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- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
Text als pdf-Datei
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- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 3. Unterbrechung, Trine Jans
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(Reclam, S. 16, Zeile
26) Weiß Gott, Herr!"
unterbrach sich der Schulmeister, „es gibt auf
Erden allerlei Dinge, die ein ehrlich Christenherz
verwirren können; aber der Hauke war weder ein Narr
noch ein Dummkopf" Da ich nichts erwiderte, wollte er
fortfahren; aber unter den übrigen Gästen, die
bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem
Tabaksqualm das niedrige Zimmer füllend, entstand
eine plötzliche Bewegung; erst einzelne, dann fast
alle wandten sich dem Fenster zu. Draußen - man sah
es durch die (Reclam, S. 17) unverhangenen Fenster -
trieb der Sturm die Wolken, und Licht und Dunkel jagten
durcheinander; aber auch mir war es, als hätte ich
den hageren Reiter auf seinem Schimmel vorbeisausen
gesehen.
-
- „Wart Er ein wenig,
Schulmeister!" sagte der Deichgraf leise.
- „Ihr braucht Euch nicht zu
fürchten, Deichgraf!" erwiderte der kleine
Erzähler, „ich habe ihn nicht geschmäht
und hab auch dessen keine Ursach"; und er sah mit seinen
kleinen, klugen Augen zu ihm auf.
- „Ja, ja", meinte der andere, „laß
Er Sein Glas nur wieder füllen." Und nachdem das
geschehen war und die Zuhörer, meist mit etwas
verdutzten Gesichtern, sich wieder zu ihm gewandt hatten,
fuhr er in seiner Geschichte fort:
-
- „So für sich, und am
liebsten nur mit Wind und Wasser und mit den Bildern der
Einsamkeit verkehrend, wuchs Hauke zu einem langen,
hageren Burschen auf. Er war schon über ein Jahr
lang eingesegnet, da wurde es auf einmal anders mit ihm,
und das kam von dem alten weißen Angorakater,
welchen der alten Trin' Jans einst ihr später
verunglückter Sohn von seiner spanischen Seereise
mitgebracht hatte. Trin' wohnte ein gut Stück hinaus
auf dem Deiche in einer kleinen Kate, und wenn die Alte
in ihrem Hause herumarbeitete, so pflegte diese Unform
von einem Kater vor der Haustür zu sitzen und in den
Sommertag und nach den vorüberfliegenden Kiebitzen
hinauszublinzeln. Ging Hauke vorbei, so mauzte der Kater
ihn an, und Hauke nickte ihm zu; die beiden wußten,
was sie miteinander hatten.
-
- Nun aber war's einmal im
Frühjahr, und Hauke lag nach seiner Gewohnheit oft
draußen am Deich, schon weiter unten dem Wasser zu,
zwischen Strandnelken und dem duftenden Seewermut, und
ließ sich (Reclam, S.
18) von der schon kräftigen
Sonne bescheinen. Er hatte sich tags zuvor droben auf der
Geest die Taschen voll von Kieseln gesammelt, und als in
der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und die
kleinen grauen Strandläufer schreiend darüber
hinhuschten, holte er jählings einen Stein hervor
und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von
Kindesbeinen an geübt, und meistens blieb einer auf
dem Schlicke liegen; aber ebensooft war er dort auch
nicht zu holen; Hauke hatte schon daran gedacht, den
Kater mitzunehmen und als apportierenden Jagdhund zu
dressieren. Aber es gab auch hier und dort feste Stellen
oder Sandlager; solchenfalls lief er hinaus und holte
sich seine Beute selbst. Saß der Kater bei seiner
Rückkehr noch vor der Haustür, dann schrie das
Tier vor nicht zu bergender Raubgier so lange, bis Hauke
ihm einen der erbeuteten Vögel zuwarf.
- Als er heute, seine Jacke auf der
Schulter, heimging, trug er nur einen ihm noch
unbekannten, aber wie mit bunter Seide und Metall
gefiederten Vogel mit nach Hause, und der Kater mauzte
wie gewöhnlich, als er ihn kommen sah. Aber Hauke
wollte seine Beute - es mag ein Eisvogel gewesen sein -
diesmal nicht hergeben und kehrte sich nicht an die Gier
des Tieres. „Umschicht!" rief er ihm zu, „heute
mir, morgen dir; das hier ist kein Katerfressen!" Aber
der Kater kam vorsichtigen Schrittes herangeschlichen;
Hauke stand und sah ihn an, der Vogel hing an seiner
Hand, und der Kater blieb mit erhobener Tatze stehen.
