterlichen Erbschaft
stammenden Möbel. An dem mittleren Fensterpfeiler,
in einer Birkenmaserumrahmung, hing ein schmaler Spiegel,
vor dem mein Vater seine Toilette zu machen pflegte.
Für gewöhnlich bedeutete das nicht viel. Wenn
aber Dinertag war, und das ereignete sich Winters
allwöchentlich wenigstens einmal, so stand er hier
unter Vornahme der mannigfachsten Prozeduren oft eine
halbe Stunde und länger. Das Anlegen eines
vielgefalteten Jabots, mit einem weißen Halstuch
darüber, durch das dann eine Amethystnadel gesteckt
wurde, bildete jedesmal den Schluß der Toilette,
dem mit gleicher Regelmäßigkeit eine minder
gefällige Manipulation vorausging. Er trug
nämlich eine sogenannte "Tour", die, wenn er sich
für eine Gesellschaft zurechtmachte, jedesmal
abgelöst, dann sorglich instand gesetzt und mit
einer Gummilösung neu aufgeklebt wurde. Der
Ablösungsprozeß war immer etwas ziemlich
Schmerzhaftes, von einer komischen Grimasse Begleitetes,
weshalb er es nicht gern unterließ, einen seiner
Monologe daran anzuknüpfen. "Eigentlich ist es
Unsinn. Die meisten haben einen ganz kahlen Kopf und
finden sich drin. Nur ich, warum bäume ich mich
unter Qualen dagegen auf? Es ist ein Opfer, das ich der
Gesellschaft bringe." Niemand war aber schließlich
bereiter dazu als er, denn er freute sich auf jede
Gesellschaft.
-
- In diesen Gesellschaften, auf deren
Schilderung ich in einem anderen Kapitel
zurückkomme, war er sehr beliebt, was mit seiner
großen und liebenswürdigen Unterhaltungsgabe,
ganz besonders aber mit einigen kleinen Sonderbarkeiten,
zusammenhing, die diese Unterhaltungsgabe begleiteten. Zu
diesen Sonderbarkeiten zählte, neben anderem auch
eine ihm eigentümliche Vortragsweise, die bei
Zitaten oder Namensnennungen immer höchst pathetisch
war. Er sagte nicht gern "auf Erden", sondern bevorzugte
die Wendung "auf dieser sublunarischen Welt", und wenn er
das Wort "sort", z. B. in seinem Lieblingssatze: "Der und
der wird sein sort machen" betonte, so hätten ihn
drei Franzosen um die Aussprache des "o" beneiden
können. Auf gleicher Höhe, wenn nicht
höher, stand sein "la mort sans phrase" oder wohl
gar "la garde meurt et ne se rend pas", woraus man
übrigens nicht schließen wolle, daß
dies, so sehr er an allem Französischen hing, aus
Gallomanie geschehen sei. Was ihn dazu bestimmte, war
lediglich ein Klangbedürfnis, und jede Sprache, die
dazu mithalf, war ihm gleich willkommen. Es war eine
Lust, ihm zuzuhören, wenn er beispielsweise den
Titel eines damals erschienenen Romans: "Gustav Wasa oder
das Blutbad zu Stockholm" aussprach oder wenn er, sobald
von Schill die Rede war, hinzusetzte. "Schill, der in den
Straßen von Stralsund fiel". Alles Alliterierende
und Spondeische wurde von ihm bevorzugt., Er wiegte sich
darauf. Am größten aber war er wahrscheinlich
bei Nennung ihm unbekannter und deshalb falsch von ihm
ausgesprochener Namen, weil er sich diese, durch Regeln
und Korrektheit ganz uneingeengt, ganz nach seinem
persönlichen Bedürfnis zurechtlegen konnte.
