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- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
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- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 16. Deichbau - etwas „lebigs“
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(Reclam, S.
102) Als der Frühling nahte,
begannen wieder die Deicharbeiten; mit einem Kajedeich
wurde zum Schutz der jetzt aufzubauenden neuen Schleuse
die Lücke in der westlichen Deichlinie geschlossen,
halbmondförmig nach innen und ebenso nach
außen; und gleich der Schleuse wuchs
allmählich auch der Hauptdeich zu seiner immer
rascher herzustellenden Höhe empor. Leichter wurde
dem leitenden Deichgrafen seine Arbeit nicht, denn an
Stelle des im Winter verstorbenen Jewe Manners war Ole
Peters als Deichgevollmächtigter eingetreten. Hauke
hatte nicht versuchen wollen, es zu hindern; aber anstatt
der ermutigenden Worte und der dazugehörigen
zutunlichen Schläge auf seine linke Schulter, die er
so oft von dem alten Paten seines Weibes einkassiert
hatte, kamen ihm jetzt von dem Nachfolger ein heimliches
Widerhalten und unnötige Einwände und waren mit
unnötigen Gründen zu bekämpfen; denn Ole
gehörte zwar zu den Wichtigen, aber in Deichsachen
nicht zu den Klugen; auch war von früher her der „Schreiberknecht"
ihm immer noch im Wege.
-
- Der glänzendste Himmel breitete
sich wieder über Meer und Marsch, und der Koog wurde
wieder bunt von starken Rindern, deren Gebrüll von
Zeit zu Zeit die weite Stille unterbrach; unablässig
sangen in hoher Himmelsluft die Lerchen, aber man
hörte es erst, wenn einmal auf eines Atemzuges
Länge der Gesang verstummt war. Kein Unwetter
störte die Arbeit, und die Schleuse stand schon mit
ihrem ungestrichenen Balkengefüge, ohne daß
auch nur in einer Nacht sie eines Schutzes von dem
Interimsdeich bedurft hätte; der Herrgott schien
seine Gunst dem neuen Werke zuzuwenden. Auch Frau Elkes
Augen lachten ihrem Manne zu, wenn er auf seinem Schimmel
draußen von dem Deich nach Hause kam. „Bist
(Reclam, S. 103)
doch ein braves Tier geworden!"
sagte sie dann und klopfte den blanken Hals des Pferdes.
Hauke aber, wenn sie das Kind am Halse hatte, sprang
herab und ließ das winzige Dinglein auf seinen
Armen tanzen; wenn dann der Schimmel seine braunen Augen
auf das Kind gerichtet hielt, dann sprach er wohl: „Komm
her; sollst auch die Ehre haben!" Und er setzte die
kleine Wienke - denn so war sie getauft worden - auf
seinen Sattel und führte den Schimmel auf der Werft
im Kreise herum. Auch der alte Eschenbaum hatte mitunter
die Ehre; er setzte das Kind auf einen schwanken Ast und
ließ es schaukeln. Die Mutter stand mit lachenden
Augen in der Haustür; das Kind aber lachte nicht,
seine Augen, zwischen denen ein feines Näschen
stand, schauten ein wenig stumpf ins Weite, und die
kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen,
das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf,
er wußte auch nichts von so kleinen Kindern; nur
Elke, wenn sie das helläugige Mädchen auf dem
Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit ihr zugleich das
Wochenbett bestanden hatte, sagte mitunter schmerzlich: „Das
Meine ist noch nicht so weit wie deines, Stina!" Und die
Frau, ihren dicken Jungen, den sie an der Hand hatte, mit
derber Liebe schüttelnd, rief dann wohl: „Ja,
Frau, die Kinder sind verschieden; der da, der stahl mir
schon die Äpfel aus der Kammer, bevor er übers
zweite Jahr hinaus war!" Und Elke strich dem dicken Buben
sein Kraushaar aus den Augen und drückte dann
heimlich ihr stilles Kind ans Herz.
-
- - - Als es in den Oktober hineinging,
stand an der Westseite die neue Schleuse schon fest in
dem von beiden Seiten schließenden Hauptdeich, der
bis auf die Lücken bei dem Priele nun mit seinem
sanften Profile ringsum nach den Wasserseiten abfiel und
um (Reclam, S.
