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- Martin Luther
auf dem Reichstag zu Worms v. 18. April
1521
-
- Allergnädigster Herr und
Kaiser!
Durchlauchtigste Fürsten! Gnädigste Herrn!
Ich erscheine gehorsam zu dem Zeitpunkt, der mir gestern
abend bestimmt worden ist, und bitte die
allergnädigste Majestät und die
durchlauchtigsten Fürsten und Herren um Gottes
Barmherzigkeit wollen, sie möchten meine Sache, die
hoffe ich, gerecht und wahrhaftig ist, in Gnaden
anhören. Und wenn ich aus Unkenntnis irgend jemand
nicht in der richtigen Form anreden oder sonst in
irgendeiner Weise gegen höfischen Brauch und
Benehmen verstoßen sollte, so bitte ich, mir dies
freundlich zu verzeihen; denn ich bin nicht bei Hofe,
sondern im engen mönchischen Winkel aufgewachsen und
kann von mir nur dies sagen, daß ich bis auf diesen
Tag mit meinen Lehren und Schriften einzig Gottes Ruhm
und die redliche Unterweisung der Christen
einfältigen Herzens erstrebt habe.
Allergnädigster Kaiser, durchlauchtigste
Fürsten! Mir waren gestern durch Eure
allergnädigste Majestät zwei Fragen vorgelegt
worden, nämlich ob ich die genannten, unter meinem
Namen veröffentlichten Bücher als meine
Bücher anerkennen wollte, und ob ich dabei bleiben
wollte, sie zu verteidigen, oder bereit sei, sie zu
widerrufen. Zu dem ersten Punkt habe ich sofort eine
unverhohlene Antwort gegeben, zu der ich noch stehe und
in Ewigkeit stehen werde: Es sind meine Bücher, die
ich selbst unter meinem Namen veröffentlicht habe,
vorausgesetzt, daß die Tücke meiner Feinde
oder eine unzeitige Klugheit darin nicht etwa
nachträglich etwas geändert oder
fälschlich gestrichen hat. Denn ich erkenne
schlechterdings nur das an, was allein mein eigen und von
mir allein geschrieben ist, aber keine weisen Auslegungen
von anderer Seite.
Hinsichtlich der zweiten Frage bitte ich aber Euer
allergnädigste Majestät und fürstliche
Gnaden dies beachten zu wollen, daß meine
Bücher nicht alle den gleichen Charakter tragen.
Die erste Gruppe umfaßt die Schriften, in denen ich
über den rechten Glauben und rechtes Leben so
schlicht und evangelisch gehandelt habe, daß sogar
meine Gegner zugeben müssen, sie seien
nützlich, ungefährlich und durchaus lesenswert
für einen Christen. Ja, auch die Bulle erklärt
ihrer wilden Gegnerschaft zum Trotz einige meiner
Bücher für unschädlich, obschon sie sie
dann in einem abenteuerlichen Urteil dennoch verdammt.
Wollte ich also anfangen, diese Bücher zu widerrufen
- wohin, frag ich, sollte das führen? Ich wäre
dann der einzige Sterbliche, der eine Wahrheit verdammte,
die Freund und Feind gleichermaßen bekennen, der
einzige, der sich gegen das einmütige Bekenntnis
aller Welt stellen würde!
Die zweite Gruppe greift das Papsttum und die Taten
seiner Anhänger an, weil ihre Lehren und ihr
schlechtes Beispiel die ganze Christenheit sowohl
geistlich wie leiblich verstört hat. Das kann
niemand leugnen oder übersehen wollen. Denn
jedermann macht die Erfahrung, und die allgemeine
Unzufriedenheit kann es bezeugen, daß
päpstliche Gesetze und Menschenlehren die Gewissen
der Gläubigen aufs jämmerlichste verstrickt,
beschwert und gequält haben, daß aber die
unglaubliche Tyrannei auch Hab und Gut verschlungen hat
und fort und fort auf empörende Weise weiter
verschlingt, ganz besonders in unserer hochberühmten
deutschen Nation. Und doch sehen sie in ihren Dekreten
selbst vor, wie Distinctio 9 und 25, quaestio 1 und 9, zu
lesen steht: Päpstliche Gesetze, die der Lehre des
Evangeliums und den Sätzen des Evangeliums und den
Sätzen der Kirchenväter widersprächen,
seien für irrig und ungültig anzusehen. Wollte
ich also diese Bücher widerrufen, so würde ich
die Tyrannei damit geradezu kräftigen und
stützen, ich würde dieser Gottlosigkeit
für ihr Zerstörungswerk nicht mehr ein kleines
Fenster, sondern Tür und Tor auftun, weiter und
bequemer, als sie es bisher je vermocht hat. So
würde mein Widerruf ihrer grenzenlosen, schamlosen
Bosheit zugute kommen, und ihre Herrschaft würde das
arme Volk noch unerträglicher bedrücken, und
nun erst recht gesichert und gegründet sein, und das
um so mehr, als man prahlen wird, ich hätte das auf
Wunsch Eurer allergnädigsten Majestät getan und
des ganzen Römischen Reiches. Guter Gott, wie
würde ich da aller Bosheit und Tyrannei zur Deckung
dienen!