Gerade damals (1830) war in den Nachrichten aus England
viel von einem Marquis von Londonderry (Bruder des
früheren Ministers Castlereagh) die Rede, welcher
Name, weil er sich einfach aus London und Derry
zusammensetzt, bei richtiger Aussprache nur ziemlich
mäßig ins Ohr fällt; mein Vater aber, den
Namen als eine große Einheit fassend, legte, statt
ihm seine zuständigen zwei Akzente zu geben, einen
einzigen mächtigen Akzent auf das "o" der
drittletzten Silbe und erzeugte dadurch eine vollkommene
Donnerwirkung. Natürlich erheiterte das die
Swinemünder, die mit England und englischer Sprache
sehr wohl Bescheid wußten.
-
- Und nun wieder zurück in das
Wohnzimmer meines Vaters und zu seiner
Einrichtung.
-
- An der Wand, rechts neben dem
Spiegelpfeiler, stand der ebenfalls aus Birkenmaser
gefertigte Schreibsekretär, dessen mit grünem
Fries überzogene Klappe, wenn herabgelassen, ihm
zugleich als Schreibepult diente. Die verbürgteste
Eigenschaft derselben war aber die, daß sie, jedem
Drucke nachgebend, beständig knarrte und quietschte.
Mein Vater indessen ließ sich dadurch nicht
stören und führte von hier aus seine gesamte
Korrespondenz. Links neben ihm lagen die zu
beantwortenden Briefe, denen eine Papierschere von
ungewöhnlichem Gewicht als eine Art Briefbeschwerer
diente. Nicht jeden Tag war Schreibetag, war dieser aber
da, so wurde Nummer für Nummer vorgenommen, langsam
und mit einer gewissen Künstlerfreude, denn er
schrieb eine sehr hübsche Handschrift. Waren es
Geldbriefe, so steigerte sich diese Freude noch sehr
erheblich. Er hatte dann nicht bloß die Vorstellung
von der Wichtigkeit des Aktes, sondern des weiteren auch
eine gewisse moralische Genugtuung, diesen Brief
überhaupt noch abschicken und sich als ein Mann von
Mitteln und "honnÍtetÈ" legitimieren zu
können. Am deutlichsten trat diese Genugtuung
hervor, wenn er, nach, Erledigung der eigentlichen
Schreiberei, bis zur Kuvertierung und Siegelung des
Briefes gekommen war. Er hatte mehrere Petschafte
für den Alltagsverkehr; jeder Geldbrief aber wurde
mit einem besonders gut geschnittenen Petschaft
gesiegelt, das er noch aus der Ruppiner
Löwen-Apotheke mit in seine Swinemünder
Adler-Apotheke, so daß es eigentlich nicht mehr
paßte, herübergenommen hatte. Das Reiben des
Siegellacks, um die schwarzen Stellen auszutilgen, war
eine Kunst, der er viel Fleiß widmete, und wenn
dann die fünf Siegel mit dem kleinen Löwen
darauf fertig waren, sah er sich das Ganze
wiederholentlich an und äußerte seine
Befriedigung. Er saß gern an diesem seinem
Sekretär und hing mehr oder weniger an jedem Kasten
und Schubfach desselben; ein besonders intimes
Verhältnis aber unterhielt er zu einem hinter einem
kleinen Säulen-Vortempel verborgenen Geheimfach,
drin er, wenn ihm die Verhältnisse dies gerade
gestatteten, sein Geld aufbewahrte. Lag es indessen
ungünstiger, mit anderen Worten: war der Kasten
leer, so hörte derselbe nicht auf, ein Gegenstand
seiner beinahe liebkosenden Betrachtungen zu sein. Er
entfernte dann den Vortempel, und in das Nichts, das sich
dahinter auftat, mit einem gewissen humoristischen Ernst
hineinlugend, hielt er eine seiner Ansprachen. Ich war
oft dabei zugegen. "Sieh, mein Sohn, ich kann in diese
dunkle Leere nicht ohne Bewegung blicken. Erst vor ein
paar Tagen hab' ich mir zusammengerechnet, wie viel da
wohl schon gelegen hat, und es summte sich hoch auf und
hatte was Tröstliches für mich." All dies
während er darüber lachte, war doch auch wieder
ganz ernsthaft gemeint; er richtete sich wirklich an der
Vorstellung auf, was da alles schon mal gelegen hatte.