104) fünfzehn Fuß die
ordinäre Flut überragte. Von seiner
Nordwestecke sah man an Jevershallig vorbei ungehindert
in das Wattenmeer hinaus; aber freilich auch die Winde
faßten hier schärfer; die Haare flogen, und
wer hier ausschauen wollte, der mußte die
Mütze fest auf dem Kopf haben.
-
- Zu Ende November, wo Sturm und Regen
eingefallen waren, blieb nur noch hart am alten Deich die
Schlucht zu schließen, auf deren Grund an der
Nordseite das Meerwasser durch den Priel in den neuen
Koog hineinschoß. Zu beiden Seiten standen die
Wände des Deiches; der Abgrund zwischen ihnen
mußte jetzt verschwinden. Ein trocken Sommerwetter
hätte die Arbeit wohl erleichtert; aber auch so
mußte sie getan werden, denn ein aufbrechender
Sturm konnte das ganze Werk gefährden. Und Hauke
setzte alles daran, um jetzt den Schluß
herbeizuführen. Der Regen strömte, der Wind
pfiff, aber seine hagere Gestalt auf dem feurigen
Schimmel tauchte bald hier, bald dort aus den schwarzen
Menschenmassen empor, die oben wie unten an der Nordseite
des Deiches neben der Schlucht beschäftigt waren.
Jetzt sah man ihn unten bei den Sturzkarren, die schon
weither die Kleierde aus dem Vorlande holen mußten
und von denen eben ein gedrängter Haufen bei dem
Priele anlangte und seine Last dort abzuwerfen suchte.
Durch das Geklatsch des Regens und das Brausen des Windes
klangen von Zeit zu Zeit die scharfen Befehlsworte des
Deichgrafen, der heute hier allein gebieten wollte; er
rief die Karren nach den Nummern vor und wies die
Drängenden zurück; ein „Halt!" schon von
seinem Munde, dann ruhte unten die Arbeit; „Stroh!
ein Fuder Stroh hinab!" rief er denen droben zu, und von
einem der oben haltenden Fuder stürzte es auf den
nassen Klei (Reclam, S.
105) hinunter. Unten sprangen
Männer dazwischen und zerrten es auseinander und
schrien nach oben, sie nur nicht zu begraben. Und wieder
kamen neue Karren, und Hauke war schon wieder oben und
sah von seinem Schimmel in die Schlucht hinab und wie sie
dort schaufelten und stürzten; dann warf er seine
Augen nach dem Haff hinaus. Es wehte scharf, und er sah,
wie mehr und mehr der Wassersaum am Deich hinaufklimmte
und wie die Wellen sich noch höher hoben; er sah
auch, wie die Leute trieften und kaum atmen konnten in
der schweren Arbeit vor dem Winde, der ihnen die Luft am
Munde abschnitt, und vor dem kalten Regen, der sie
überströmte. „Ausgehalten, Leute!
Ausgehalten!" schrie er zu ihnen hinab. „Nur einen
Fuß noch höher; dann ist's genug für
diese Flut!" Und durch alles Getöse des Wetters
hörte man das Geräusch der Arbeiter; das
Klatschen der hineingestürzten Kleimassen, das
Rasseln der Karren und das Rauschen des von oben
hinabgelassenen Strohes ging unaufhaltsam vorwärts;
dazwischen war mitunter das Winseln eines gelben Hundes
laut geworden, der frierend und wie verloren zwischen
Menschen und Fuhrwerken herumgestoßen wurde;
plötzlich aber scholl ein jammervoller Schrei des
kleinen Tieres von unten aus der Schlucht herauf. Hauke
blickte hinab; er hatte es von oben hinunterschleudern
sehen; eine jähe Zornröte stieg ihm ins
Gesicht. „Halt! Haltet ein!" schrie er zu den
Karren hinunter; denn der nasse Klei wurde unaufhaltsam
aufgeschüttet.
-
- „Warum?" schrie eine rauhe
Stimme von unten herauf; „doch um die elende
Hundekreatur nicht?"
- „Halt! sag ich", schrie Hauke
wieder; „bringt mir den Hund! Bei unserm Werke
soll kein Frevel sein!"
- Aber es rührte sich keine Hand;
nur ein paar Spaten zähen Kleis flogen noch neben
das schreiende (Reclam, S.