Die dritte Gruppe sind die Bücher, die ich gegen
einige sozusagen für sich stehende Einzelpersonen
geschrieben habe, die den Versuch machten, die
römische Tyrannei zu schützen und das
Christentum, wie ich es lehre, zu erschüttern. Ich
bekenne, daß ich gegen diese Leute heftiger
vorgegangen bin, als in Sachen des Glaubens und bei
meinem Stande schicklich war. Denn ich mache mich nicht
zu einem Heiligen und trete hier nicht für meinen
Lebenswandel ein, sondern für die Lehre Christi.
Trotzdem wäre mein Widerruf auch für diese
Bücher nicht statthaft; denn er würde wieder
die Folge haben, daß sich die gottlose Tyrannei auf
mich berufen könnte und das Volk so grausamer
beherrschen und mißhandeln würde denn je
zuvor.
Aber ich bin ein Mensch und nicht Gott. So kann ich
meinen Schriften auch nicht anders beistehen, als wie
mein Herr Christus selbst seiner Lehre beigestanden hat.
Als ihn Hannas nach seiner Lehre fragte und der Diener
ihm einen Backenstreich gegeben hatte, sprach er:
«Habe ich übel geredet, so beweise, daß
es böse gewesen sei.» Der Herr selbst, der doch
wußte, daß er nicht irren könnte, hat
also nicht verschmäht, einen Beweis wider seine
Lehre anzuhören, dazu noch von einem elenden Knecht.
Wieviel mehr muß ich erbärmlicher Mensch, der
nur irren kann, da bereit sein, jedes Zeugnis wider meine
Lehre, das sich vorbringen läßt, zu erbitten
und zu erwarten. Darum bitte ich um der göttlichen
Barmherzigkeit willen, Eure allergnädigste
Majestät, durchlauchtigste fürstliche Gnaden
oder wer es sonst vermag, er sei höchsten oder
niedersten Standes, möchte mir Beweise vorlegen,
mich des Irrtums überführen und mich durch das
Zeugnis der prophetischen oder evangelischen Schriften
überwinden. Ich werde völlig bereit sein, jeden
Irrtum, den man mir nachweisen wird, zu widerrufen, ja,
werde der erste sein, der meine Schriften ins Feuer
wirft.
Es wird hiernach klar sein, daß ich die Nöte
und Gefahren, die Unruhe und Zwietracht, die sich um
meiner Lehre willen in aller Welt erhoben haben, und die
man mir gestern hier mit Ernst und Nachdruck vorgehalten
hat, sorgsam genug bedacht und erwogen habe. Für
mich ist es ein denkbar erfreulicher Anblick, zu sehen,
wie um Gottes Wort Unruhe und Zwietracht entsteht. Denn
das ist der Lauf, Weg und Erfolg, den Gottes Wort zu
nehmen pflegt, wie Christus spricht: «Ich bin nicht
gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwer; denn ich
bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater
usw.» Darum müssen wir bedenken, wie Gott
wunderbar und schrecklich ist in seinen
Ratschlüssen, daß nicht am Ende das, was wir
ins Werk setzen, um der Unruhe zu steuern, damit
anfängt, daß wir Gottes Wort verdammen, und so
viel mehr einer neuen Sintflut ganz unerträgliche
Leiden zustrebt. Wir müssen sagen, daß die
Regierung unseres jungen, vortrefflichen Kaisers Karl,
auf dem nächst Gott die meisten Hoffnungen ruhen,
nicht eine unselige, verhängnisvolle Wendung nehme.
Ich könnte es hier mit vielen Beispielen aus der
Schrift vom Pharao, vom König Babylons und den
Königen Israels veranschaulichen, wie sich gerade
dann am sichersten zugrunde richteten, wenn sie mit
besonders klugen Plänen darauf ausgingen, Ruhe und
Ordnung in ihren Reichen zu behaupten. Denn er, Gott,
fängt die Schlauen in ihrer Schlauheit und kehret
die Berge um, ehe sie es inne waren. Darum ist's die
Furcht Gottes, deren wir bedürfen. Ich sage das
nicht in der Meinung, so hohe Häupter hätten
meine Belehrung oder Ermahnung nötig, sondern weil
ich meinem lieben Deutschland den Dienst nicht versagen
wollte, den ich ihm schuldig bin. Hiermit will ich mich
Euer allergnädigsten kaiserlichen Majestät und
fürstlichen Gnaden demütig befohlen und gebeten
haben, sie wollten sich von meinen eifrigen Widersachern
nicht ohne Grund gegen mich einnehmen lassen. Ich bin zu
Ende ...
Weil denn Eure allergnädigste Majestät und
fürstlichen Gnaden eine einfache Antwort verlangen,
will ich sie ohne Spitzfindigkeiten und
unverfänglich erteilen, nämlich so: Wenn ich
nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren
Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den
Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und
mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich
glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es
offenkundig ist, daß sie öfters geirrt und
sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will
ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas
gegen sein Gewissen zu tun.
Gott helfe mir, Amen.
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