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in Weimar 1708-1717
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Johann
Sebastian Bach 1685 -
1750 Brief an Georg Erdmann vom 28.10.1730
erstellt von © Martin Schlu - Stand:
September 2002 (letzte Revision am 31.12.2013)
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- (Übertragung in
modernes Deutsch (schwarze Schrift) - meine
Anmerkungen stehen in Spitzklammern. MS)
Hoch
Wohlgebohner
Herr.
Ew:
Hochwohlgebohren werden einem alten treüen
Diener bestens excusiren, daß er sich die
Freyheit nimmet Ihnen mit diesen zu
incommodieren.
Lieber
Freund,
Sie
werden einen alten Freund entschuldigen, der
sich die Freiheit nimmt, Sie mit diesem Brief zu
belästigen.
Es
werden nunmehr fast 4 Jahre verfloßen
seyn, da E: Hochwohlgebohren auf mein an Ihnen
abgelaßenes mit einer gütigen
Antworten mich beglückten,
Es
sind bald vier Jahre vergangen, seit Sie meinen
letzten Brief beantwortet haben.
Wenn
mich dann entsinne, daß Ihnen wegen meiner
Fatalitäten einige Nachricht zu geben,
hochgeneigt verlanget wurde, als soll solches
hiermit gehorsamst erstattet werden.
Nach
meiner Erinnerung baten Sie mich über meine
Schwierigkeiten zu berichten, was ich nun gerne
tun will:
Von
Jugend auf sind Ihnen meine Fata bestens bewust,
bis auf die mutation, so mich als Capellmeister
nach Cöthen
zohe.
Seit
unserer Jugend kennen Sie meinen Lebenslauf, bis
zu meiner Veränderung zum Kapellmeister in
Köthen.
Daselbst
hatte einen gnädigen und Music so wohl
liebenden als kennenden Fürsten; bey
welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu
beschließen.
Dort
fand ich einen menschlichen und kompetenten
Fürsten als meinen Arbeitgeber vor und
empfand meinen Dienst als künftige
Lebensstellung,
Es
muste sich aber fügen, daß erwehnter
Serenißimus sich mit einer Berenburgischer
Princessin vermählete, da es denn das
Ansehen gewinnen wolte, als ob die musicalische
Inclination bey besagtem Fürsten in etwas
laulicht werden wolte, zumahln da die neüe
Fürstin schiene eine amusa zu
seyn:
jedoch
heiratete mein Fürst eine Prinzessin und
hatte für Musik keine Lust oder Zeit mehr -
vielleicht auch deswegen, weil sie von Musik
nicht so viel hielt wie er
-
so
fügte es Gott, daß zu hiesigem
Directore Musices u. Cantore an der Thomas
Schule vociret wurde.
- und
es ergab sich eine Stelle als Musiklehrer am
Thomas-Gymnasium in Leipzig.
Ob
es mir nun zwar anfänglich gar nicht
anständig seyn wolte, aus einem
Capellmeister ein Cantor zu
werden,
Obwohl
ich eigentlich nicht vom Hofkomponisten zum
Musiklehrer absteigen
wollte,
weßwegen
auch meine resolution auf ein vierthel Jahr
trainirete,
weswegen
ich auch drei Monate die Entscheidung
herauszögerte,
jedoch
wurde mir diese station dermaßen favorible
beschrieben,
wurde
mir diese Stelle so schmackhaft
gemacht,
daß
endlich (zumahln da meine Söhne denen
studiis zu incliniren
schienen)
daß
irgendwann (weil meine Söhne ja auch
studieren wollten)
es
in des Höchsten Nahmen wagete, u mich
nacher Leipzig begabe, meine Probe ablegete, u.
so dann die Mutation vornahm. Hieselbst bin nun
nach Gottes Willen annoch
beständig.
ich
in Gottes Namen nach Leipzig fuhr, vorspielte,
diese Stelle bekam und sie bis heute noch
habe.
Da
aber nun (1) finde, daß dieser Dienst bey
weitem nicht so erklecklich als mann mir Ihn
beschrieben, (2) viele accidentia dieser station
entgangen, (3) ein sehr theürer Orth ist u.
(4) eine wunderliche und der Music wenig
ergebene Obrigkeit
ist,
Weil
diese Stelle aber einerseits bei weitem nicht so
viel einbringt wie man mir vorher beschrieben
hat, es andererseits kaum Zulagen gibt,
außerdem die Lebenshaltungskosten immens
sind, und der Dienstherr an Musik wenig
Interesse hat ,
mithin
fast in stetem Verdruß, Neid und
Verfolgung leben muß, als werde
genöthiget werden mit des Höchsten
Beystand meine Fortun anderweitig zu
suchen.
ich
außerdem auch noch gemobbt werde, suche
ich nun - mit Gottes Hilfe - eine andere Stelle,
egal, wo.