106) Tier. Da gab er seinem
Schimmel die Sporen, daß das Tier einen Schrei
ausstieß, und stürmte den Deich hinab, und
alles wich vor ihm zurück. „Den Hund!" schrie
er; „ich will den Hund!"
-
- Eine Hand schlug sanft auf seine
Schulter, als wäre es die Hand des alten Jewe
Manners; doch als er umsah, war es nur ein Freund des
Alten. „Nehmt Euch in acht, Deichgraf!" raunte der
ihm zu, „Ihr habt nicht Freunde unter diesen
Leuten; laßt es mit dem Hunde gehen!"
- Der Wind pfiff, der Regen klatschte;
die Leute hatten die Spaten in den Grund gesteckt, einige
sie fortgeworfen. Hauke neigte sich zu dem Alten. „Wollt
ihr meinen Schimmel halten, Harke Jens?" frug er; und als
jener noch kaum den Zügel in der Hand hatte, war
Hauke schon in die Kluft gesprungen und hielt das kleine
winselnde Tier in seinem Arm; und fast im selben
Augenblick saß er auch wieder hoch im Sattel und
sprengte auf den Deich zurück. Seine Augen flogen
über die Männer, die bei den Wagen standen. „Wer
war es?" rief er. „Wer hat die Kreatur
hinabgeworfen?"
-
- Einen Augenblick schwieg alles, denn
aus dem hageren Gesicht des Deichgrafen sprühte der
Zorn, und sie hatten abergläubische Furcht vor ihm.
Da trat von einem Fuhrwerk ein stiernackiger Kerl vor ihn
hin. „Ich tat es nicht, Deichgraf", sagte er und
biß von einer Rolle Kautabak ein Endchen ab, das er
sich erst ruhig in den Mund schob; „aber der es
tat, hat recht getan; soll Euer Deich sich halten, so
muß was Lebiges hinein!"- „Was Lebiges? Aus
welchem Katechismus hast du das gelernt?"
-
- „Aus keinem, Herr!" entgegnete
der Kerl, und aus seiner Kehle stieß ein freches
Lachen; „das haben (Reclam,
S. 107) unsere
Großväter schon gewußt, die sich mit
Euch im Christentum wohl messen durften! Ein Kind ist
besser noch; wenn das nicht da ist, tut's auch ein
Hund!"
-
- „Schweig du mit deinen
Heidenlehren", schrie ihn Hauke an, „es stopfte
besser, wenn man dich hineinwürfe."
-
- „Oho!" erscholl es; aus einem
Dutzend Kehlen war der Laut gekommen, und der Deichgraf
gewahrte ringsum grimmige Gesichter und geballte
Fäuste; er sah wohl, daß das keine Freunde
waren; der Gedanke an seinen Deich überfiel ihn wie
ein Schrecken: was sollte werden, wenn jetzt alle ihre
Spaten hinwürfen? - Und als er nun den Blick nach
unten richtete, sah er wieder den Freund des alten Jewe
Manners; der ging dort zwischen den Arbeitern, sprach zu
dem und jenem, lachte hier einem zu, klopfte dort mit
freundlichem Gesicht einem auf die Schulter, und einer
nach dem anderen faßte wieder seinen Spaten; noch
einige Augenblicke, und die Arbeit war wieder in vollem
Gange. - Was wollte er denn noch? Der Priel mußte
geschlossen werden, und den Hund barg er sicher genug in
den Falten seines Mantels. Mit plötzlichem
Entschluß wandte er seinen Schimmel gegen des
nächsten Wagen. „Stroh auf die Kante!" rief
er herrisch, und wie mechanisch gehorchte ihm der
Fuhrknecht; bald rauschte es hinab in die Tiefe, und von
allen Seiten regte es sich aufs neue und mit allen
Armen.
- Eine Stunde wurde noch so gearbeitet;
es war nach sechs Uhr, und schon brach tiefe
Dämmerung herein, der Regen hatte aufgehört, da
rief Hauke die Aufseher an sein Pferd. „Morgen
früh vier Uhr", sagte er, „ist alles wieder
auf dem Platz; der Mond wird noch am Himmel sein; da
machen wir mit Gott den (Reclam,
S. 108) Schluß! Und dann
noch eines!" rief er, als sie gehen wollten; „kennt
ihr den Hund?", und er nahm das zitternde Tier aus seinem
Mantel.
