zurück
- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
Text als pdf-Datei
|
- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 14. Deichbau
-
zurück
- weiter
- Als nach einigen Wochen die
Deichlinie abgesteckt und der größte Teil der
Sturzkarren geliefert war, waren sämtliche
Anteilbesitzer des einzudeichenden Kooges, angleichen die
Besitzer der hinter dem alten Deich belegenen
Ländereien, durch den Deichgrafen im Kirchspielskrug
versammelt worden; es galt, ihnen einen Plan über
die Verteilung der Arbeit und Kosten vorzulegen und ihre
etwaigen Einwendungen zu vernehmen; denn auch die
letzteren hatten, sofern der neue Deich und die neuen
Siele die Unterhaltungskosten der älteren Werke
verminderten, ihren Teil zu schaffen und zu tragen.
Dieser Plan war für Hauke ein schwer Stück
Arbeit gewesen, und wenn ihm durch Vermittelung des
Oberdeichgrafen neben einem Deichboten nicht auch noch
ein (Reclam, S.
93) Deichschreiber wäre
zugeordnet worden, er würde es so bald nicht
fertiggebracht haben, obwohl auch jetzt wieder an jedem
neuen Tage in die Nacht hinein gearbeitet war. Wenn er
dann todmüde sein Lager suchte, so hatte nicht wie
vordem sein Weib in nur verstelltem Schlafe seiner
gewartet; auch sie hatte so vollgemessen ihre
tägliche Arbeit, daß sie nachts wie am Grunde
eines tiefen Brunnens in unstörbarem Schlafe
lag.
-
- Als Hauke jetzt seinen Plan verlesen
und die Papiere, die freilich schon drei Tage hier im
Kruge zur Einsicht ausgelegen hatten, wieder auf den
Tisch breitete, waren zwar ernste Männer zugegen,
die mit Ehrerbietung diesen gewissenhaften Fleiß
betrachteten und sich nach ruhiger Überlegung den
billigen
(richtigen)
Ansätzen ihres Deichgrafen unterwarfen; andere aber,
deren Anteile an dem neuen Lande von ihnen selbst oder
ihren Vätern oder sonstigen Vorbesitzern waren
veräußert worden, beschwerten sich, daß
sie zu den Kosten des neuen Kooges hinzugezogen seien,
dessen Land sie nichts mehr angehe, uneingedenk
(obwohl),
daß durch die neuen Arbeiten auch ihre alten
Ländereien nach und nach entbürdet
(entlastet)
würden; und wieder andere, die mit Anteilen in dem
neuen Koog gesegnet waren, schrien, man möge ihnen
doch dieselben abnehmen, sie sollten um ein Geringes feil
sein; denn wegen der unbilligen Leistungen, die ihnen
dafür aufgebürdet würden, könnten sie
nicht damit bestehen. Ole Peters aber, der mit grimmigem
Gesicht am Türpfosten lehnte, rief dazwischen: „Besinnt
euch erst und dann vertrauet unserm Deichgrafen! Der
versteht zu rechnen; er hatte schon die meisten Anteile,
da wußte er auch mir die meinen abzuhandeln, und
als er sie hatte, beschloß er, diesen neuen Koog zu
deichen!"
- (Reclam, S.
94) Es war nach diesen Worten
einen Augenblick totenstill in der Versammlung. Der
Deichgraf stand an dem Tisch, auf dem er zuvor seine
Papiere gebreitet hatte, er hob seinen Kopf und sah nach
Ole Peters hinüber. „Du weißt wohl, Ole
Peters", sprach er, „daß du mich
verleumdest; du tust es dennoch, weil du überdies
auch weißt, daß doch ein gut Teil des
Schmutzes, womit du mich bewirfst, an mir wird
hängenbleiben! Die Wahrheit ist, daß du deine
Anteile los sein wolltest und daß ich ihrer derzeit
für meine Schafzucht bedurfte (brauchte);
und willst du Weiteres wissen, das ungewaschene Wort, das
dir im Krug vom Mund gefahren, ich sei nur Deichgraf
meines Weibes wegen, das hat mich aufgerüttelt, und
ich hab euch zeigen wollen, daß ich wohl um meiner
selbst willen Deichgraf sein könne; und somit, Ole
Peters, hab ich getan, was schon der Deichgraf vor mir
hätte tun sollen. Trägst du mir aber Groll,
daß derzeit deine Anteile die meinen geworden sind
- du hörst es ja, es sind genug, die jetzt die
ihrigen um ein billiges feilbieten, nur weil die Arbeit
ihnen jetzt zuviel ist!" (Kauf Dir
doch jetzt billiges Land von den anderen)
-
- Von einem kleinen Teil der
versammelten Männer ging ein Beifallsmurmeln aus,
und der alte Jewe Manners, der dazwischenstand, rief
laut: „Bravo, Hauke Haien! Unser Herrgott wird dir
dein Werk gelingen lassen!"
- Aber man kam doch nicht zu Ende,
obgleich Ole Peters schwieg und die Leute erst zum
Abendbrote auseinandergingen; erst in einer zweiten
Versammlung wurde alles geordnet; aber auch nur, nachdem
Hauke statt der ihm zukommenden drei Gespanne für
den nächsten Monat deren vier auf sich genommen
hatte.
- Endlich, als schon die Pfingstglocken
durch das Land läuteten, hatte die Arbeit begonnen:
unablässig (Reclam, S.