Das Gascognische in ihm schlug immer wieder
durch.
-
- Der Sekretär mit der
quietschenden Klappe war, um es noch einmal zu sagen, ein
Lieblingsplatz meines Vaters, aber der bevorzugteste war
doch das große kissenreiche Schlafsofa, das
zwischen dem Ofen mit den roten Glasurtropfen und der
alten Gehäuse-Wanduhr stand. Diese Wanduhr ist jetzt
in meinem Besitz. Mein Großvater und mein Vater
sind bei ihrem Schlage gestorben, und ich will dasselbe
tun. Über dem mit buntem Wollstoff überzogenen
Sofa aber hing das noch nicht erwähnte
Prachtstück aus der Erbschaft meines
Großvaters, ein nach dem bekannten Bilde des Malers
Cunningham gefertigter großer Kupferstich, der die
Unterschrift führte: FrÈdÈric le Grand
retournant ý Sanssouci aprËs les manoeuvres
de Potsdam, accompagnÈ de ses
gÈnÈraux. Wie oft habe ich vor diesem Bilde
gestanden und dem alten Zieten unter seiner
Husarenmütze ins Auge gesehen, vielleicht meinen
Lieblingshelden in ihm vorahnend. Unter diesem
FrÈdÈric-le-Grand-Bilde aber und
eingebettet in die Seegraskissen, hielt mein Vater, der
zu seinen vielen Prachteigenschaften auch die eines immer
tüchtigen Schläfers hatte, seine
Nachmittagsruhe, bei der er die Zeit nie ängstlich
maß und sich oft erst erhob, wenn die Dunkelstunde
schon da war. "Papa schläft wieder bis in die Nacht
hinein." Ich wurde dann, wenn gute Tage, d.Ýh.
Friedenszeiten waren, abgeschickt, ihn zu wecken, was ich
immer gerne tat, weil er dabei nicht bloß von
besonders guter Laune, sondern sogar von einer ihm sonst
gar nicht eignen Zärtlichkeit gegen mich war. Ich
mußte mich dann zu ihm setzen, und er plauderte mit
mir, weit über meinen Kopf weg, über allerhand
merkwürdige Sachen, die mich, vielleicht gerade
deshalb, entzückten. Ich komme weiterhin auf diese
wunderlichen und mir für mein Leben verbliebenen
Gespräche zurück.
-
- Ja, das waren glückliche
Stunden. Aber es kamen auch andere. Dann wurde ich nicht
hineingeschickt, um ihn zu wecken, sondern ging aus
eigenem Antriebe, um nach ihm zu sehen. Er lag dann auch
ausgestreckt auf dem Sofa, aber auf seinen Arm
gestützt, und sah durch das Gezweig eines vor dem
Fenster stehenden schönen Nußbaumes in das
über den Nachbarhäusern liegende Abendrot. Ein
paar Fliegen summten um ihn her, sonst war alles still,
vorausgesetzt, daß nicht gerade der Kohlenprovisor
an seinem Mörser stand und stampfte. Wenn ich dann
an das Sofa herantrat und seine Hand streichelte, sah
ich, daß er geweint hatte. Dann wußte ich,
daß wieder eine "große Szene" gewesen war,
immer infolge von phantastischen Rechnereien und
geschäftlichen Unglaublichkeiten, um derentwillen
man ihm doch nie böse sein konnte. Denn er
wußte das alles und gab seine Schwächen mit
dem ihm eignen Freimut zu. Wenigstens später, wenn
wir über alte Zeiten mit ihm redeten. Aber damals
war das anders, und ich armes Kind stand, an der
Tischdecke zupfend, verlegen neben ihm und sah, tief
erschüttert, auf den großen, starken Mann, der
seiner Bewegung nicht Herr werden konnte. Manches war
Bitterkeit, noch mehr war Selbstanklage. Denn bis zu
seiner letzten Lebensstunde verharrte er in Liebe und
Verehrung zu der Frau, die unglücklich zu machen
sein Schicksal war.
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