-
- Sie verneinten das; nur einer sagte: „Der
hat sich taglang schon im Dorf herumgebettelt; der
gehört gar keinem!"
- „Dann ist er mein!" entgegnete
der Deichgraf. „Vergesset nicht: morgen früh
vier Uhr!" und ritt davon.
- Als er heimkam, trat Ann Grete aus
der Tür: sie hatte saubere Kleidung an, und es fuhr
ihm durch den Kopf, sie gehe jetzt zum
Konventikelschneider. „Halt die Schürze auf!"
rief er ihr zu, und da sie es unwillkürlich tat,
warf er das kleibeschmutzte Hündlein ihr hinein. „Bring
ihn der kleinen Wienke; er soll ihr Spielkamerad werden!
Aber wasch und wärm ihn zuvor; so tust du auch ein
gottgefällig Werk, denn die Kreatur ist schier
verklommen."
- Und Ann Grete konnte nicht lassen,
ihrem Wirt Gehorsam zu leisten, und kam deshalb heute
nicht in den Konventikel.
- __________
- Allmählich verfloß der
Sommer; die Zugvögel waren durchgezogen, die Luft
wurde leer vom Gesang der Lerchen; nur vor den Scheunen,
wo sie beim Dreschen Körner pickten, hörte man
hie und da einige kreischend davonfliegen; schon war
alles hart gefroren. In der Küche des Haupthauses
saß eines Nachmittags die alte Trin' Jans auf der
Holzstufe (Reclam, S. 119)
einer Treppe, die neben dem
Feuerherd nach dem Boden lief Es war in den letzten
Wochen, als sei sie aufgelebt; sie kam jetzt gern einmal
in die Küche und sah Frau Elke hier hantieren; es
war keine Rede mehr davon, daß ihre Beine sie nicht
hätten dahin tragen können, seit eines Tages
klein Wienke sie an der Schürze hier heraufgezogen
hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer Seite und sah mit
seinen stillen Augen in die Flammen, die aus dem Herdloch
aufflackerten; ihr eines Händchen klammerte sich an
den Ärmel der Alten, das andere lag in ihrem eigenen
fahlblonden Haar. Trin' Jans erzählte. „Du
weißt", sagte sie, „ich stand in Dienst bei
deinem Urgroßvater, als Hausmagd, und dann
mußt ich die Schweine füttern; der war
klüger als sie alle - da war es, es ist grausam
lange her, aber eines Abends, der Mond schien, da
ließen sie die Haffschleuse schließen, und
sie konnte nicht wieder zurück in See. Oh, wie sie
schrie und mit ihren Fischhänden sich ihre harten
struppigen Haare griff! Ja, Kind, ich sah es und
hörte sie selber schreien! Die Gräben zwischen
den Fennen waren alle voll Wasser, und der Mond schien
darauf, daß sie wie Silber glänzten, und sie
schwamm aus einem Graben in den andren und hob die Arme
und schlug, was ihre Hände waren, aneinander,
daß man es weither klatschen hörte, als wenn
sie beten wollte; aber, Kind, beten können diese
Kreaturen nicht. Ich saß vor der Haustür auf
ein paar Balken, die zum Bauen angefahren waren, und sah
weithin über die Fennen; und das Wasserweib schwamm
noch immer in den Gräben, und wenn sie die Arme
aufhob, so glitzerten auch die wie Silber und Demanten.
Zuletzt sah ich sie nicht mehr, und die Wildgäns'
und Möwen, die ich all die Zeit nicht gehört
hatte, zogen wieder mit Pfeifen und Schnattern durch die
Luft."
-
- (Reclam, S.
120) Die Alte schwieg; das Kind
hatte ein Wort sich aufgefangen. „Konnte sie
beten?" frug sie. „Was sagst du? Wer war
es?"
- „Kind", sagte die Alte; „die
Wasserfrau war es; das sind Undinger, die nicht selig
werden können."
- „Nicht selig!" wiederholte das
Kind, und ein tiefer Seufzer, als habe sie das
verstanden, hob die kleine Brust.