95) fuhren die Sturzkarren von dem
Vorlande an die Deichlinie, um den geholten Klei dort
abzustürzen, und gleicherweise war dieselbe Anzahl
schon wieder auf der Rückfahrt, um auf dem Vorland
neuen aufzuladen; an der Deichlinie selber standen
Männer mit Schaufeln und Spaten, um das Abgeworfene
an seinen Platz zu bringen und zu ebnen; ungeheuere Fuder
(Wagenladungen)
Stroh wurden angefahren und abgeladen; nicht nur zur
Bedeckung des leichteren Materials, wie Sand und lose
Erde, dessen man an den Binnenseiten sich bediente, wurde
das Stroh benutzt; allmählich wurden einzelne
Strecken des Deiches fertig, und die Grassoden, womit man
sie belegt hatte, wurden stellenweis zum Schutz gegen die
nagenden Wellen mit fester Strohbestickung
überzogen. Bestellte Aufseher gingen hin und her,
und wenn es stürmte, standen sie mit aufgerissenen
Mäulern und schrien ihre Befehle durch Wind und
Wetter; dazwischen ritt der Deichgraf auf seinem
Schimmel, den er jetzt ausschließlich in Gebrauch
hatte, und das Tier flog mit dem Reiter hin und wider,
wenn er rasch und trocken seine Anordnungen machte, wenn
er die Arbeiter lobte oder, wie es wohl geschah, einen
Faulen oder Ungeschickten ohn Erbarmen aus der Arbeit
wies. „Das hilft nicht!" rief er dann; „um
deine Faulheit darf uns nicht der Deich verderben!" Schon
von weitem, wenn er unten aus dem Koog heraufkam,
hörten sie das Schnauben seines Rosses, und alle
Hände faßten fester in die Arbeit: „Frisch
zu! Der Schimmelreiter kommt!"
-
- War es um die
Frühstückszeit, wo die Arbeiter mit ihrem
Morgenbrot haufenweis beisammen auf der Erde lagen, dann
ritt Hauke an den verlassenen Werken entlang, und seine
Augen waren scharf, wo liederliche Hände den Spaten
geführt hatten. Wenn er
(Reclam, S. 96) aber zu den Leuten
ritt und ihnen auseinandersetzte, wie die Arbeit
müsse beschafft werden, sahen sie wohl zu ihm auf
und kauten geduldig an ihrem Brote weiter; aber eine
Zustimmung oder auch nur eine Äußerung
hörte er nicht von ihnen. Einmal zu solcher
Tageszeit, es war schon spät, da er an einer
Deichstelle die Arbeit in besonderer Ordnung gefunden
hatte, ritt er zu dem nächsten Haufen der
Frühstückenden, sprang von seinem Schimmel und
frug heiter, wer dort so sauberes Tagewerk verrichtet
hätte, aber sie sahen ihn nur scheu und düster
an, und nur langsam und wie widerwillig wurden ein paar
Namen genannt. Der Mensch, dem er sein Pferd gegeben
hatte, das ruhig wie ein Lamm stand, hielt es mit beiden
Händen und blickte wie angstvoll nach den
schönen Augen des Tieres, die es, wie
gewöhnlich, auf seinen Herrn gerichtet
hielt.
-
- „Nun, Marten!" rief Hauke; „was
stehst du, als ob dir der Donner in die Beine gefahren
sei?"
- - „Herr, Euer Pferd, es ist so
ruhig, als ob es Böses vorhabe!"
-
- Hauke lachte und nahm das Pferd
selbst am Zügel, das sogleich liebkosend den Kopf an
seiner Schulter rieb. Von den Arbeitern sahen einige
scheu zu Roß und Reiter hinüber, andere, als
ob das alles sie nicht kümmere, aßen
schweigend ihre Frühkost, dann und wann den
Möwen einen Brocken hinaufwerfend, die sich den
Futterplatz gemerkt hatten und mit ihren schlanken
Flügeln sich fast auf ihre Köpfe
senkten.
-
- Der Deichgraf blickte eine Weile wie
gedankenlos auf die bettelnden Vögel und wie sie die
zugeworfenen Bissen mit ihren Schnäbeln haschten;
dann sprang er in den Sattel und ritt, ohne sich nach den
Leuten umzusehen, davon; einige Worte, die jetzt unter
ihnen laut wurden, klangen ihm fast wie Hohn. „Was
ist (Reclam, S. 97)
das?" sprach er bei sich selber. „Hatte
denn Elke recht, daß sie alle gegen mich sind? Auch
diese Knechte und kleinen Leute, von denen vielen durch
meinen neuen Deich doch eine Wohlhabenheit ins Haus
wächst?"
- Er gab seinem Pferde die Sporen,
daß es wie toll in den Koog hinabflog. Von dem
unheimlichen Glanze freilich, mit dem sein früherer
Dienstjunge den Schimmelreiter bekleidet hatte,
wußte er selber nichts; aber die Leute hätten
ihn jetzt nur sehen sollen, wie aus seinem hageren
Gesicht die Augen starrten, wie sein Mantel flog und wie
der Schimmel sprühte!
-
- - - So war der Sommer und der Herbst
vergangen; noch bis gegen Ende November war gearbeitet
worden, dann geboten Frost und Schnee dem Werke Halt; man
war nicht fertig geworden und beschloß, den Koog
offen liegenzulassen. Acht Fuß ragte der Deich aus
der Fläche hervor; nur wo westwärts gegen das
Wasser hin die Schleuse gelegt werden sollte, hatte man
eine Lücke gelassen; auch oben vor dem alten Deiche
war der Priel noch unberührt. So konnte die Flut,
wie in den letzten dreißig Jahren, in den Koog
hineindringen, ohne dort oder an dem neuen Deiche
großen Schaden anzurichten. Und so
überließ man dem großen Gott das Werk
der Menschenhände und stellte es in seinen Schutz,
bis die Frühlingssonne die Vollendung würde
möglich machen.
-
- zurück
- weiter
|