Doch der Bursche schien seinen Katzenfreund noch nicht so
ganz zu kennen; denn während er ihm seinen
Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß
(weiter) wollte, fühlte er mit einem Ruck die
Jagdbeute sich entrissen, und zugleich schlug eine
scharfe Kralle ihm ins Fleisch. Ein Grimm, wie
gleichfalls eines (Reclam, S.
19) Raubtiers, flog dem jungen
Menschen ins Blut; er griff wie rasend um sich und hatte
den Räuber schon am Genicke gepackt. Mit der Faust
hielt er das mächtige Tier empor und würgte es,
daß die Augen ihm aus den rauhen Haaren vorquollen,
nicht achtend, daß die starken Hintertatzen ihm den
Arm zerfleischten. „Hoiho!" schrie er und packte
ihn noch fester; „wollen sehen, wer's von uns
beiden am längsten aushält!" Plötzlich
fielen die Hinterbeine der großen Katze schlaff
herunter, und Hauke ging ein paar Schritte zurück
und warf sie gegen die Kate der Alten. Da sie sich nicht
rührte, wandte er sich und setzte seinen Weg nach
Hause fort.
-
- Aber der Angorakater war das Kleinod
seiner Herrin; er war ihr Geselle und das einzige, was
ihr Sohn, der Matrose, ihr nachgelassen hatte, nachdem er
hier an der Küste seinen jähen Tod gefunden
hatte, da er im Sturm seiner Mutter beim Porrenfangen
hatte helfen wollen. Hauke mochte kaum hundert Schritte
weiter getan haben, während er mit einem Tuch das
Blut aus seinen Wunden auffing, als schon von der Kate
her ihm ein Geheul und Zetern in die Ohren gellte. Da
wandte er sich und sah davor das alte Weib am Boden
liegen; das greise Haar flog ihr im Winde um das rote
Kopftuch. „Tot!" rief sie, „tot!" und erhob
dräuend ihren mageren Arm gegen ihn: „Du
sollst verflucht sein! Du hast ihn totgeschlagen, du
nichtsnutziger Strandläufer, du warst nicht wert,
ihm seinen Schwanz zu bürsten!" Sie warf sich
über das Tier und wischte zärtlich mit ihrer
Schürze ihm das Blut fort, das noch aus Nas' und
Schnauze rann; dann hob sie aufs neue an zu
zetern.
- „Bist du bald fertig?" rief
Hauke ihr zu, „dann laß dir sagen: ich will
dir einen Kater schaffen, der mit Maus- und Rattenblut
zufrieden ist!"
-
- (Reclam, S.
20) Darauf ging er, scheinbar auf
nichts mehr achtend, fürbaß
(weiter) .
Aber die tote Katze mußte ihm doch im Kopfe Wirrsal
machen, denn er ging, als er zu den Häusern gekommen
war, dem seines Vaters und auch den übrigen vorbei
und eine weite Strecke noch nach Süden auf dem Deich
der Stadt zu.
- Inmittelst wanderte auch Trin' Jans
auf demselben in der gleichen Richtung; sie trug in einem
alten blaukarierten Kissenüberzug eine Last in ihren
Armen, die sie sorgsam, als wär's ein Kind,
umklammerte; ihr greises Haar flatterte in dem leichten
Frühlingswind. „Was schleppt Sie da, Trina?"
frug ein Bauer, der ihr entgegenkam. „Mehr als
dein Haus und Hof", erwiderte die Alte; dann ging sie
eifrig weiter. Als sie dem unten liegenden Hause des
alten Haien nahe kam, ging sie den Akt, wie man bei uns
die Trift- und Fußwege nennt, die schräg an
der Seite des Deiches hinab- oder hinaufführen, zu
den Häusern hinunter.
