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- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
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- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 7. Eisboseln, Versöhnung mit Trine
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(Reclam, S.
01) Auf der weiten
Weidefläche, die sich zu Osten an der Landseite des
Deiches entlangzog, sah man am Nachmittag darauf eine
dunkle Menschenmasse bald unbeweglich stillestehen, bald,
nachdem zweimal eine hölzerne Kugel aus derselben
über den durch die Tagessonne jetzt von Reif
befreiten Boden hingeflogen war, abwärts von den
hinter ihr liegenden langen und niedrigen Häusern
allmählich weiterrücken; die Parteien der
Eisbosler in der Mitte, umgeben von alt und jung, was mit
ihnen, sei es in jenen Häusern oder in denen droben
auf der Geest, Wohnung oder Verbleib hatte; die
älteren Männer in langen Röcken,
bedächtig aus kurzen Pfeifen rauchend, die Weiber
in (Reclam, S. 41)
Tüchern und Jacken, auch wohl
Kinder an den Händen ziehend oder auf den Armen
tragend. Aus den gefrorenen Gräben, welche
allmählich überschritten wurden, funkelte durch
die scharfen Schilfspitzen der bleiche Schein der
Nachmittagssonne; es fror mächtig, aber das Spiel
ging unablässig vorwärts, und aller Augen
verfolgten immer wieder die fliegende Kugel, denn an ihr
hing heute für das ganze Dorf die Ehre des Tages.
Der Kretler (Schiedsrichter) der Parteien trug hier einen
weißen, bei den Geestleuten einen schwarzen Stab
mit eiserner Spitze; wo die Kugel ihren Lauf geendet
hatte, wurde dieser, je nachdem, unter schweigender
Anerkennung oder dem Hohngelächter der Gegenpartei
in den gefrorenen Boden eingeschlagen, und wessen Kugel
zuerst das Ziel erreichte, der hatte für seine
Partei das Spiel gewonnen.
- Gesprochen wurde von all den Menschen
wenig; nur wenn ein Kapitalwurf geschah, hörte man
wohl einen Ruf der jungen Männer oder Weiber; oder
von den Alten einer nahm seine Pfeife aus dem Mund und
klopfte damit unter ein paar guten Worten den Werfer auf
die Schulter: „Das war ein Wurf, sagte Zacharies
und warf sein Weib aus der Luke!" oder: „So warf
dein Vater auch; Gott tröst ihn in der Ewigkeit!"
oder was sie sonst für Gutes sagten.
- Bei seinem ersten Wurfe war das
Glück nicht mit Hauke gewesen: als er eben den Arm
hinten ausschwang, um die Kugel fortzuschleudern, war
eine Wolke von der Sonne fortgezogen, die sie vorhin
bedeckt hatte, und diese traf mit ihrem vollen Strahl in
seine Augen; der Wurf wurde zu kurz, die Kugel fiel auf
einen Graben und blieb im Bummeis (dünnes Eis) stecken.
- „Gilt nicht! Gilt nicht!
Hauke, noch einmal", riefen seine Partner.
- (Reclam, S.
42) Aber der Kretler der
Geestleute sprang dagegen auf: „Muß wohl
gelten; geworfen ist geworfen!"
- „Ole! Ole Peters!" schrie die
Marschjugend. „Wo ist Ole? Wo, zum Teufel, steckt
er?"
- Aber er war schon da. „Schreit
nur nicht so! Soll Hauke wo geflickt werden! Ich dacht's
mir schon."
- - „Ei was! Hauke muß
noch einmal werfen; nun zeig, daß du das Maul am
rechten Fleck hast!"
- „Das hab ich schon!" rief Ole
und trat dem Geestkretler (gegnerischen Schiedrichter) gegenüber und redete einen
Haufen Galimathias
(unverständliches
Geschwätz) aufeinander. Aber
die Spitzen und Schärfen, die sonst aus seinen
Worten blitzten, waren diesmal nicht dabei. Ihm zur Seite
stand das Mädchen mit den Rätselbrauen und sah
scharf aus zornigen Augen auf ihn hin; aber reden durfte
sie nicht, denn die Frauen hatten keine Stimme in dem
Spiel.
- „Du leierst Unsinn", rief der
andere Kretler, „weil dir der Sinn nicht dienen
kann! Sonne, Mond und Sterne sind für uns alle
gleich und allezeit am Himmel; der Wurf war ungeschickt,
und alle ungeschickten Würfe gelten!"