Solten
Eu: Hochwohlgebohren vor einen alten treüen
Diener dasiges Ohrtes eine convenable station
wißen oder finden, so ersuche gantz
gehorsamst vor mich eine hochgeneigte
recommendation einzulegen; an mir soll es nicht
manquieren, daß dem hochgeneigten
Vorspruch und interceßion einige
satisfaction zu geben, mich bestens
beflißen seyn
werde.
Sollten
Sie für einen alten Freund in Ihrer
Nähe eine akzeptable Stelle wissen oder
finden, bitte ich darum mich zu empfehlen, an
meinem Arbeitswillen wird es nicht mangeln und
ich werde mich bestmöglich um Akzeptanz
bemühen.
Meine
itzige station belaufet sich etwa auf 700 rthl.
, und wenn es mehrere, als ordinairement Leichen
gibt, so steigen auch nach proportion die
accidentia; ist aber eine gesunde Lufft, so
fallen hingegen auch solche, wie denn voriges
jahr an ordinairen Leichen accidentien über
100 rthl. Einbuße
gehabt.
Mein
jetziges Gehalt beträgt 700 Reichstaler
<heute
etwa EUR 3.500.- im Monat>
und
wenn mehr Leute sterben, gibt es auch mehr
Nebenverdienste durch die Beerdigungen, sind die
Leute gesund, so gibt es auch weniger zu
verdienen, so habe ich letztes Jahr über
100 Reichstaler
<ca. EUR 500.- im
Monat>
weniger verdient.
In
Thüringen kan ich mit 400 rthl. weiter
kommen als hiesigen Ohrtes mit noch einmahl so
vielen hunderten, wegen der exceßiven
kostbahren
Lebensahrt.
In
Thürigen kann ich mit 400 rthl.
<EUR
2000.- >
weiter kommen, als hier
<in
Leipzig>,
weil die Lebenshaltungskosten hier so hoch
sind.
Nunmehro
muß doch auch mit noch wenigen von meinem
häußlichen Zustande etwas erwehnen.
Ich bin zum 2ten Mahl verheurathet und ist meine
erstere Frau seelig in Cöthen
gestorben.
Nun
will ich auch etwas Privates berichten:
Mittlerweile bin ich zum zweiten Mal
verheiratet, nachdem meine erste Frau
<Maria
Barbara>
in Köthen gestorben
war.
Aus
ersterer Ehe sind am Leben 3 Söhne und eine
Tochter, wie solche Eu: Hochwohlgebohren annoch
in Weimar gesehen zu haben, sich hochgeneigt
erinnern werden. Aus 2ter Ehe sind am Leben 1
Sohn u. 2
Töchter.
Aus
erster Ehe leben noch drei Söhne und die
Tochter, die Sie vor Jahren in Weimar gesehen
haben. Aus zweiter Ehe leben ein Sohn und zwei
Töchter.
Mein
ältester Sohn ist ein Studiosus Juris, die
anderen beyden frequentieren noch, einer primam,
der andere 2dam Classem, und die älteste
Tochter ist auch noch unverheurathet.Die Kinder
anderer Ehe sind noch klein, u. der Knabe als
erstegebohrener 6 Jahre alt.
Mein
ältester Sohn studiert Jura, die anderen
beiden gehen noch zur Schule, einer in der
Prima<Klasse
12 oder 13>,
der andere in der Sekunda
<Klasse
10 oder 11>
Die Kinder aus der zweiten Ehe sind noch klein,
der Älteste ist sechs.
Insgesamt
aber sind sie gebohrene musici, u. kan
versichern, daß schon ein Concert
Vocaliter u. Instrumentaliter mit meiner
Famillie formieren kan, zumahln da meine itzige
Frau gar einen sauberen Soprano singet, auch
meine älteste Tochter nicht schlimm
einschläget.
Sie
sind alle künftige Musiker - ich
versichere, daß ich mit meiner Familie
schon ein Konzert mit Chor und Orchester
aufführen kann, besonders meine zweite Frau
singt einen schönen Sopran und die
älteste Tochter ist auch nicht
schlecht.
Ich
überschreite fast das Maaß der
Höflichkeit wenn Eu: Hochwohlgebohren mit
mehreren incommodire, derowegen eile zum
Schluß mit allem ergebenen respect zeit
Lebens
verharrend.
Ich
wäre unhöflich, wenn ich nun mehr
erzählen würde, daher beschließe
ich den Brief mit allem Respekt und
bleibe
Eu:
Hochwohlgebohren
Ihr,
verehrter Freund,
gantz
gehorsamst
in
Dankbarkeit
- (Quelle zit.
nach Maarten 't Haart S. 71ff )
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