-
- Der alte Tede Haien stand eben vor
der Tür und sah ins Wetter. „Na, Trin'!"
sagte er, als sie pustend vor ihm stand und ihren
Krückstock in die Erde bohrte, „was bringt
Sie Neues in Ihrem Sack?"
- „Erst laß mich in die
Stube, Tede Haien! Dann soll Er's sehen!" Und ihre Augen
sahen ihn mit seltsamem Funkeln an.
-
- „So kommen Sie!" sagte der
Alte. Was gingen ihn die Augen des dummen Weibes
an.
- Und als beide eingetreten waren, fuhr
sie fort: „Bring Er den alten Tabakskasten und das
Schreibzeug von dem Tisch - was hat Er denn immer zu
schreiben? - So; und nun wisch Er ihn sauber ab!" Und der
Alte, der fast neugierig wurde, tat alles, was sie sagte;
dann nahm sie den blauen Überzug bei beiden Zipfeln
und schüttete daraus den großen
(Reclam, S.
21) Katerleichnam auf den Tisch. „Da
hat Er ihn!" rief sie; „Sein Hauke hat ihn
totgeschlagen." Hierauf aber begann sie ein bitterliches
Weinen; sie streichelte das dicke Fell des toten Tieres,
legte ihm die Tatzen zusammen, neigte ihre lange Nase
über dessen Kopf und raunte ihm unverständliche
Zärtlichkeiten in die Ohren.
-
- Tede Haien sah dem zu. „So",
sagte er; „Hauke hat ihn totgeschlagen?" Er
wußte nicht, was er mit dem heulenden Weibe machen
sollte.
- Die Alte nickte ihn grimmig an: „Ja,
ja; so Gott, das hat er getan!" Und sie wischte sich mit
ihrer von Gicht verkrümmten Hand das Wasser aus den
Augen. „Kein Kind, kein Lebigs mehr!" klagte sie. „Und
Er weiß es ja wohl auch, uns Alten, wenn's nach
Allerheiligen kommt, frieren abends im Bett die Beine,
und statt zu schlafen, hören wir den Nordwest an
unseren Fensterläden rappeln. Ich hör's nicht
gern, Tede Haien, er kommt daher, wo mein Junge mir im
Schlick versank."
-
- Tede Haien nickte, und die Alte
streichelte das Fell ihres toten Katers. „Der
aber", begann sie wieder, „wenn ich winters am
Spinnrad saß, dann saß er bei mir und spann
auch und sah mich an mit seinen grünen Augen! Und
kroch ich, wenn's mir kalt wurde, in mein Bett - es
dauerte nicht lang, so sprang er zu mir und legte sich
auf meine frierenden Beine, und wir schliefen so warm
mitsammen, als hätte ich noch meinen jungen Schatz
im Bett!" Die Alte, als suche sie bei dieser Erinnerung
nach Zustimmung, sah den neben ihr stehenden Alten mit
ihren funkelnden Augen an.
-
- Tede Haien aber sagte bedächtig:
„Ich weiß Ihr einen Rat, Trin' Jans", und er ging nach
seiner Schatulle und nahm eine Silbermünze aus der
Schublade (Reclam, S.
22) „Sie sagt, daß
Hauke Ihr das Tier vom Leben gebracht hat, und ich
weiß, Sie lügt nicht; aber hier ist ein
Krontaler von Christian dem Vierten; damit kauf Sie sich
ein gegerbtes Lammfell für Ihre kalten Beine! Und
wenn unsere Katze nächstens Junge wirft, so mag Sie
sich das größte davon aussuchen, das zusammen
tut wohl einen altersschwachen Angorakater! Und nun nehm
Sie das Vieh und bring Sie es meinethalb an den Racker in
der Stadt, und halt Sie das Maul, daß es hier auf
meinem ehrlichen Tisch gelegen hat!"
-
- Während dieser Rede hatte das
Weib schon nach dem Taler gegriffen und ihn in einer
kleinen Tasche geborgen, die sie unter ihren Röcken
trug; dann stopfte sie den Kater wieder in das
Bettbühr, wischte mit ihrer Schürze die
Blutflecken von dem Tisch und stakte zur Tür hinaus.
„Vergiß Er mir nur den jungen Kater nicht!" rief sie
noch zurück.
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