- So redeten sie noch eine Weile
gegeneinander; aber das Ende war, daß nach Bescheid
des Obmanns Hauke seinen Wurf nicht wiederholen
durfte.
-
- „Vorwärts!" riefen die
Geestleute, und ihr Kretler zog den schwarzen Stab aus
dem Boden, und der Werfer trat auf seinen Nummerruf dort
an und schleuderte die Kugel vorwärts. Als der
Großknecht des Deichgrafen dem Wurfe zusehen
wollte, hatte er an Elke Volkerts vorbeimüssen. „Wem
zuliebe ließest du heut deinen Verstand zu Hause?"
raunte sie ihm zu.
-
- Da sah er sie fast grimmig an, und
aller Spaß war aus seinem breiten Gesichte
verschwunden. „Dir zulieb!" sagte er, „denn
du hast deinen auch vergessen!"
- (Reclam, S.
43) „Geh nur; ich kenne
dich, Ole Peters!" erwiderte das Mädchen, sich hoch
aufrichtend; er aber kehrte den Kopf ab und tat, als habe
er das nicht gehört.
- Und das Spiel und der schwarze und
weiße Stab gingen weiter. Als Hauke wieder am Wurf
war, flog seine Kugel schon so weit, daß das Ziel,
die große weißgekalkte Tonne, klar in Sicht
kam. Er war jetzt ein fester junger Kerl, und Mathematik
und Wurfkunst hatte er täglich während seiner
Knabenzeit getrieben. „Oho, Hauke!" rief es aus
dem Haufen; „das war ja, als habe der Erzengel
Michael selbst geworfen!" Eine alte Frau mit Kuchen und
Branntwein drängte sich durch den Haufen zu ihm; sie
schenkte ein Glas voll und bot es ihm. „Komm",
sagte sie, „wir wollen uns vertragen: das heut ist
besser, als da du mir die Katze totschlugst!" Als er sie
ansah, erkannte er, daß es Trin' Jans war. „Ich
dank dir, Alte", sagte er; „aber ich trink das
nicht." Er griff in seine Tasche und drückte ihr ein
frischgeprägtes Markstück in die Hand. „Nimm
das und trink selber das Glas aus, Trin'; so haben wir
uns vertragen!"
- „Hast recht, Hauke!" erwiderte
die Alte, indem sie seiner Anweisung folgte; „hast
recht; das ist auch besser für ein altes Weib wie
ich!"
- „Wie geht's mit deinen Enten?"
rief er ihr noch nach, als sie sich schon mit ihrem Korbe
fortmachte; aber sie schüttelte nur den Kopf, ohne
sich umzuwenden, und patschte mit ihren alten Händen
in die Luft. „Nichts, nichts, Hauke; da sind zu
viele Ratten in euren Gräben; Gott tröst mich;
man muß sich anders nähren!" Und somit
drängte sie sich in den Menschenhaufen und bot
wieder ihren Schnaps und ihre Honigkuchen an.
- Die Sonne war endlich schon hinter
den Deich hinabgesunken; statt ihrer glimmte ein
rotvioletter Schimmer empor; mitunter flogen schwarze
Krähen vorüber und waren auf Augenblicke wie
vergoldet, es wurde Abend. Auf den Fennen aber
rückte der dunkle Menschentrupp noch immer weiter
von den schwarzen schon fern liegenden Häusern nach
der Tonne zu, ein besonders tüchtiger Wurf
mußte sie jetzt erreichen können. Die
Marschleute waren an der Reihe; Hauke sollte
werfen.
- Die kreidige Tonne zeichnete sich
weiß in dem breiten Abendschatten, der jetzt von
dem Deiche über die Fläche fiel. „Die
werdet ihr uns diesmal wohl noch lassen!" rief einer von
den Geestleuten, denn es ging scharf her; sie waren um
mindestens ein Halbstieg Fuß im
Vorteil.
- Die hagere Gestalt des Genannten trat
eben aus der Menge; die grauen Augen sahen aus dem langen
Friesengesicht vorwärts nach der Tonne; in der
herabhängenden Hand lag die Kugel.
- „Der Vogel ist dir wohl zu
groß", hörte er in diesem Augenblick Ole
Peters' Knarrstimme dicht vor seinen Ohren; „sollen
wir ihn um einen grauen Topf vertauschen?"
- Hauke wandte sich und blickte ihn mit
festen Augen an. „Ich werfe für die Marsch!"
sagte er. „Wohin gehörst denn
du?"
- „Ich denke, auch dahin, du
wirfst doch wohl für Elke Volkerts!"