- - „Trin' Jans!" kam eine tiefe
Stimme von der Küchentür, und die Alte zuckte
leicht zusammen. Es war der Deichgraf Hauke Haien, der
dort am Ständer lehnte. „Was redet Sie dem
Kinde vor? Hab ich Ihr nicht geboten, Ihre Mären
für sich zu behalten oder sie den Gäns' und
Hühnern zu erzählen?"
- Die Alte sah ihn mit einem bösen
Blick an und schob die Kleine von sich fort. „Das
sind keine Mären", murmelte sie in sich hinein, „das
hat mein Großohm mir erzählt."
- - „Ihr Großohm, Trin'?
Sie wollte es ja eben selbst erlebt haben."
- „Das ist egal", sagte die
Alte; „aber Ihr glaubt nicht, Hauke Haien; Ihr
wollt wohl meinen Großohm noch zum Lügner
machen!" Dann rückte sie näher an den Herd und
streckte die Hände über die Flammen des
Feuerlochs.
- Der Deichgraf warf einen Blick gegen
das Fenster; draußen dämmerte es noch kaum. „Komm,
Wienke!" sagte er und zog sein schwachsinniges Kind zu
sich heran; „komm mit mir, ich will dir
draußen vom Deich aus etwas zeigen! Nur müssen
wir zu Fuß gehen; der Schimmel ist beim Schmied."
Dann ging er mit ihr in die Stube, und Elke band dem
Kinde dicke wollene Tücher um Hals und Schultern;
und bald danach ging der Vater mit ihr auf dem alten
Deiche nach Nordwest hinauf,
(Reclam, S. 121)
Jeverssand vorbei, bis wo die
Watten breit, fast unübersehbar wurden.
-
- Bald hatte er sie getragen, bald ging
sie an seiner Hand; die Dämmerung wuchs
allmählich; in der Ferne verschwand alles im Dunst
und Duft. Aber dort, wohin noch das Auge reichte, hatten
die unsichtbar schwellenden Wattströme das Eis
zerrissen, und, wie Hauke Haien es in seiner Jugend einst
gesehen hatte, aus den Spalten stiegen wie damals die
rauchenden Nebel, und daran entlang waren wiederum die
unheimlichen närrischen Gestalten und hüpften
gegeneinander und dienerten und dehnten sich
plötzlich schreckhaft in die Breite.
- Das Kind klammerte sich angstvoll an
seinen Vater und deckte dessen Hand über sein
Gesichtlein. „Die Seeteufel!" raunte es zitternd
zwischen seine Finger; „die
Seeteufel!"
-
- Er schüttelte den Kopf. „Nein,
Wienke, weder Wasserweiber noch Seeteufel; so etwas gibt
es nicht; wer hat dir davon gesagt?"
-
- Sie sah mit stumpfem Blicke zu ihm
herauf, aber sie antwortete nicht. Er strich ihr
zärtlich über die Wangen. „Sieh nur
wieder hin!" sagte er, „das sind nur arme hungrige
Vögel! Sieh nur, wie jetzt der große seine
Flügel breitet, die holen sich die Fische, die in
die rauchenden Spalten kommen."
- „Fische", wiederholte
Wienke.
- „Ja, Kind, das alles ist
lebig, so wie wir; es gibt nichts anderes; aber der liebe
Gott ist überall!"
- Klein Wienke hatte ihre Augen fest
auf den Boden gerichtet und hielt den Atem an; es war,
als sähe sie erschrocken in einen Abgrund. Es war
vielleicht nur so; der Vater blickte lange auf sie hin,
er bückte sich und sah in ihr Gesichtlein; aber
keine Regung der verschlossenen Seele wurde darin kund.
Er hob sie (Reclam, S. 122)
auf den Arm und steckte ihre
verklommenen Händchen in einen seiner dicken
Wollhandschuhe. „So, mein Wienke" - und das Kind
vernahm wohl nicht den Ton von heftiger Innigkeit in
seinen Worten -, „so, wärm dich bei mir! Du
bist doch mein Kind, unser einziges. Du hast uns
lieb...!" Die Stimme brach dem Manne; aber die Kleine
drückte zärtlich ihr Köpfchen in seinen
rauhen Bart.
- So gingen sie friedlich
heimwärts.
- zurück
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