- „Beiseit!" schrie Hauke und
stellte sich wieder in Positur. Aber Ole drängte mit
dem Kopf noch näher auf ihn zu. Da plötzlich,
bevor noch Hauke selber etwas dagegen unternehmen konnte,
packte den Zudringlichen eine Hand und riß ihn
rückwärts, daß der Bursche gegen seine
lachenden Kameraden taumelte. Es war keine große
Hand gewesen, die das getan hatte; denn als Hauke
flüchtig den Kopf wandte,
(Reclam S.
45) sah er neben sich Elke
Volkerts ihren Ärmel zurechtzupfen, und die dunkeln
Brauen standen ihr wie zornig in dem heißen
Antlitz.
- Da flog es wie eine Stahlkraft in
Haukes Arm; er neigte sich ein wenig, er wiegte die Kugel
ein paarmal in der Hand; dann holte er aus, und eine
Todesstille war auf beiden Seiten; alle Augen folgten der
fliegenden Kugel, man hörte ihr Sausen, wie sie die
Luft durchschnitt; plötzlich, schon weit vom
Wurfplatz, verdeckten sie die Flügel einer
Silbermöwe, die, ihren Schrei ausstoßend, vom
Deich herüberkam; zugleich aber hörte man es in
der Ferne an die Tonne klatschen. „Hurra für
Hauke!" riefen die Marschleute, und lärmend ging es
durch die Menge: „Hauke! Hauke Haien hat das Spiel
gewonnen!"
- Der aber, da ihn alle dicht
umdrängten, hatte seitwärts nur nach einer Hand
gegriffen; auch da sie wieder riefen: „Was stehst
du, Hauke? Die Kugel liegt ja in der Tonne!", nickte er
nur und ging nicht von der Stelle; erst als er
fühlte, daß sich die kleine Hand fest an die
seine schloß, sagte er: „Ihr mögt schon
recht haben; ich glaube auch, ich hab
gewonnen!"
-
- Dann strömte der ganze Trupp
zurück, und Elke und Hauke wurden getrennt und von
der Menge auf den Weg zum Kruge fortgerissen, der an des
Deichgrafen Werfte nach der Geest hinaufbog. Hier aber
entschlüpften beide dem Gedränge, und
während Elke auf ihre Kammer ging, stand Hauke
hinten vor der Stalltür auf der Werfte und sah, wie
der dunkle Menschentrupp allmählich nach dort
hinaufwanderte, wo im Kirchspielskrug ein Raum für
die Tanzenden bereitstand. Das Dunkel breitete sich
allmählich über die weite Gegend; es wurde
immer stiller um ihn her, nur hinter ihm im Stalle regte
sich das Vieh, oben von der Geest her glaubte er schon
das (Reclam S. 46)
Pfeifen der Klarinetten aus dem
Kruge zu vernehmen. Da hörte er um die Ecke des
Hauses das Rauschen eines Kleides, und kleine feste
Schritte gingen den Fußsteig hinab, der durch die
Fennen nach der Geest hinaufführte. Nun sah er auch
im Dämmer die Gestalt dahinschreiten und sah,
daß es Elke war; sie ging auch zum Tanze nach dem
Krug. Das Blut schoß ihm in den Hals hinauf, sollte
er ihr nicht nachlaufen und mit ihr gehen? Aber Hauke war
kein Held den Frauen gegenüber; mit dieser Frage
sich beschäftigend, blieb er stehen, bis sie im
Dunkel seinem Blick entschwunden war.
-
- Dann, als die Gefahr, sie einzuholen,
vorüber war, ging auch er denselben Weg, bis er
droben den Krug bei der Kirche erreicht hatte und das
Schwatzen und Schreien der vor dem Hause und auf dem Flur
sich Drängenden und das Schrillen der Geigen und
Klarinetten betäubend ihn umrauschte. Unbeachtet
drückte er sich in den „Gildesaal"; er war
nicht groß und so voll, daß man kaum einen
Schritt weit vor sich hin sehen konnte. Schweigend
stellte er sich an den Türpfosten und blickte in das
unruhige Gewimmel; die Menschen kamen ihm wie Narren vor;
er hatte auch nicht zu sorgen, daß jemand noch an
den Kampf des Nachmittags dachte und wer vor einer Stunde
erst das Spiel gewonnen hatte; jeder sah nur auf seine
Dirne
(Mädchen)
und drehte sich mit ihr im Kreis herum. Seine Augen
suchten nur die eine, und endlich - dort! Sie tanzte mit
ihrem Vetter, dem jungen Deichgevollmächtigten; aber
schon sah er sie nicht mehr, nur andere Dirnen aus Marsch
und Geest, die ihn nicht kümmerten. Dann schnappten
Violinen und Klarinetten plötzlich ab, und der Tanz
war zu Ende; aber gleich begann auch schon ein anderer.
Hauke flog es durch den Kopf, ob denn Elke ihm
(Reclam S.
47) auch Wort halten, ob sie nicht
mit Ole Peters ihm vorbeitanzen werde. Fast hätte er
einen Schrei bei dem Gedanken ausgestoßen; dann - -
ja, was wollte er dann? Aber sie schien bei diesem Tanze
gar nicht mitzuhalten, und endlich ging auch der zu Ende,
und ein anderer, ein Zweitritt, der eben erst hier in die
Mode gekommen war, folgte. Wie rasend setzte die Musik
ein, die jungen Kerle stürzten zu den Dirnen, die
Lichter an den Wänden flirrten. Hauke reckte sich
fast den Hals aus, um die Tanzenden zu erkennen; und
dort, im dritten Paare, das war Ole Peters; aber wer war
die Tänzerin? Ein breiter Marschbursche stand vor
ihr und deckte ihr Gesicht! Doch der Tanz raste weiter,
und Ole mit seiner Partnerin drehte sich heraus. „Vollina!
Vollina Harders!" rief Hauke fast laut und seufzte dann
gleich wieder erleichtert auf. Aber wo blieb Elke? Hatte
sie keinen Tänzer, oder hatte sie alle
ausgeschlagen, weil sie nicht mit Ole hatte tanzen
wollen? - Und die Musik setzte wieder ab, und ein neuer
Tanz begann; aber wieder sah er Elke nicht! Doch dort kam
Ole, noch immer die dicke Vollina in den Armen! „Nun,
nun", sagte Hauke; „da wird Jeß Harders mit
seinen fünfundzwanzig Demat
(Flächenmaß der Geest,
0,5 ha) auch wohl bald aufs
Altenteil müssen! - Aber wo ist Elke?"
- Er verließ seinen
Türpfosten und drängte sich weiter in den Saal
hinein; da stand er plötzlich vor ihr, die mit einer
älteren Freundin in einer Ecke saß. „Hauke!"
rief sie, mit ihrem schmalen Antlitz zu ihm aufblickend; „bist
du hier? Ich sah dich doch nicht tanzen!"
- „Ich tanze auch nicht",
erwiderte er.
- - „Weshalb nicht, Hauke?" Und
sich halb erhebend, setzte sie hinzu: „Willst du
mit mir tanzen? Ich hab es Ole Peters nicht gegönnt;
der kommt nicht wieder!"
- (Reclam S. 48)
Aber Hauke machte keine Anstalt. „Ich danke,
Elke", sagte er; „ich verstehe das nicht gut
genug; sie könnten über dich lachen; und
dann..."Er stockte plötzlich und sah sie nur aus
seinen grauen Augen herzlich an, als ob er's ihnen
überlassen müsse, das übrige zu
sagen.
- „Was meinst du, Hauke?" frug
sie leise.
- - „Ich mein, Elke, es kann ja
doch der Tag nicht schöner für mich ausgehn,
als er's schon getan hat."
- „Ja", sagte sie, „du
hast das Spiel gewonnen."
- „Elke!" mahnte er kaum
hörbar.
- Da schlug ihr eine heiße Lohe
(sie wird
rot) in das Angesicht. „Geh!"
sagte sie; „was willst du?" und schlug die Augen
nieder.
-
- Als aber die Freundin jetzt von einem
Burschen zum Tanze fortgezogen wurde, sagte Hauke lauter:
„Ich dachte, Elke, ich hätt was Besseres
gewonnen!"
- Noch ein paar Augenblicke suchten
ihre Augen auf dem Boden; dann hob sie sie langsam, und
ein Blick, mit der stillen Kraft ihres Wesens, traf in
die seinen, der ihn wie Sommerluft durchströmte. „Tu,
wie dir ums Herz ist, Hauke!" sprach sie; „wir
sollten uns wohl kennen!"
- Elke tanzte an diesem Abend nicht
mehr, und als beide dann nach Hause gingen, hatten sie
sich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe
funkelten die Sterne über der schweigenden Marsch;
ein leichter Ostwind wehte und brachte strenge
Kälte; die beiden aber gingen, ohne viel Tücher
und Umhang, dahin, als sei es plötzlich
Frühling geworden.
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